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Sitzungsübersicht
Sitzung
Leitungs- und Entscheidungsprozesse
Zeit:
Montag, 11.09.2023:
13:30 - 15:00

Chair der Sitzung: Prof. Dr. Frank Ziegele, CHE Centrum für Hochschulentwicklung
Ort: SL0202


Track 1: Gestaltungsfragen der Hochschulpraxis


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Präsentationen

Rationalitätsmythen in Entscheidungsverfahren in Hochschulen

Dr. Friedrich Stratmann

HIS-Institut für Hochschulentwicklung, Deutschland

Vermehrte Autonomie (=Organisationswerdung) ermöglicht den Hochschulen in ihrer Entwicklung nicht nur die Angelegenheiten der Selbstverwaltung sondern zunehmend auch die der sog. „staatlichen Auftragsverwaltung“, wie z. B. Zulassungswesen, Anerkennungsfragen, (selbst) zu gestalten. Wenn auch weiterhin rechtliche, politische, organisatorische und technische Rahmenbedingungen zu berücksichtigen sind, eröffnen sich insbesondere auf der Verfahrensebene erhebliche Spielräume, man denke hier nur an die die Möglichkeit der Selbstauswahl durch Eignungsfeststellungsverfahren.

Den Fokus im Sinne einer soziologischen Reflexion auch auf die Verfahrensdimension, insbesondere auf Entscheidungsverfahren zu legen, ist in der Hochschul(organisations)forschung erstaunlich defizitär. Dies gilt umso mehr für hochschulische Studien zur Digitalisierung. So werden in einer aktuellen Studie zur Künstlichen Intelligenz in der Hochschulbildung (Schmohl et al. 2023) Potentiale neuer Technologien (KI) in Verwaltungsprozessen eher beiläufig erwähnt. Auch der Feststellung von Graf-Schlattmann (2022) ist zuzustimmen, der die „Forschung zur Digitalisierung in Hochschulen durch ein umfassendes Organisationsdefizit gekennzeichnet“ sieht, das – wenn Organisation überhaupt einbezogen wird – eher von einem schlichten zweckrationalen Organisationsmodell begleitet wird (Graf-Schlattmann 2021). Der von ihm gewählte Ansatz, das Technologiedefizit in Forschung und Lehre mit der zunehmenden Datafizierung in der Hochschule zur Erklärung digitaler Transformation in Organisationen (Muster/Büchner 2018) heranzuziehen, zeigt neue Beobachtungsräume. Gleichwohl fehlt hier eine Betrachtung der Verfahrensdimension, mit der zum einen unterschiedliche Stufen/Grade von Digitalisierung über die verwaltungsrechtswissenschaftliche Debatte hinaus auch organisationsoziologisch analysiert werden könnten, zum anderen an eine allerdings nur (system)theoretische Debatte angedockt werden könnte, die Dimension „Legitimation von Verfahren“ (Luhmann) als eigenständigen Typus neben Interaktion, Organisation und Gesellschaft zu entwickeln (Schwarting 2020)

Empirisch hat sich mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf (Verwaltungs)verfahren in den letzten Jahren das HIS-Institut für Hochschulentwicklung (HIS-HE) in mehreren Studien befasst (Ruschmeier et al. 2020, Gilch et. al 2022, Gilch/Stratmann 2023). Die Studien konzentrieren sich allerdings auf die Bestandsaufnahme von Aktivitäten der Hochschulen in Bezug auf digitale Verfahren und formulieren aus einem eher beraterischen Ansatz Handlungsempfehlungen, wie Hemmnisse politischer,, rechtlicher, technischer und organisatorischer Art beseitigt und Chancen für die Hochschulentwicklung genutzt werden könnten. In der Studie aus 2022 wird der spannende Moment der eigentlichen Anerkennungsentscheidung durch den akademischen Bereich zwar beschrieben und im Kontext eines „Ersatzes“ durch KI thematisiert. Die in diesem Kontext wichtige Frage nach der „Entscheidungsfiktion“, die unterstellt wird, wurde aber nicht untersucht.

Im Vortrag sollen am Beispiel des Verfahrens der „Anerkennung studentischer Leistungen“ mit seinen normativ konzipierten formalen und inhaltlichen Kriterien Zugänge für eine soziologische Reflexion von Entscheidungsverfahren in der Hochschule gezeigt werden, die zu weiterer empirischer Forschung von Verfahren als auch zur Interpretation der Verfahrensdimension ggf. mit alternativen theoretischen Zugängen (als dem hier gewählten systemtheoretischen Zugang) anregen können.

Dabei wird beispielhaft die Entscheidungsfiktion, studentische Leistungen, die an zwei unterschiedlichen Orten erbracht wurden, auf der Basis von Modulvergleichen zu beurteilen und zu „entscheiden“ gewählt und drei Wege des „Umgangs“ thematisiert:

a) Die Handhabung der Indifferenzzone der Entscheidung des/der Hochschullehrer:in zwischen „ungeprüftem“ Durchwinken der Anerkennung und alternativ akribischer Kontrolle der Leistungen mit der Gefahr von Rechtsfolgen bei Ablehnung (Klage des Studierenden);

b) Die Setzung von Entscheidungsprämissen durch die Hochschule als Organisation (Kooperationsvereinbarungen mit anderen Hochschulen, Bindung an frühere Anerkennungsentscheidungen), die die Anerkennung auf formalisierbare Kriterien reduzieren

c) Der Einsatz von KI, mittels Sprachmodellen und/oder Algorithmen einen Modulvergleich vornehmen zu können, der ein „vollautomatisches“ Verwaltungsverfahren zulässt.

Stratmann-Rationalitätsmythen in Entscheidungsverfahren in Hochschulen-129.pdf


Transformationale Führung und organisationales Sozialkapital an Hochschulen in Deutschland

Dr. Julia Rathke, Prof. Dr. Susan Harris-Huemmert

Ph Ludwigsburg, Deutschland

Nach Raja et al. (2018: 916) trägt der transformationale Führungsstil dazu bei, das organisationale Sozialkapital einer Institution wie z.B. einer Hochschule aufzubauen. Hochschulleitungen können damit durch ihren Führungsstil zur Organisationskultur, definiert als Ausdruck eingebetteter Werte (engl. „manifestations of embedded values“ (Campbell 2003: 948)), beitragen, wobei der transformationale Führungsstil einen positiven Effekt zu haben scheint (vgl. Kahn et al. 2020; Whittaker & Montgomery 2022). Dieser Beitrag untersucht worin dieser positive Effekt liegen könnte. Wir nutzen den Sozialkapitalansatz, um den Einfluss des Führungsstils von Leitungen auf die Organisationskultur zu untersuchen (Lin et al. 2001; Chen et al. 2016). Demnach entwickeln sich kulturelle Aspekte, wie gemeinsame Werte, gegenseitiges Vertrauen und verbindliche Normen der Gegenseitigkeit als nicht-intendierte Effekte regelmäßiger, erfolgreicher Kooperation sowie dem Aufbau von Netzwerken.

Methodisches Vorgehen

Im BMBF Projekt „AGICA AGIler CAmpus - Universitätsinterner Wissenstransfer zwischen Wissenschaft und Verwaltung“ (www.agica.de) wurden über 20 Interviews mit Hochschulleitungen, Verwaltungsangestellten, wissenschaftlichen Mitarbeitenden sowie Professor*innen an vier Hochschulen durchgeführt, um den internen Wissenstransfer an der jeweiligen Organisation explorativ zu untersuchen. Die ca. 60 Minuten langen Interviews wurden online via Webex durchgeführt, aufgezeichnet, transkribiert, in MAXQDA kodiert und inhaltsanalytisch ausgewertet. Erste Aussagen über den Wirkzusammenhang zwischen dem (transformationalen) Führungsstilverhalten von Hochschulleitungen im Kontext von Drittmittelprojekten (wie z.B. Innovationslaboren) und Veränderungen der Hochschulkultur in Form von organisationalem Sozialkapital liegen vor.

Erwartete Ergebnisse

Die Interviews beschreiben die Mechanismen, die organisationales Sozialkapital als nicht-intendierten Effekt umfassender Unterstützung, aktiver Einbindung der Hochschulleitung in regelmäßige kommunikative Routinen und hierarchie- bzw. abteilungsübergreifende Kooperationen an Hochschulen entstehen lassen und kulturellen Wandel initiieren. Als wesentliche Faktoren konnten regelmäßige Austauschformate in Form von Jour Fixen mit einer aktiv unterstützenden Haltung durch sowohl die akademische als auch die administrative Hochschulleitung hinter hochschulkulturverändernden Projekten identifiziert werden, z.B: „Ohne Mandat (von oben) geht es nicht“, oder wiss, Mitarbeiter*innen hätten „Rückendeckung der Hochschule“. Während an einer Hochschule mit transformationalem Führungsstil von einer nachhaltigen Veränderung der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Hochschulverwaltung und -leitung in Richtung einer „Vertrauenskultur“ und eines „kollegialen Miteinanders“ (wiss. Mitarbeitende) berichtet wird, sehen wir an einer anderen Hochschule, dass die angestrebten Ziele von Drittmittelprojekten zwar mehrheitlich erreicht wurden, ein nicht-transformationaler Führungsstil allerdings einen möglicherweise positiven Einfluss auf das organisationale Sozialkapital verhindert hat.

Literatur

Campbell, D. (2003). Leadership and Academic Culture in the Senate Presidency: An Interpretive View. American Behavioral Scientist, 46(7), 946–959.

Chen, L., Zheng, W., Yang, B. and Bai, S. (2016), "Transformational leadership, social capital and organizational innovation", Leadership & Organization Development Journal, Vol. 37 No. 7, pp. 843-859.

Khan, M. A., Ismail, F. B., Hussain, A., & Alghazali, B. (2020). The Interplay of Leadership Styles, Innovative Work Behavior, Organizational Culture, and Organizational Citizenship Behavior. SAGE Open, 10(1).

Lin, N., Cook, K.S. and Burt, R.S. (2001), Social Capital: Theory and Research, Transaction Publishers, New York, NY.

Raja, U., Bouckenooghe, D., Syed, F. and Naseer, S. (2018), "Interplay between P-O fit, transformational leadership and organizational social capital", Personnel Review, Vol. 47 No. 4, pp. 913-930.

Whittaker, J.A., Montgomery, B.L. Advancing a cultural change agenda in higher education: issues and values related to reimagining academic leadership. Discov Sustain 3, 10 (2022).

Rathke-Transformationale Führung und organisationales Sozialkapital an Hochschulen-174.pdf


Tell me why – Empirische Zugänge zu Motiven und Interessen hochschulischer Akteur:innen als Hebel für eine evidenzbasierte Hochschulentwicklung

Ronny Röwert

TU Hamburg, Deutschland

Alle neueren organisationstheoretischen Ansätze im Bereich der Hochschul- und Wissenschaftsforschung betonen das besondere Verhältnis ihrer Mitglieder, insbesondere der Wissenschaftler:innen, zur Organisation Hochschule (Kehm, 2012). Dieses Spannungsverhältnis wird vor allem mit den divergierenden Motivations- und Interessenlagen zwischen Hochschule einerseits und Wissenschaftler:innen andererseits erklärt. Für das Handeln der Wissenschaftler:innen wird dieses Spannungsverhältnis durch den hohen Grad an Autonomie und formaler Unbestimmtheit wirksam, die das Berufsbild der Wissenschaftler:innen prägen (Foit, 2008). Überraschenderweise sind die individuellen Motive und Interessen von Wissenschaftler:innen bisher jedoch nur sehr begrenzt Gegenstand empirischer Untersuchungen im Feld der Hochschul- und Wissenschaftsforschung gewesen, auch wenn alle bisherigen Studien dazu die hohe Relevanz für das Handeln von Wissenschaftler:innen im Bereich Forschung, Lehre und Transfer unterstreichen. Bisherige Studien nähern sich diesen Aspekten vor allem quantitativ und selten über qualitative und explorative Forschungsdesigns. Dabei beschränkt sich die bisherige Hochschul- und Wissenschaftsforschung insbesondere darauf zu untersuchen, „wie sehr Wissenschaftler[:innen] motiviert sind und nicht auf welche Art und Weise sie motiviert sind“ (Daumiller, 2018, S. 8f.). Dabei würde gerade das Wissen darüber, wie ihre Organisationsmitglieder grundsätzlich für die zentralen Leistungsbereiche der Hochschule - Forschung, Lehre und Transfer - motiviert sind, wertvolle Anknüpfungspunkte für eine stärker evidenzbasierte Hochschulentwicklung bieten.

Der vorliegende Beitrag greift den Bedarf nach geeigneten qualitativen methodischen Zugängen der Hochschulforschung zur Erschließung individueller Motive und Interessen von Hochschulakteur:innen auf. Insbesondere die empirische Motivforschung bietet mit ihrem Methodenrepertoire vielversprechende Anknüpfungspunkte für die Hochschul- und Wissenschaftsforschung zur Erhebung und Rekonstruktion individueller Motive, die den individuellen Akteur:innen entweder nicht direkt präsent sind oder durch sozial erwünschtes Antwortverhalten schwer zugänglich sind. In diesem Beitrag werden die Potenziale und Grenzen der Laddering-Verfahren aus der psychologisch orientierten Motivforschung diskutiert. Diese ermöglicht es, durch gezielte Warum-Fragen gemeinsam mit den Befragten eine dreistufige visuelle Darstellung von Motivstrukturen in Form von Hierarchical Value Maps zu erarbeiten (Phillips & Reynolds, 2009). Diese Form der kommunikativen Validierung weist damit Ähnlichkeiten zu anderen visualisierungsorientierten Interviewformen wie Struktur-Lege-Technik(en) oder Repertory-Grid-Verfahren auf, die mentale Modelle bzw. kognitive Konstrukte der Befragten möglichst schon während der Interviewsituation dialogisch herausarbeiten. Ziel ist es, ausgehend von konkreten Praxiserfahrungen der Befragten zu übergeordneten individuellen Motiven und Interessen zu gelangen, die das individuelle Handeln antreiben. Dieser methodische Zugang bietet vielfältige Potenziale für die Anwendung in der Hochschulforschung, wird dort aber bislang kaum genutzt.

Als eine der ersten Erprobungen der Laddering-Methode als Instrument der Motivforschung im Bereich der Hochschul- und Wissenschaftsforschung wurden grundsätzliche Motive für die Verankerung von Open Science-Praktiken unter Wissenschaftler:innen im Rahmen eines Promotionsprojektes rekonstruiert. Die dabei gewonnenen methodischen und methodologischen Erfahrungen werden in diesem Beitrag vorgestellt und anhand der sich daraus ergebenden Perspektiven der Motivforschung für die Hochschul- und Wissenschaftsforschung reflektiert. Im Ergebnis werden so Potenziale der Motivforschung zur Erhebung von Motiven und Interessenlagen hochschulischer Akteur:innen für eine empirisch informierte Hochschulentwicklung herausgearbeitet.

Literatur:

Daumiller, M. (2018). Motivation von Wissenschaftlern in Lehre und Forschung. Springer Fachmedien Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-21182-0

Foit, W. (2008). Zur Bedeutung des Faktors Motivation bei hochqualifizierten Nachwuchswissenschaftlern. Wissenschaftsmanagement Online. https://www.wissenschaftsmanagement-online.de/sites/www.wissenschaftsmanagement-online.de/files/migrated_wimoarticle/Foit-Motivation.pdf

Kehm, B. M. (2012). Hochschulen als besondere und unvollständige Organisationen? - Neue Theorien zur ‚Organisation Hochschule‘. In U. Wilkesmann & C. J. Schmid (Hrsg.), Hochschule als Organisation (S. 17–25). VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-18770-9_1

Reynolds, T. J., & Phillips, J. M. (2009). A Review and Comparative Analysis of Laddering Research Methods. In N. K. Malhotra (Hrsg.), Review of Marketing Research (Bd. 5, S. 130–174). Emerald Group Publishing Limited. https://doi.org/10.1108/S1548-6435(2008)0000005010

Röwert-Tell me why – Empirische Zugänge zu Motiven und Interessen hochschulischer Akteur-169.pdf


 
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