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Interdisziplinäre Modellierung eines BNE-Gestaltungsurteils zur Förderung von BNE-Kompetenzen im Unterricht
Judith Niedecker, Sabine Manzel
Universität Duisburg-Essen, Deutschland
Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) wird als Querschnittsaufgabe in der Schule angesichts von Umweltveränderungen und sozial-ökologischer Transformationsprozesse immer wichtiger, um Menschen zu nachhaltigen Entscheidungen zu befähigen. Die interdisziplinäre Verschränkung verschiedener Fächer zu BNE ist jedoch nicht nur praktisch durch Curriculavorgaben schwierig umzusetzen, sondern weist Forschungslücken auf. Aktuelle Studien belegen, dass BNE querschnittlich unterrepräsentiert ist und sich Lehrkräfte wie Schüler*innen (SuS) mehr Unterrichtszeit zu BNE wünschen (Grund & Brock 2022). Zudem wird kritisiert, dass Schule primär den Wissenserwerb sowie Verhaltensänderungen fokussiert (BNE 1) und weniger den Aufbau von kritischem Denken (BNE 2) (Vare & Scott 2007; Weselek et al. 2024; Sanders 2023). Ziel des Projekts ist es, Förderinstrumente für die Schulpraxis zu entwickeln, die die natur- und sozialwissenschaftliche Perspektive interdisziplinär verzahnen und dabei BNE 1 und 2 integrieren. Im ersten Schritt wird dazu ein BNE-Gestaltungsurteil modelliert. Methodisch erfolgt eine interdisziplinäre Dokumentenanalyse theoretischer Konzeptionalisierungen aus der Politik- und Chemiedidaktik zu Wissen, Urteils- sowie Bewertungskompetenzen (u.a. Detjen et al. 2012; Hostenbach et al. 2011). Dabei wird auf Unterschiede und Überschneidungen hinsichtlich eines BNE-Gestaltungsurteils geprüft. Folgende Fragestellungen stehen im Vordergrund der Modellierung: Wie lässt sich ein BNE-Gestaltungsurteil interdisziplinär modellieren, so dass BNE-1 und BNE-2-Kompetenzfacetten bei SuS adressiert werden? Welches Wissen und welche Denkweisen müssen aus den jeweiligen Disziplinen von SuS abgerufen werden, um sich über BNE-Problemlagen zu informieren und Problemlösungen kritisch zu hinterfragen? Erste Analysen zeigen, dass in der chemiedidaktischen Bewertungskompetenz nur wenig Bezüge zu politischen Machtverhältnissen hergestellt werden und die politische Urteilskompetenz naturwissenschaftliche Denkweisen nicht berücksichtigt (Hostenbach et al. 2011; Manzel & Weißeno 2017). Zusätzlich sind übergeordnete Modelle abstrakt (Gräsel et al. 2012) und die Thematik von sog. socio-scientifc issues überkomplex (u.a. Bögeholz, et al. 2017, Chang-Rundgren & Rundgren 2010). Bis zur GFD-Tagung im Sept. ist die Modellierung abgeschlossen und es kann ein erster Einblick in die Operationalisierung für die Intervention gegeben werden.
16:30 - 17:00
Wie stark erleben Schüler*innen die Polarisierung im Politikunterricht und in der Schule? Pilotstudie zu Konflikt und Diskurs
Sabine Manzel
Universität Duisburg-Essen, Deutschland
Jüngst wird die agonale Polarisierung der pluralen Gesellschaft beklagt, in der Meinungen, Werte unversöhnlich aufeinanderprallen, Kompromissbereitschaft sinkt und herkömmliche Lösungsmechanismen nicht mehr greifen. Mau et al. (2023) zeigen entlang vier Ungleichheitsarenen für die deutsche Gesellschaft eine mehrschichtige Konfliktlage mit noch vorhandener Aushandlungsbereitschaft. Für eine plurale Demokratie sind das Aushandeln unterschiedlicher Interessen und die Kompromisssuche konstitutiv (Woyke 2021). Zum Erlernen von Toleranz und einer sog. Streitkultur bedarf es bereits in der Schule entsprechender (über-)fachlicher Lerngelegenheiten zur Demokratiebildung. Der Politikunterricht macht Angebote auf der Wissensebene und der Kompetenzdimension der politischen Handlungsfähigkeit (vgl. Detjen et al. 2012). Die Frage, wie Schüler*innen agonale Pluralität wahrnehmen, weist jedoch noch Lücken auf.
Die Pilotstudie untersucht explorativ, wie sich gesellschaftliche Auseinandersetzungen im Politikunterricht und in der Schule bei Jugendlichen zeigen und ob es Unterschiede z.B. bei der Positionierung in Streitfragen hinsichtlich Gender und Migrationsgeschichte gibt. Die Typologie von Mau (s.o.) wird an Interessen der Schüler*innen angelegt, um Polarisierungsfelder auszuloten. Eine Gelegenheitsstichprobe von N=398 Schüler*innen (Sek. I/II, NRW) wurde mittels Online-Fragebogen befragt. Skalen umfassen u.a. politisches Interesse, Kontroversität (Hahn-Laudenberg & Abs, 2024). Die Auswertung erfolgte quantitativ über SPSS. Die Pilotstudie gibt erste Einblicke wie Schüler*innen agonale Pluralität erleben. Diskussionen über Politik mit Familie und Freunden führen über 65% der Jugendlichen, deutlich weniger hingegen mit Lehrkräften (36%). Obwohl Lehrkräfte Diskussionsangebote zu aktuellen Themen machen (66%), geben 63% der Schüler*innen an, nicht zu diskutieren und 36% erleben wenig Toleranz. Die Übereinstimmung mit Meinungen in der Klasse ist deutlich geringer als unter Freunden und Familie. Auf Klassenebene werden als Ursache andere politische Ansichten (18,3%), Erziehung (8,4%), Werte (9,3%) und religiöse Werte (4,2%) genannt. Bei Konflikten ist der Diskurs mit knapp 76% die Regel, gefolgt von Ausgrenzung (25%), Mobbing (17%), Hate Speech und Beleidigungen (je 9,3%). Mädchen berücksichtigen bei Konflikten signifikant stärker beide Seiten (p=.004) und halten sich bei Streit mehr zurück (p=.093) als Jungen. Der Migrationshintergrund hat keinen signifikanten Einfluss.
17:00 - 17:30
Welche Landschaften wollen und brauchen wir in der Zukunft? Eine disziplinenübergreifende Studienwoche in der Primarausbildung (DBR-Projekt)
Karin Huser, Beatrice Kümin-Rüegg, Christian Mathis
Pädagogisch Hochschule Zürich, Schweiz
Politisch bildender Fachunterricht fördert Mündigkeit, indem Lernende aufgefordert werden, die eigene Identität zu reflektieren, kontroverse Problemlagen zu beurteilen und eigenständig zu handeln (Henkenborg 2002; Sperisen/Schneider 2019; Dorsch/Kanwischer 202; Thyroff 2021; Albers/Blanck 2022; Pettig/Ohl 2023). Die vorgestellte Studienwoche verfolgt das Bildungsziel der “Förderung von Mündigkeit” und will damit zur Förderung der Demokratie beitragen. Anhand der Leitfrage “Welche Landschaften wollen und brauchen wir in der Zukunft?” formulieren Studierende des Lehramtes Primarstufe entlang des Politikzyklus (Thyroff 2021) für einen realen “TatOrt” Problemstellungen, erarbeiteten Lösungen und entwickelten Visionen, welche reflektiert, kritisiert und schließlich nach außen begründet verteidigt werden. Dazu werden Ziele der politischen Bildung, der Bildung für Nachhaltige Entwicklung, des außerschulischen Lernens sowie aus den Didaktiken Geografie, Geschichte und Ethik integrativ verknüpft.
Die Studienwoche wird mit dem Ansatz einer Design-Based Research (DBR) (Reinmann 2021) untersucht. Im Zentrum steht die Frage, inwiefern sich die transformativ konzipierte Studienwoche – im Sinne einer reflexiven Bildung für nachhaltige Entwicklung (Pettig 2021; Pettig/Ohl 2023) – konkret im Studienbereich Fachdidaktik Natur, Mensch, Gesellschaft (NMG) des dreijährigen Bachelorstudiums realisieren lasse. Erhebungsmethoden: Gruppen-Lernjournale und individuelle Modulauswertung (n=83) mit offenen schriftlichen Fragen (Petersen 2014) sowie drei problemzentrierte Gruppen-Interviews (Witzel 2000). Auswertung: Strukturierende Qualitative Inhaltsanalyse (Mayring 2015). Ergebnisse: Die Landschaftsentwicklung im Nahraum eignet sich als Inhalt besonders gut für Bildungsprozesse, um vielperspektivisch und lebensweltbezogen demokratische Aushandlungsprozesse zu praktizieren, welche die Befragten als zukünftige Lehrpersonen auch in der Primarstufe anwenden können. Am konkreten Ort prallen unterschiedliche Bedürfnisse oder gar Weltsichten in Form von realen Raumnutzungskonflikten aufeinander und müssen als Dilemmata überwunden werden. Mit Hartmut Rosa (2016) zeigt sich hier auch eine Erfahrung von Resonanz. Der Raum wird anverwandelt und zum Sprechen gebracht. Studierende werden dadurch in ein aktiv-teilhabendes Raumverständnis hineinsozialisiert und betrachten Landschaften weniger passiv-distanziert (Huser 2021).