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Agency als transformatives Paradigma diversitätssensibler Fachdidaktiken
Laura Maria Lewald-Romahn
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Deutschland
Agency beschreibt die Fähigkeit des Individuums in der Gesellschaft, individuelle (und soziale) Handlungsmöglichkeiten wahrnehmen zu können, um sich in gesellschaftlichen Spannungsverhältnissen zu bewegen. Auch wenn die Vorstellungen über Partizipation, Teilhabe und Mitbestimmung kontextuell unterschiedlich und Agency-Konzepte weltweit verschieden sind, ist in den Bildungswissenschaften oft ein Gedanke leitend: „Lernende [sollen] eine aktive Rolle in ihrer Bildung spielen“ (Mick 2012, 527). In den Fachdidaktiken wird Agency gegenwärtig vor allem in BNE-Diskursen und in der OECD-Lernkompass-Auffassung bestimmt und als Fähigkeit verstanden, sich eigene Ziele zu setzen, persönliche Ressourcen zu nutzen und selbstbestimmt Veränderungen herbeizuführen.
Diese nachhaltige Perspektive bezieht nicht nur ökologisches, sondern auch persönliches und gesellschaftliches Wachstum ein. Es geht demzufolge um die schüler:innenseitige Co-Konstruktion eigener Lehr-Lern-Prozessen, Selbstkonstruktion individueller Lernwege und den Einbezug schüler:innenseitiger Themen. Während diese unterrichtliche Konstruktionsebene durch pädagogische Ansätze wie Deeper Learning (u. a. Sliwka et al. 2024) mitgedacht wird, stehen die fachdidaktischen Auseinandersetzungen noch am Anfang. Aus Sicht einer diversitätsorientierten Deutschdidaktik ist dabei die Verschiebung von Heterogenität zu Diversität bedeutsam.
Der Beitrag illustriert, ausgehend von der Deutschdidaktik, wie Agency angestrebt werden kann. Diese Überlegungen münden im didaktisch-methodischen Umgang sowie in einem überfachlichen Differenzierungskonzept. Dieses Konzept wurde an einer inklusiven Gesamtschule über zwei Jahre erprobt und weiterentwickelt. An der Studie nahmen Kinder mit und ohne Beeinträchtigung teil. Der Beitrag stellt die zentralen Ergebnisse der qualitativen Design-Based-Research-Studie in der Schnittmenge von (inklusiver) Fachdidaktik und Sonderpädagogik vor: Die Studie zeigt u. a., dass die Lernenden im maximal geöffneten Lehr-Lern-Raum – bei größtmöglicher Partizipation – über Materialität und Medialität eigene Analysezugänge durch ästhetische Formensprache suchen. Ebenso zeigt sie, dass in diesen Unterrichtsarrangements schüler:innenseitig Wege gesucht werden, um persönliche Themen (wie bspw. LGBTQ+, Umgang mit Klimaangst) über den Unterrichtsgegenstand hinaus sprechbar zu machen.
Damit wird ein Ausblick auf den transformativen Umgang mit dem Agency-Paradigma – über den Deutschunterricht hinaus – gegeben.
16:00 - 16:30
Geschlechterbezogene Differenzierungen im Sportunterricht – eine empirische Analyse von Schüler*innen-Perspektiven
Angelika Julia Bensch
Universität Münster, Deutschland
a) Der Paradigmenwechsel der sportunterrichtlichen Geschlechterforschung verlagert den Fokus von defizit- und differenzorientierten Zugängen hin zu den Entstehungsprozessen geschlechterbezogener Differenzierungen (Frohn & Tiemann, 2022). Forschungsrelevant sind Analysen zur Situierung und kontextabhängigen Aktualisierung bzw. Neutralisierung von Geschlecht (Hartmann-Tews et al., 2003) sowie die Perspektive auf Schüler*innen als Akteur*innen (Mecheril & Plößer, 2009).
b) Die Analyse erfolgt unter akteurstheoretischer Bezugsnahme als wechselseitige Konstitution von Strukturen und Handeln (Schimank, 2016). Aufgrund der Körper- und Leistungszentrierung zeigt der Sportunterricht geschlechterhierarchisierende, exkludierende Praktiken (Palzkill & Scheffel, 2017). Geschlechtersensibler Sportunterricht unterstützt Schüler*innen über Reflexion, Partizipation und Mehrperspektivität bei der Entwicklung von Geschlechterkompetenz. Diese umfasst Wissensbestände, Haltungen und Handlungsstrategien, um tradierte Erwartungshaltungen zu hinterfragen, Gleichberechtigung einzufordern und eigene Stärken zu entfalten (Diketmüller & Krause, 2021; MSB NRW, 2022). Erst neuere Beiträge rekonstruieren Geschlecht aus Schüler*innen-Perspektiven (Frohn, 2020).
c) Im Rahmen einer qualitativen Mehrebenenanalyse wird untersucht, a) in welchen Kontexten geschlechterbezogene Unterscheidungen aktualisiert bzw. neutralisiert werden, b) wie die Geschlechterkompetenz bei Schüler*innen ausgeprägt ist und c) welche Handlungsempfehlungen für einen geschlechtersensiblen Sportunterricht formuliert werden.
d) 26 teilstrukturierte Interviews mit Schüler*innen wurden mittels inhaltlich-strukturierender qualitativer Inhaltsanalyse ausgewertet (Kuckartz & Rädiker, 2022).
e) Binäre Leistungstabellen festigen auf Strukturebene tradierte Geschlechterverhältnisse, während technik- und taktikorientierte Inhalte geschlechtliche Zuschreibungen relativieren. Auf Akteursebene dominieren Argumentationsmuster des Nicht-Wollens. Geschlechterkompetente Handlungsstrategien treten vereinzelnd auf.
f) Reflexionsanlässe zu Geschlecht fehlen weitgehend. Schüler*innen empowern sich über TikTok und äußern den Wunsch nach Individualisierung sowie Partizipation.
g) Geschlechtersensible Bildung und Geschlechterkompetenz gelten als überfachliche Aufgabe im „Zusammenspiel aller Fächer“ (MSB NRW, 2022, S. 11), so dass Auseinandersetzungen hinsichtlich Intersektionalität und geschlechtlicher Vielfalt als bedeutsam gelten.
16:30 - 17:00
Schulisches Handeln im Kontext sexuellen Kindesmissbrauchs – Entwicklung und Evaluation einer Zusatzausbildung für Lehramtsstudierende und Lehrkräfte aller Schularten und Fächer
Simone Pülschen
Europa-Universität Flensburg, Deutschland
Vor dem Hintergrund einer hohen Prävalenz sexueller Gewalt von 13,9 % (Witt et al., 2017) ist die besondere Stellung von Bildungseinrichtungen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt unumstritten. Auch die Bildungspolitik erkennt dies an und verpflichtet Schulen über die Schulgesetze der Länder mittlerweile zunehmend zur Entwicklung eines schulischen Schutzkonzepts. Kinderschutz und insbesondere der Themenbereich der sexuellen Gewalt haben allerding noch kaum Einzug in Lehramtscurricula gefunden und so ist es nicht verwunderlich, dass sich viele Lehrkräfte auf diese Thematik kaum vorbereitet fühlen und angeben, sexuelle Gewalt nicht einmal sicher erkennen zu können (Glammeier, 2019). Trotz seiner Bedeutung als gesellschaftliches Querschnittsthema hat die Prävention sexueller Gewalt ebenfalls kaum Einzug in die fachdidaktische Diskussion gefunden. Die sexuelle Bildung böte sich allerdings als Schnittstelle an.Im Rahmen der BMBF-geförderten Nachwuchsforschungsgruppe „Zusatzausbildung: Referenzperson für schulisches Handeln im Kontext sexuellen Kindesmissbrauchs“ (kurz RPSKM) soll Abhilfe geschaffen werden.
Ziel des Forschungsvorhabens ist die Entwicklung und Evaluation eines Curriculums für eine Zusatzqualifikation sowohl begleitend zum Lehramtsstudium als auch für Lehrkräfte aller Schularten und Fächer. Die Entwicklung des Curriculums erfolgt unter Einbezug von ausgewiesenen Expert:innen und Fachkräften aus Schule, Kinderschutz und Strafverfolgung. Die Teilnehmenden der Zusatzausbildung sollen in die Lage versetzt werden, in den Schulen, an denen sie (später) tätig sind, in Zusammenarbeit mit der Schulleitung ein Schutzkonzept zu entwickeln und ein Netzwerk aus Expert:innen im Kinderschutz aufzubauen. Für eine passgenaue Erstellung des Curriculums werden hypothesengenerierende Expert:inneninterviews geführt und ein daraus entwickelter Fragebogen wird im Anschluss bundesweit unter Akteur:innen in Schule, Hilfeprozess und Strafverfolgung eingesetzt.
Die auf diesen Empfehlungen entwickelte Zusatzausbildung wird bis Mai 2025 mit N = 100 Fachkräften durchgeführt. Im Vortrag wird ein Einblick in die Entwicklung der Zusatzausbildung gegeben. Dabei stellt sich u.a. die Frage nach möglichen Schnittstellen der Fachdidaktiken. Zudem werden erste Befunde der (formativen und wissensbasierten) Ausbildungsevaluation vorgestellt.