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Sitzungsübersicht
Sitzung
Eröffnung und Keynote
Zeit:
Mittwoch, 24.09.2025:
17:30 - 19:30

Ort: Aula (R. 212)


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Präsentationen

Editiones vitreae sunt: tum cum splendent, franguntur. Daten, Software und Theorie zwischen Zufall, Schicksal und Magie

Elisa Cugliana

Universität zu Köln, Deutschland

Editionen sind wie aus Glas gemacht – genau dann, wenn sie glänzen, zerbrechen sie.

Inspiriert ist dieses Bild von einem Spruch über die Fortuna, der auf Publilius Syrus (1.

Jh. v. Chr.) zurückgeht. Ein anderes Sprichwort, diesmal aus dem Italienischen,

lautet: „Wer zu viel will, dem/der schwindet alles“ („chi troppo vuole nulla

stringe“). Solche alten Lebensweisheiten scheinen noch heute zu vermitteln, dass

Mittelmaß der sicherste Weg sei. Doch bedeutet dies, dass die Digital Humanities – und

in diesem spezifischen Fall die digitale Philologie – auf Glanz verzichten sollten?

Im Kontext von Strategien zur Bewahrung digitaler wissenschaftlicher Editionen ist oft

von der Nutzung standardisierter Technologien die Rede: etwa TEI-XML für die

Modellierung, statisches HTML für die Veröffentlichung. Auch wird häufig empfohlen,

auf komplexe Funktionalitäten zu verzichten, da deren Wartung aufwendig sei.

Theoretisch klingt das alles sehr sinnvoll – und man könnte meinen, das Problem der

Kurzlebigkeit digitaler Editionen sei damit zumindest teilweise gelöst.

Doch diese Ansätze verkennen wesentliche Aspekte, die im Kern der disziplinären Praxis

liegen:

1. Oft bestimmt das Material die Form: Nicht alle Texte sind linear, hierarchisch

organisiert oder folgen einem sequentiellen Prinzip (Abschnitt A, B, C in Folge) –

und es gibt mehr als „nur“ Text. In dieser Keynote stelle ich das Genre der

Losbücher vor – interaktive Bücher/Spiele an der Grenze zwischen Wissenschaft

und Magie, die in der Spätantike und im Mittelalter zur Zukunftsdeutung

verwendet wurden.

2. Wissenschaft entwickelt sich, so Karl Popper, durch sukzessive Falsifikation.

Wenn XML über Jahre hinweg der Standard für Textkodierung war, so bringt der

wissenschaftliche Fortschritt alternative Ansätze hervor, die einerseits aus

methodischen Entwicklungen hervorgehen und andererseits diese selbst

vorantreiben. Ich zeige anhand aktueller Beispiele, wie Graphentechnologien

gleichzeitig das in den TEI-Guidelines kodierte Wissen aufnehmen, zugleich aber

auch neue Möglichkeiten eröffnen, die über das OHCO-Modell, auf dem XML

basiert, hinausgehen.

3. Wissenschaft funktioniert nicht ohne Geld: Wer Drittmittel beantragt, muss in der

Regel Innovation versprechen. Je innovativer ein Projekt, desto größer die

Aussicht auf Förderung. Innovation kann aber auch Instabilität bedeuten.

Es sind also materielle (quellenbedingte), methodische und ökonomische Gründe, die

es geradezu notwendig machen, dass digitale Editionen weiterhin „zu viel“ wollen.

Die digitale Philologie hat sich von Beginn an auch durch die Möglichkeiten des

gewählten Mediums von der traditionellen Philologie unterschieden. Die Grenzen des

Digitalen sind vielleicht nicht so greifbar wie die eines Buchblatts – aber sie sind da. Sie

sind jedoch eher eine ferne Bedrohung, die man nicht ernst genug nimmt. Daher braucht

es Klarheit: Welche Grenzen existieren wirklich? Gibt es Raum für Kompromisse?

Gerade Veranstaltungen wie diese Konferenz bieten den Raum, um gemeinsam zu

reflektieren, wie sich der zukunftsgewandte Impuls der Fachwissenschaften mit der

durch Nachhaltigkeit motivierten Bewahrungsperspektive versöhnen lässt – damit wir

die Zukunft der digitalen Philologie und der Digital Humanities nicht dem Zufall, dem

Glück oder einem unbekannten Schicksal überlassen müssen.