Die Bedeutung medienpädagogischer Unterstützungssysteme für die Umsetzung und Ausgestaltung der digitalisierungsbezogenen Schulentwicklung
Andreas Dertinger
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Deutschland
Zusammenfassung
Der organisatorisch und pädagogisch adäquate Umgang mit der digitalen Transformation ist eine essentielle Aufgabe für Schulen in einer durch den digitalen Wandel geprägten Gesellschaft (KMK, 2017, 2021), die an eine gelingende digitalisierungsbezogene Schulentwicklung gebunden ist (Schiefner-Rohs, 2019). Diese Schulentwicklung ist innerhalb der komplexen Struktur des Bildungssystems in erheblichem Maße auf erfolgreiche inner- und außerschulische Kooperationsbeziehungen angewiesen (u.a. Hasselkuß, Heinemann, Endberg & Gageik, 2022; Heldt et al., 2020; Krein, 2023). Gegenwärtig lassen sich verstärkte Forschungsaktivitäten beobachten, welche die Gestaltung entsprechender Kooperationsbeziehungen sowohl innerschulisch (Hugger et al., 2022; Viertel et al., 2022; Langer & Moldenhauer, 2023; Zala-Mezö et al., 2022) als auch außerschulisch (Hasselkuß, Heinemann, Endberg, Gageik et al., 2022; Engec, 2022; Rau et al., 2022; Herfurth & Fereidooni, 2022) untersuchen. Unterbelichtet bleibt hierbei bisher die Rolle medienpädagogischer Unterstützungssysteme (Berkemeyer, 2011; Engec et al., 2021) insbesondere in Form medienpädagogischer Beratung, Medienzentren und Schulträgern (Engec et al., 2021, S. 2). Erste Erkenntnisse zu diesem Themenbereich liegen zu Strukturen dieser Systeme zur Zeit vor der Covid-19-Pandemie auf Basis einer Dokumentenanalyse vor (Engec et al., 2021). Ergänzend kann aus den Studienergebnissen zur Gestaltung von Schulnetzwerken von Hasselkuß, Heinemann, Endberg, Gageik et al. (2022) die Annahme abgeleitet werden, dass sowohl starke als auch schwache Beziehungsstrukturen in diesen Kooperationsstrukturen als Gelingensbedingungen fungieren können. Gegenüber dieser Gelingensbedingungen gibt es empirische Hinweise darauf, dass innerhalb der Kooperationsstrukturen zwischen medienpädagogischen Unterstützungssystemen und Schulen vielfältige Reibungseffekte bestehen, die aus komplexen Strukturbedingungen und anforderungsreichen administrativen Anforderungen resultieren (Dertinger & Bärnreuther, 2024; Herfurth & Fereidooni, 2022; Krein, 2022). Der bestehende, bisher eher rudimentäre Forschungsstand verweist somit auf die Relevanz, die subjektiven Konzepte, Erfahrungen und Sichtweisen der Akteur:innen zu erforschen, die innerhalb der Kooperationsbeziehungen zwischen Schulen und medienpädagogischen Unterstützungssystemen agieren.
Im Vortrag wird eine explorative Studie vorgestellt, die diesem Desiderat nachgeht. Im Fokus der Studie stehen medienpädagogische Unterstützungssysteme, wobei insbesondere die Rolle und Bedeutung von Medienzentren, medienpädagogischer Beratung und Schulämtern für die digitalisierungsbezogene Schulentwicklung analysiert wird. Erkenntnisleitend sind drei Forschungsfragen:
- FF1: Wie sind die Strukturen medienpädagogischer Unterstützungsangebote in spezifischen Bundesländern organisiert?
- FF2: Wie gestalten sich Arbeitsweisen medienpädagogischer Unterstützungsangebote in spezifischen Regionen?
- FF3: Welche Routinen und impliziten Orientierungen leiten das Handeln der Akteur:innen in regionalen Unterstützungsangeboten an?
Grundlage der Studie ist ein Sample, das in vier Bundesländern (Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen) rekrutiert wurde und kontrastierende Organisationsstrukturen repräsentiert. Zur Klärung der Forschungsfragen werden in zwei Arbeitspaketen Experteninterviews (Bogner et al. 2014) mit relevanten Akteur:innen auf zwei Ebenen durchgeführt. Im ersten Arbeitspaket werden Experteninterviews mit Vertreter:innen der administrativen Ebene (z.B. Landesinstitute, Landesmedienzentren) zur explorativen Datensammlung geführt (ebd., 23). Geplant sind hier mindestens ein Interview pro Bundesland mit Akteur:innen in entsprechenden Leitungspositionen. Diese Interviews dienen der Klärung der ersten Forschungsfrage und eröffnen einen differenzierten Einblick in die administrativen Organisationsstrukturen der medienpädagogischen Unterstützungssysteme, die zwischen den Bundesländern variieren. Im zweiten AP werden Experteninterviews zur Exploration der Deutungen (ebd., 25) auf der Ebene regionaler Unterstützungssysteme geführt. Hierbei wird pro Bundesland ein konkretes regionales Netzwerk medienpädagogischer Unterstützungssysteme beispielsweise zwischen Kreismedienzentren, medienpädagogischer Beratung und Schulämtern untersucht und ca. vier Interviews pro Netzwerk je untersuchtes Bundesland geführt. Anhand dieser Interviews werden FF2 und FF3 bearbeitet und subjektive Deutungen, Erfahrungen sowie (implizite) Arbeitsroutinen rekonstruiert. Die Interviews werden im Juni und Juli 2025 durchgeführt und anschließend mit der qualitativen Inhaltsanalyse (Kuckartz & Rädiker, 2024) ausgewertet.
Im Vortrag werden erste Erkenntnisse zu den bundeslandspezifischen Organisationsstrukturen und den subjektiven Deutungsmustern der interviewten Akteur:innen präsentiert und zur Diskussion gestellt. Der Fokus liegt auf einer ersten Analyse der erlebten Gelingensbedingungen und Herausforderungen vor dem Hintergrund bestehender Strukturen und Interaktionsbeziehungen. Ziel des Vortrags ist es, eine Diskussion anzuregen, wie diese Kooperationsstrukturen hinsichtlich der Bedingungen des Bildungssystems für eine erfolgreiche digitalisierungsbezogene Schulentwicklung gestaltet werden können.
Literaturverzeichnis
Berkemeyer, N. (2011). Unterstützungssysteme der Schulentwicklung zwischen Konkurrenz, Kooperation und Kontrolle. In H. Altrichter & H.-U. Grunder (Hrsg.), Professionswissen für Lehrerinnen und Lehrer / Hans-Ulrich Grunder … (Hrsg.): Bd. 7. Akteure & Instrumente der Schulentwicklung (S. 115–130). Schneider.
Dertinger, A. & Bärnreuther, C. (2024). Digital Education in German Primary Schools: A Challenge for School Leadership. In Ł. Tomczyk (Hrsg.), Communications in Computer and Information Science. New Media Pedagogy: Research Trends, Methodological Challenges, and Successful Implementations (Bd. 2130, S. 44–58). Springer Nature Switzerland. https://doi.org/10.1007/978-3-031-63235-8_3
Engec, L.‑I. (2022). Unterstützungssysteme - Unterwegs zu mehr Kooperation?! Zum (Zusammen-)Wirken von Akteuren der Unterstützungssysteme für Schulentwicklungsprozesse im Kontext der Digitalisierung. Medienpädagogik: Online-Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung, 49(Schulentwicklung), 204–228. https://doi.org/10.21240/mpaed/49/2022.06.29.X
Engec, L.‑I., Endberg, M., van Ackeren, I. & Universität Duisburg-Essen, A. B. (2021). Expertise zur Situation der Fortbildungs- und Unterstützungssysteme für Schulentwicklung im Kontext der Digitalisierung in Deutschland: Bundesweite Ergebnisse und grundlegende Einschätzungen aus dem Forschungsprojekt „ForUSE-digi“ im Rahmen des Metavorhabens „Digitalisierung im Bildungsbereich“. DuEPublico. https://doi.org/10.17185/duepublico/75251
Hasselkuß, M., Heinemann, A., Endberg, M. & Gageik, L. (Hrsg.). (2022). MedienPädagogik Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung: Bd. 49. Schulentwicklungsprozesse für Bildung in der digitalen Welt. https://doi.org/10.21240/mpaed/49.X
Hasselkuß, M., Heinemann, A., Endberg, M., Gageik, L., van Ackeren, I. & Kerres, M. (2022). Digitale Schulentwicklung in Netzwerken: Gelingensbedingungen schulübergreifender Kooperation bei der digitalen Transformation – DigiSchulNet. Universiät Duisburg-Essen. https://learninglab.uni-due.de/sites/default/files/DigiSchulNet_Abschlussbericht_DuePublico.pdf
Heldt, M., Lorenz, R. & Eickelmann, B. (2020). Relevanz schulischer Medienkonzepte als Orientierung für die Schule im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung. Unterrichtswissenschaft, 48(3), 447–468. https://doi.org/10.1007/s42010-020-00070-y
Herfurth, E. & Fereidooni, K. (2022). ‹Also, das wäre sehr hilfreich, wenn es dazu einfach auch einmal ein Konzept gäbe, was man Schulen an die Hand gibt. Dass nicht da jede Schule ewig ihr eigenes Süppchen kocht›: Eine qualitative Studie zu subjektiven Theorien schulischer Medienberatender in NRW über (Un)Möglichkeiten des schulischen Digitalisierungsprozesses. In M. Hasselkuß, A. Heinemann, M. Endberg & L. Gageik (Hrsg.), MedienPädagogik Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung: Bd. 49. Schulentwicklungsprozesse für Bildung in der digitalen Welt (S. 94–114). https://doi.org/10.21240/mpaed/49/2022.06.24.X
Hugger, Kai-Uwe, Tillmann, A., Witte, E. & Bührer, A. (2022). Relevanz von schulischen Medienbeauftragten und Schulleitungen für die digitalisierungsbezogene Lehrpersonenkooperation. In M. Hasselkuß, A. Heinemann, M. Endberg & L. Gageik (Hrsg.), MedienPädagogik – Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung: Bd. 49. Schulentwicklungsprozesse für Bildung in der digitalen Welt. OAPublishing Collective. https://doi.org/10.21240/mpaed/49/2022.10.14.X
Krein, U. (2022). ‹Hätten wir keinen Digitalpakt, hätten wir eine bessere Ausstattung›: Schulische Infrastruktur zwischen politischen Versprechungen und netzfreier Realität. In M. Hasselkuß, A. Heinemann, M. Endberg & L. Gageik (Hrsg.), MedienPädagogik Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung: Bd. 49. Schulentwicklungsprozesse für Bildung in der digitalen Welt (Bd. 49, S. 185–203). https://doi.org/10.21240/mpaed/49/2022.06.28.X
Krein, U. (2023). What’s your take on school leadership and digitalization? A systematic review of publications from the last 20 years. International Journal of Leadership in Education, 1–22. https://doi.org/10.1080/13603124.2023.2237939
Kuckartz, U. & Rädiker, S. (2024). Qualitative Inhaltsanalyse.: Methoden, Praxis, Umsetzung mit Software und künstlicher Intelligenz (6. Aufl.). Beltz Juventa.
Kultusministerkonferenz. (2017). Bildung in der digitalen Welt: Strategie der Kultusministerkonferenz. https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/PresseUndAktuelles/2017/Strategie_neu_2017_datum_1.pdf
Kultusministerkonferenz. (2021). Lehren und Lernen in der digitalen Welt: Die ergänzende Empfehlung zur Strategie "Bildung in der digitalen Welt". https://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2021/2021_12_09-Lehren-und-Lernen-Digi.pdf
Langer, A. & Moldenhauer, A. (2023). "für mich sind medien ein WERKzeug": Zum Sprechen über digitale Medien im Anspruch von Schulentwicklung. In M. Proske, K. Rabenstein, A. Moldenhauer, S. Thiersch, A. Bock, M. Herrle, M. Hoffmann, A. Langer, F. Macgilchrist, N. Wagener-Böck & E. Wolf (Hrsg.), Schule und Unterricht im digitalen Wandel: Ansätze und Erträge rekonstruktiver Forschung (S. 112–136). Julius Klinkhardt.
Rau, F., Gerber, L. & Grell, P. (2022). Kooperation zwischen ‹Zuarbeit›, ‹Beratung› und ‹Entwicklungspartnerschaft›: Reflexionen aus dem Darmstädter Modellschulprojekt zur Kooperation von Wissenschaft und Praxis in entwicklungsorientierter Bildungsforschung. In M. Hasselkuß, A. Heinemann, M. Endberg & L. Gageik (Hrsg.), MedienPädagogik – Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung: Bd. 49. Schulentwicklungsprozesse für Bildung in der digitalen Welt. OAPublishing Collective. https://doi.org/10.21240/mpaed/49/2022.10.12.X
Schiefner-Rohs, M. (2019). Schulleitung in der digital geprägten Gesellschaf. In H. Buchen & H.-G. Rolff (Hrsg.), Beltz Handbuch. Professionswissen Schulleitung (5. Aufl., S. 1402–1419). Beltz.
Viertel, M., Breiter, A., Zeising, A. & Detlof, D. (2022). Digitalisierung als Daueraufgabe: Schulische Organisationsentwicklung zwischen neuer Verbindlichkeit und zunehmender Arbeitsverdichtung. In M. Hasselkuß, A. Heinemann, M. Endberg & L. Gageik (Hrsg.), MedienPädagogik – Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung: Bd. 49. Schulentwicklungsprozesse für Bildung in der digitalen Welt (S. 450–471). OAPublishing Collective. https://doi.org/10.21240/mpaed/49/2022.11.03.X
Zala-Mezö, E., Egli, J. & Häbig, J. (2022). Zwischen Ablehnung und Befürwortung: Schulische Positionierungen zur Nutzung digitaler Medien vor dem Hintergrund des Corona-Lockdowns. In M. Hasselkuß, A. Heinemann, M. Endberg & L. Gageik (Hrsg.), MedienPädagogik Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung: Bd. 49. Schulentwicklungsprozesse für Bildung in der digitalen Welt (Bd. 49, S. 48–67). https://doi.org/10.21240/mpaed/49/2022.06.22.X
Digitale Schreibprozesse in der Grundschule - Skribi als Impuls für eine digitale Schreibdidaktik
Juliane Tolle
Technische Universität Chemnitz, Deutschland
Zusammenfassung
Die digitale Transformation schulischer Lehr- und Lernprozesse erfordert eine grundschulspezifische, didaktisch fundierte Auseinandersetzung mit digitalen Werkzeugen, insbesondere im Bereich der Schreibförderung. Der vorliegende Beitrag untersucht, wie digitale Schreibumgebungen das Schreiben in der Primarstufe verändern können. Im Zentrum steht die digitale Lernumgebung Skribi, die im Rahmen eines vom Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen geförderten Projekts entwickelt wurde.
Mit Skribi können Schülerinnen und Schüler der Klassen 2 bis 6 Schreibprozesse an digitalen Endgeräten selbstständig und kollaborativ gestalten. Komplexe Schreibaufgaben werden dabei in die Teilprozesse Planen, Formulieren und Überarbeiten gegliedert. Diese Strukturierung entlastet insbesondere Kinder mit geringerem Schreibvermögen und regt sie zugleich an, sich systematisch mit ihrem Text auseinanderzusetzen.
Ein zentrales Potenzial liegt in der Förderung kollaborativer Schreibprozesse. Durch gemeinsame Textproduktion, gegenseitiges Überarbeiten und das Kommentieren rücken Schreibhandlungen, die weniger das fertige Produkt als den interaktiven, dialogischen Prozess fokussieren, in den Vordergrund. Die Lernenden entwickeln sich zu vernetzt schreibenden Subjekten. Die Teilprozesse greifen stärker ineinander, wodurch adressatenorientiertes Schreiben an Bedeutung und Qualität gewinnt. Schreibprozesse werden im Sinne einer sozialen Praxis erfahrbar, in der das Weltwissen der Lernenden aktiviert und kooperativ eingebracht wird.
Skribi erlaubt darüber hinaus eine binnendifferenzierte Gestaltung von Schreibaufträgen. Lehrkräfte können differenzierte Aufgaben an einzelne Schüler:innen, Gruppen oder die gesamte Klasse richten und Schreibprozesse über einen längeren Zeitraum begleiten. So wird sowohl individuelles Lernen als auch kooperatives Arbeiten gefördert – innerhalb einer lernförderlichen digitalen Infrastruktur.
Der Beitrag reflektiert dieses didaktische Potenzial kritisch und kontextualisiert es im Spannungsfeld zwischen technischer Innovation und pädagogischer Kontinuität. Er diskutiert, inwieweit Skribi exemplarisch für eine digital gestützte, partizipativ ausgerichtete und wirksame Schreibdidaktik stehen kann und welche didaktischen, sozialen und organisatorischen Herausforderungen damit verbunden sind.
Literaturverzeichnis
Abraham, U. (2014). Digitale Schreib-, Präsentations- und Publikationsmedien. In V. Frederking, A. Krommer & T. Möbius (Hrsg.), Digitale Medien im Deutschunterricht (S. 269–289). Schneider Verlag Hohengehren.
Bachmann, T., & Becker-Mrotzek, M. (2010). Schreibaufgaben situieren und profilieren. In T. Pohl & T. Steinhoff (Hrsg.), Textformen als Lernformen (S. 191-210). Gilles & Franke.
Fix, M. (2008). Texte schreiben. Schreibprozesse im Deutschunterricht (2. Aufl.). UTB.
Krelle, Michael (2021): Perspektiven auf eine schreibdidaktische Kultur der Digitalität. In: Krammer, Stefan/ Leichtfried, Matthias/ Pissarek, Markus (Hrsg.): Deutschunterricht im Zeichen der Digitalisierung. Innsbruck, Wien: StudienVerlag. S. 19-30.
Lehnen, K. (2014). Schreibdidaktik und neue Medien. In H. Feilke & T. Pohl (Hrsg.), Schriftlicher Sprachgebrauch. Texte verfassen (S. 432-450). Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren.
Handlungsroutinen von Lehrkräften im Umgang mit digitalen Lehr- und Lernmaterialien
Marie Heijens, Tobias Heinemann
Universität zu Köln, Deutschland
Zusammenfassung
Lehr-/ Lernmaterialien sind von zentraler Bedeutung für die didaktische Strukturierung und die inhaltliche Aufbereitung des Unterrichts. Sie verleihen den curricularen Vorgaben ihre konkrete Akzentuierung, weshalb auch häufig auf die Charakterisierung als “heimliche Lehrpläne” rekurriert wird (u. a. Kühberger & Windischbauer, 2016, S. 19). Seit jeher steht hier das Schulbuch – vom Deutschen Bildungsrat im Jahre 1969 als die „eigentliche Großmacht der Schule“ bezeichnet – im Fokus der Bildungsforschung. Dabei übersteigt das Gewicht, das dem einst unangefochtenen “Leitmedium” des Unterrichts (Hiller, 2012) beigemessen wird, die (fach-)didaktische Funktionalität. Insbesondere aufgrund ihres Einsatzes in der institutionalisierten Bildung nachkommender Generationen wird aus mediensoziologischer Perspektive von einer soziokulturellen Prägekraft ausgegangen und Schulbücher als Träger gesellschaftlich in besonderer Weise anerkannten Wissens verstanden (u. a. Fey, 2015, S. 33–36; Höhne, 2003, S. 78–80).
Nun hat sich im Zuge der Digitalisierung jedoch ein ebenso breit gefächertes wie niedrigschwellig abrufbares Angebot digitaler Unterrichtsmaterialien als Ergänzung respektive Alternative zum Schulbuch etabliert (Neumann, 2016). Über das Internet lassen sich einzelne Arbeitsblätter, elaborierte Stunden- oder ganze Reihen-Entwürfe herunterladen. Neben der Vielzahl verfügbarer Materialien sticht die Pluralität der Anbieter hervor. Einerseits digitalisieren Schulbuchverlage ihr Portfolio, andererseits engagieren sich beispielsweise Unternehmen, Gewerkschaften, Stiftungen und NGOs in der Produktion online distribuierter Materialien. Sie unterliegen dabei keinerlei kultusministeriellen Prüfungen oder vergleichbaren Qualitätskontrollen, wie sie im Falle von Schulbüchern in 11 der 16 Bundesländer nach wie vor durchgeführt werden (KMK, 2025).
Inwieweit sich die neuen Möglichkeiten im schulischen Alltag (auch im Vergleich zu konventionellen Bildungsmedien) niederschlagen, wie Lehrkräfte deren Qualität, mögliche Chancen sowie potenzielle Herausforderungen einschätzen, welche Strategien sie bei der Materialauswahl verfolgen und wie die Faktoren miteinander zusammenhängen, wird in diesem Beitrag untersucht. Die empirische Basis für diese Analysen stellen Befragungsdaten von 270 Lehrkräften dar, die im Rahmen des Projektes “ReTransfer – Re-Innovation und Transfer digitaler Fachkonzepte in der gesellschaftswissenschaftlichen Lehrkräftebildung im Kontext von digitaler Souveränität und offenen Bildungspraktiken” zwischen November 2024 und März 2025 durch einen digitalen, halbstandardisierten Fragebogen erhoben wurden.
Die Ergebnisse verdeutlichen in Übereinstimmung mit dem Forschungsstand (Buntins et al., 2024), dass sich die Verwendung digitaler Unterrichtsmaterialien im Schulalltag von Lehrkräften etabliert hat. 97 % geben an, Lehr-/Lernmittel aus dem Internet zu nutzen. Zugleich zeigt sich, dass das Schulbuch und “eigenständig entwickelte Unterrichtsmaterialien” im Mittel (weiterhin) häufiger eingesetzt werden. Bei der inhaltlichen Beurteilung der Materialien fühlen sich die Lehrkräfte sicher. Nahezu alle sehen eine Notwendigkeit, Unterrichtsmaterialien aus dem Internet besonders kritisch zu prüfen. Dementsprechend wird die Gefahr von Werbung und Lobbyismus als größter Nachteil eingeschätzt, was auch durch diverse wissenschaftliche Analysen dieser Materialien bekräftigt wird (z. B. Hedtke et al., 2019, S. 137–138). Generell wird die Qualität von Materialien aus dem Internet allerdings eher hoch beurteilt und sie werden überwiegend als adäquate Alternative zum Schulbuch betrachtet. Die Einschätzung der Qualität korreliert darüber hinaus positiv mit der Nutzungshäufigkeit. Trotz der wahrgenommenen besonderen Prüfungsbedürftigkeit und der Annahme, die Materialien gut beurteilen zu können, zeigen sich bei dem offen gestalteten Item hinsichtlich verfolgter Strategien bei der Materialauswahl, dass selten zu einer Kombination mehrerer Ansätze gegriffen wird. Stattdessen wird es oft bei einer einfachen Überprüfung der Quellen belassen. Darüber hinaus offenbaren die Freitextantworten, dass KI-Tools wie ChatGPT inzwischen eine nicht unerhebliche Rolle im Rahmen der Vorbereitung von Unterrichtsmaterialien einnehmen. Aus diesen Ergebnissen ergeben sich vielfältige Ansatzpunkte für die Entwicklung von Professionalisierungsmaßnahmen sowie weiterführende Forschungsbemühungen.
Literaturverzeichnis
Buntins, K., Diekmann, D., Klar, M., Rittberger, M., & Kerres, M. (2024). Material teilen? Praktiken bei der Entwicklung und Nutzung digitaler Unterrichtsmaterialien von Lehrpersonen in Deutschland. MedienPädagogik (Occasional Papers), 1–33. https://doi.org/10.21240/mpaed/00/2024.01.10.X
Fey, C.-C. (2015). Kostenfreie Online-Lehrmittel. Eine kritische Qualitätsanalyse. Julius Klinkhardt.
Hedtke, R., Kahle, P., Middelschulte, H., & Sack, D. unter Mitarbeit von Johanna Heimann (2019). Kontroversität und Wissenschaftlichkeit in Materialien und Vorgaben für die sozioökonomische Bildung (KoWiMa). Forschungsinstitut für gesellschaftliche Weiterentwicklung (e.V.i.L.). https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-68359-3
Hiller, A. (2012). Das Schulbuch zwischen Internet und Bildungspolitik. Konsequenzen für das Schulbuch als Leitmedium und die Rolle des Staates in der Schulbildung [Dissertation, Bauhaus-Universität Weimar]. Tectum Verlag.
Höhne, T. (2003). Schulbuchwissen. Umrisse einer Wissens- und Medientheorie des Schulbuchs [Dissertation, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main]. Books on Demand.
Kultusministerkonferenz (KMK) (2025). Übersicht zu Internetinformationen der Länder über zugelassene Lehr- und Lernmittel. https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/Bildung/AllgBildung/2025-02-11-Laenderumfrage-Lernmittel-Internetadr-akt.pdf
Kühberger, C., & Windischbauer, E. (2016). Schulgeschichtsbücher – Korpus und nationale Systeme. In C. Kühberger, & D. Mellies (Hrsg.), Inventing the EU. Zur De-Konstruktion von „fertigen Geschichten“ über die EU in deutschen, polnischen und österreichischen Schulgeschichtsbüchern (S. 18–29). Wochenschau Verlag.
Neumann, D. (2016). Open Educational Resources (OER) oder Kostenloses Lehrmaterial aus dem Internet. Marktanalyse 2016 und Aktualisierung der Diskussion. https://doi.org/10.25656/01:12671
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