Veranstaltungsprogramm

Sitzung
S18: Annäherung an eine kritisch-operative Theorie der digitalen Schulentwicklung
Zeit:
Dienstag, 30.09.2025:
14:45 - 16:15

Ort: H08

Hörsaal Erdgeschoss Quergang

Präsentationen

Annäherung an eine kritisch-operative Theorie der digitalen Schulentwicklung

Chair(s): Ralf Koerrenz (Friedrich-Schiller-Universität Jena, Projektverbund Schulentwicklung: Digital - Demokratisch (SchuDiDe)), Anne Stiebritz (Friedrich-Schiller-Universität Jena, Projektverbund Schulentwicklung: Digital - Demokratisch (SchuDiDe)), Christoph Schröder (Friedrich-Schiller-Universität Jena, Deutschland, Projektverbund Schulentwicklung: Digital - Demokratisch (SchuDiDe))

Diskutant:in(nen): Sarah Ganss (Friedrich-Schiller-Universität Jena, Projektverbund Schulentwicklung: Digital - Demokratisch (SchuDiDe))

Zusammenfassung

Ausgehend von der Prämisse, dass menschliches Lernen über die intentionale Gestaltung von Wahrnehmungsangeboten gesteuert wird (vgl. Koerrenz 2023, S. 16), ist zwischen innerer und äußerer Lernsteuerung zu unterscheiden, die begrifflich wie konzeptionell mit Bildung bzw. mit Erziehung bezeichnet werden.

An keinem anderen Ort treffen innere und äußere Lernsteuerung, also Bildung und Erziehung, so konzentriert aufeinander wie im System Schule. Über verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten der äußeren Lernsteuerung (Erziehung) wird an Schulen der Alltag aller schulischen Akteure organisiert und strukturiert. Systematisch sind diese Gestaltungsmöglichkeiten fünf Ausdrucksformen zugeordnet (vgl. Koerrenz 2023). Eine von fünf Grundformen der Erziehung ist die Face-to-Face Kommunikation, also die direkte Interaktion zwischen Lehrkräften und Schüler:innen im System Schule. Die Steuerung von Wahrnehmungsangeboten durch die Gestaltung von curricularen Lehrplänen oder die Steuerung des Lernens durch die Gestaltung, Duldung oder Kritik sozialer und materialer Strukturen sind weitere Ausdrucksform. Mit diesen Formen wird nicht nur entschieden, was SchülerInnen präsentiert werden soll, sondern vor allem wird sich durch Selektion darüber verständigt, was für SchülerInnen altersgemäß ist und wovor es sie zu schützen gilt.

Wie kein anderer gesellschaftlicher Transformationsprozess stellt die Digitalisierung die skizzierten Ausdrucksformen im System Schule und die Funktion von Schule in einer demokratischen Gesellschaft auf den Prüfstand (vgl. KMK 2021). Das Symposium geht dieser These in mehreren Schritten nach:

In einem ersten Beitrag setzt Ralf Koerrenz die Prinzipien der kritisch-operativen Pädagogik in Beziehung zur digitalen Schulentwicklung. In bisherigen Ansätzen liegen die Schwerpunkte vordergründig in der Bestimmung von Zielen der digitalen Schulentwicklung, die aus analysierten Defiziten an Schulen und insbesondere bei SchülerInnen abgeleitet werden (vgl. dazu exemplarisch Eickelmann et. al 2024, S.7-45). Der operative Zugang ermöglicht hingegen die analytische Beschreibung pädagogischer Prozesse unabhängig von spezifischen Themenschwerpunkten und Zielvorgaben.

In zwei weiteren Beiträgen werden exemplarisch Einordnungen der kritisch-operativen Pädagogik im Kontext konkreten Entwicklungen im Schulnetzwerk von SchuDiDe vorgenommen.

Zunächst geht Anne Stiebritz der Frage nach, wie sich die Face-to-Face-Kommunikation und das damit verbundene Autoritätsverhältnis im Zuge der Digitalisierung neu ordnen und gestalten lassen. Auf der Grundlage der Praxiserfahrungen im Teilprojekt Digitale Projekttage wird gezeigt, wie die Erfahrungen und Expertisen von SchülerInnen nicht nur sichtbar gemacht, sondern auch in didaktische Formen gebracht werden können, von denen schlussendlich Lehrkräfte und Schulentwicklungsteams profitieren. Solche pädagogisch begleiteten Perspektivwechsel ermöglichen zudem einen produktiven Austausch über die hybriden Lebensrealitäten, Erfahrungen und Anliegen von SchülerInnen sowie deren Partizipation an schulspezifischen Entwicklungsprozessen (vgl. Eikel, 2016).

Eine zweite Einordnung erfolgt von Christoph Schröder durch die Analyse alternativer curricularer Lehrpläne durch rechte Akteure auf Social-Media-Plattformen wie TikTok. Es hat sich eine spezifische Konkurrenzsituation entwickelt (vgl. dazu Schönwetter 2021), die die Schule als Autorität in der Wissens- und vor allem Wertevermittlung vor neue Herausforderungen stellt. Zugleich werden Schulen und Lehrkräfte zunehmend zu Feindbildern stilisiert (vgl. Heil 2022, S. 41-43; Behrens et.al 2021, S. 270). Demokratiefeindliche Akteure nutzen dafür gezielt die Gestaltungsmöglichkeiten von Social-Media-Plattformen, um ihre alternativen curricularen Lehrpläne zu implementieren. Herausgearbeitet wird, welcher Strategien sich die Akteure bedienen, um die eigenen Angebote für junge Menschen attraktiver erscheinen zu lassen (vgl. Schnabel/Berendsen 2024) und welche präventiven und intervenierenden Handlungsoptionen Schulen haben.

In der Verbindung von kritisch-operativer Pädagogik und den analytisch eingeordneten Fallbeispielen werden abschließend erste Überlegungen zur Erweiterung von Modellen digitaler Kompetenzen formuliert und Konturen eines zentralen Bausteins digital-demokratischer Schulentwicklungsforschung vorgestellt.

Literaturverzeichnis

Andresen, S. (2018): Rechtspopulistische Narrative über Kindheit, Familie und Erziehung. In: Zeitschrift für Pädagogik, 64 (6), S. 768-787.

Behrens, R./Besand, A./Breuer, S. (2021): Politische Bildung in reaktionären Zeiten. Plädoyer für eine standhafte Schule. Frankfurt am Main. Wochenschau Verlag.

Busch, M. (2018). Auf dem Weg zu einer demokratischen Schulkultur. In: Mateneen. Praxishefte Demokratische Schulkultur (1), S. 5-8.

Busch, M. (2020). Demokratiebildung in der digitalisierten Gesellschaft. In: Mateneen. Praxishefte Demokratische Schulkultur (4), S. 5-13.

Eickelmann, B./Fröhlich, N./Bos, W./Gerick, J./Goldhammer, F./Schaumburg, H./Schwippert, K./Senkbeil, M./Vahrenhold, (2024): Die IEA-Studie ICILS 2023 – Informationen zur Anlage und Durchführung der Studie. In: Dies. (Hrsg): ICILS 2023 #Deutschland. Computer- und informationsbezogene Kompetenzen und Kompetenzen im Bereich Computational Thinking von Schüler*innen im internationalen Vergleich. Münster/New York. Waxmann Verlag, S. 7-45.

Eikel, A. (2016): Demokratische Partizipation in der Schule. In: Deutsche Gesellschaft für Demokratiepädagogik e.V. (Hrsg.): (DeGeDe)Hommage an die Demokratiepädagogik – 10 Jahre DeGeDe, S. 164-180.

Friedrich, S./Schniederjann, N. (2024): Unsichere Zukunft, autoritäre Antwort. In: Blätter für deutsche und internationale Politik, 9, S. 73-78.

Gawert, M./Saur, L. (2024): Die Analyse von schulpolitischen Positionen rechtspopulistischer Akteur*innen in Sozialen Medien – ein methodischer Vorschlag. In: Bildung und Erziehung, 77, S. 467-482.

Hafenberger, B./Jestädt, H./Klose, L./Lewek, P. (2018): AfD in Parlamenten. Themen, Strategien, Akteure. Frankfurt am Main, Wochenschau Verlag.

Heil, M. (2022): Die Neutralisierung der Lehrkraft. Indoktrinierende Lehrer*innen als „folk devils“. In: Steve Kenner/Tonio Oeftering (Hg.), Standortbestimmung Politische Bildung. Gesellschaftspolitische Herausforderungen, Zivilgesellschaft und das vermeintliche Neutralitätsgebot. Frankfurt am Main. Wochenschau Verlag, S. 39-48.

Kanwischer, D./Gryl, I. (2022): Bildung, Raum und Digitalität. Neue Lernumgebungen der Diskussion. In: Die Deutsche Schule 114 (1), S. 34-45.

Koerrenz, R. (2022): Bildung. Eine Theorie der Postmoderne. Weinheim/Basel. BeltzJuventa.

Koerrenz, R. (2023): Erziehung. Eine Theorie der Aufklärung. Weinheim/Basel. BeltzJuventa.

Krommer, A. (2021): Mediale Paradigmen, palliative Didaktik und die Kultur der Digitalität. In: Hauck-Thum, U./Noller, J. (Hrsg.): Was ist Digitalität? Philosophische und pädagogische Perspektiven. Berlin: J.B. Metzler, S. 57-72.

Kultusminister Konferenz (2021): Lehren und Lernen in der digitalen Welt. Die ergänzende Empfehlung zur Strategie „Bildung in der digitalen Welt“. URL: https://www.kmk.org/themen/bildung-in-der-digitalen-welt/strategie-bildung-in-der-digitalen-welt.html, letzter Zugriff: 26.03.2025.

Schnabel, D./Berendsen, E. (2024): Das Tik-Tok-Universum der (extremen) Rechten. Trends, Strategien und Ästhetik in der Social-Media Kommunikation. URL: https://www.bs-anne-frank.de/mediathek/publikationen/das-tiktok-universum-der-extremen-rechten, letzter Zugriff: 18.03.2025.

Schönwetter, S. (2021): Politik – (k)ein Thema für Digital Natives? In: Bundesarbeitskreis Arbeit und Leben. e.V. (Hrsg.): Vernetzt? Verstrickt? Verloren? Meinungsbildung jugendlicher und digitale Medien. S. 19-23. URL: https://arbeitundleben.de/medien/publikationen/item/vernetzt-verstrickt-verloren, letzter Zugriff: 26.03.2025.

Stalder, F. (2021): Kultur der Digitalität. Berlin: Suhrkamp.

Stiebritz, A. (2025 (eingereicht)): Demokratie als Partizipation. Drei Fallvignetten zur Schulentwicklung. In: Pädagogische Rundschau, Band 83, 5/2025.

Unger, H. v. (2014). Partizipative Forschung: Einführung in die Forschungspraxis. Wiesbaden: Springer VS.

 

Beiträge des Symposiums

 

Digitale Schulentwicklung und kritisch-operative Pädagogik

Ralf Koerrenz
Friedrich-Schiller-Universität Jena, Projektverbund Schulentwicklung: Digital - Demokratisch (SchuDiDe)

Entwicklungsprozesse setzen intensive Kommunikation und Abstimmungen innerhalb von Gruppen voraus. Im schulischen Kontext sind dies sehr unterschiedliche Personengruppen von der Ebene der Schulleitungen über Lehrerinnen und Lehrer, das unterstützende pädagogische und technische Personal bis hin natürlich zu den Schülerinnen und Schülern. Kommunikation und Abstimmungen erfolgen über Sprache und sprachlich vermittelte Ordnungsvorstellungen. Das beginnt bei Worten wie „Klasse“, „Unterricht“, „Lehrplan“ und geht weiter bis zu Leitmotiven wie „Eigenständigkeit“, „Demokratie“ oder „Digitalisierung“. Worte und sprachliche Ordnungen haben eine eigene Wirkmacht, weil sie durch das Sortieren der Praxis die Aufmerksamkeit auf bestimmte Dinge richten, andere Aspekte jedoch aus dem Blickfeld schieben. Durch Digitalisierung ist ebenso wie durch Anfragen globaler Menschenrechte und postkolonialer Menschenwürde unsere sprachliche Ordnung zur Kommunikation und Abstimmung in Schule und generell der pädagogischen Handlungsformen in einer neuen Qualität fraglich geworden. Dies gilt insbesondere für pädagogische Leitbegriffe wie „Erziehung“ oder „Bildung“. Es hat sich etabliert, diese Begriffe als Kofferworte zu verwenden, in die Jede und Jeder das hineinpacken kann, was einem gerade in den Sinn kommt. Auf den ersten Blick gewährleistet dies ein ziemlich reibungsloses Kommunizieren und Abstimmen, weil sich Jede und Jeder auszudrücken vermag. Auf den zweiten Blick wird jedoch deutlich, dass diese vermeintlich reibungslose Kommunikation und Abstimmung damit bezahlt wird, dass Dinge (auch digitaler Schulentwicklung) als unverbundene Fragmente nebeneinander stehen bleiben und Erfolg bzw. Effektivität von Maßnahmen nur als kurzfristig sichtbare, letztlich jedoch unverbundene Schlagzeilen aufscheinen.

Im Vortrag wird anhand weniger Stichworte der Ansatz einer kritisch-operativen Pädagogik (KoP) skizziert, mit deren Hilfe diese faktische Sprach- und Orientierungslosigkeit thematisiert und auf längere Sicht sogar teilweise behoben werden kann. Die KoP wurde aus der Praxis (von Schule, Jugendarbeit und Familienerziehung) mit einem starken Fokus auf die Lernenden entwickelt als ein Konzept, in dem Lernen einerseits als anthropologische Voraussetzung der Kulturtradierung und die (vielfältige) Lernsteuerung andererseits als zentrale Funktion der pädagogischen Praxis steht. Pädagogik wird dabei als Wissenschaft und Praxis der absichtsvollen Lernsteuerung im Dienst der menschlichen Kultur verstanden.

Dieses Konzept ermöglicht es unter anderem, schulische Praxis über die Stufenfolge Teilnehmen, Zuhören, Beobachten (erster Schritt), ins Gespräch kommen, gemeinsam deuten (zweiter Schritt) und nach spezifischen (Einzelschule) Lösungsansätzen suchen (dritter Schritt) in einem allgemeinen pädagogischen Grundverständnis (KoP) zu erforschen. Darauf kann auch die Entwicklung von Formaten der Fort- und Weiterbildung in einem anderen Rahmen aufbauen. In letzter Konsequenz geht es dabei immer um die lernenden Schülerinnen und Schüler und die immer mitlernenden Lehrerinnen und Lehrer angesichts einer komplexen Gemengelage an absichtsvoll das Lernen steuernden Impulsen, die Schule als Ganzes und Unterricht im Besonderen beeinflussen.

Digitale Schulentwicklung ist ein Musterbeispiel dafür, dass sich diese Gemengelage an absichtsvoll das Lernen steuernden Impulsen weiter verkompliziert hat, gleichzeitig aber mit tradierten Modellen von Erziehung oder Bildung nicht mehr umfasst werden kann. Dies führt notwendig zu einer Fragmentierung oder einer letztlich nur politischen (aber nicht pädagogischen) Darstellung von digitaler Schulentwicklung als einem einheitlichen Prozess. Mit KoP wird es möglich, auch die Kluft zwischen Digitalisierung als Entwicklung und Optimierung digitaler Kompetenzen (in schulischen und unterrichtlichen Abläufen) einerseits und Digitalisierung als allumfassender Kultur der Digitalität sichtbar und damit auch operativ überwindbar zu machen. (Aus der Praxis selbst gewonnene) Theorie kann in diesem Sinne Praxis dabei helfen, sich selbst im gemeinsamen Aufeinander-Hören als Teil eines umfassenden pädagogischen Settings neu zu positionieren und zu justieren. Vielfalt der Einzelschulen und die Gesamtheit digitaler Schulentwicklung als wesentlicher Teil einer umfassenden kulturellen Transformation können und müssen über sprachlich vermittelte Ordnungsvorstellungen in Beziehung zueinander gesetzt werden. Im Rahmen des Symposiums wird gezeigt, wie in der Arbeit in einem konkreten Schulnetzwerk im Dialog mit Schulen und einem Fokus auf Aspekten der Demokratiepädagogik auch Fragen und Perspektiven der Fort- und Weiterbildung von Lehrerinnen und Lehrern entwickelt werden können.

 

Ein Anwendungsbeispiel Kritisch-operativer Pädagogik: Analyse von Schüler:innen-Lehrer:innen-Interaktion und Impulse für eine digital-demokratische Schulentwicklung.

Anne Stiebritz
Friedrich-Schiller-Universität Jena, Projektverbund Schulentwicklung: Digital - Demokratisch (SchuDiDe)

Der Beitrag basiert auf schulpraktischen Beobachtungen und Erfahrungen des Entwicklungsprojekts DigiPro (Digitale Projekttage und Projektwochen als Elemente der Schulentwicklung), die mit der Kritisch-operativen Pädagogik (KoP; vgl. Koerrenz 2023) als theoretischem Bezugsrahmen beschrieben, sortiert und schließlich mit Blick auf eine Idee von digital-demokratischer Schulentwicklung diskutiert werden.

Zum Projekt DigiPro: Im Kern geht es um die Erprobung von Formaten des Perspektive- und Rolle-Wechselns von Lernenden und Lehrenden und damit verbunden um die Erkundung von partizipatorischen Möglichkeitsräumen. Angestrebt wird, Modelle zu entwickeln, die eine Verständigung zwischen Schüler:innen und Lehrer:innen zum Umgang mit Digitalisierung und Digitalität (vgl. Stalder 2021) initiieren bzw. befördern und in innerschulische Verständigungs- und Aushandlungsprozesse überführen. Die digitale Transformation wird hierbei als Anlass und inhaltlicher Gegenstand für mehr Partizipation (im Sinne eines gemeinsamen Entwicklungs- und Gestaltungsauftrags für alle schulischen Akteure) und damit Demokratiebildung verstanden. Erprobt werden Formate, die niedrigschwellig sind und damit auch Erfahrungen, Expertisen und Perspektiven von Schüler:innen sicht- und hörbar machen, die in etablierten Repräsentationsformen wie der Schüler:innenmitverwaltung nicht oder wenig vertreten sind. In einem ersten Schritt wird gemeinsam mit Schüler:innen zu ihren lebensweltlichen, hybriden Erfahrungen gearbeitet, um diese in Unterricht und Schulleben (vgl. Busch, 2020:6) sichtbar und bearbeitbar zu machen. In einem zweiten Schritt geht es darum, die Erfahrungen der Schüler:innen als Expertise und Position in die jeweils schulspezifischen Entwicklungsprozesse und in die Lehrkräftefortbildung einzubringen (vgl. Eikel, 2016 sowie Busch, 2018). Auf der Grundlage der vielgestaltigen Praxiserfahrungen werden adaptierbare didaktische Modelle und Fortbildungsmodule entwickelt, von denen Lehrkräfte und Schulentwicklungsteams profitieren. Die forschungsstrategische Orientierung am Design-Based-Research-Ansatz ermöglicht dabei eine Haltung des Miteinanders von Wissenschaft und Schulgemeinschaft: Schulen sind nicht Objekte, die beforscht werden, sondern Partner in einem gemeinsamen Prozess, in dem von- und miteinander gelernt werden kann (vgl. Unger 2014; Stiebritz 2025). Der Forschungs- und Entwicklungsraum ist ein Schulnetzwerk in Thüringen und Sachsen, das eine Bandbreite hinsichtlich Konzeption und Größe der Schulen, sozialräumlicher Verortung sowie „Grad“ der Digitalisierung von Schule und Unterricht aufweist.

Zum Beitrag: Im Fokus steht die Frage danach, wie sich die direkte Interaktion zwischen Lehrkräften und Schüler:innen im System Schule und das damit verbundene Autoritätsverhältnis angesichts der fundamentalen Verschiebungen im Zuge der digitalen Transformation (neu) ordnen und gestalten lassen (vgl. Krommer 2021). Ausgewählte Beispiele (auf der Grundlage von Beobachtungen während Hospitationen und Projektaufenthalten an den Partnerschulen sowie Erfahrungen aus der eigenen schulischen Projektarbeit) werden mit der systematischen Perspektive der KoP analysiert und theoretisch rückgebunden diskutiert (vgl Koerrenz 2023). Konkret wird dazu die „erzieherische Matrix: Befähigung und Angewiesenheit, Ermächtigung und Disziplinierung“ (Koerrenz 2023, S. 24) als analytischer und ordnender Schlüssel für die Auseinandersetzung mit exemplarischen Beobachtungen und Erfahrungen der DigiPro-Projektarbeit genutzt. Damit wird das je unterschiedliche Arrangement dieser vier Aspekte in den Beispielen der Face-to-Face-Kommunikation zunächst beschrieben und so einer Analyse zugänglich gemacht, um bspw. Verschiebungen, Spannungsfelder sowie Neuordnungen bzw. Erprobungen von Neuordnung sichtbar zu machen.

Der Beitrag verdeutlicht damit auch das Potenzial, Beobachtungen und Erfahrungen in der pädagogischen Praxis mit der KoP zu beschreiben, zu analysieren und zu erklären. Vorgestellt wird somit eine praxisorientierte Anwendung eines theoretischen Konzepts. Weiterführend geben die so gewonnenen Erkenntnisse auch konkrete Impulse für das konzeptionelle Weiterdenken einer Idee von digital-demokratischer Schulentwicklung und schulspezifischer Entwicklungsprozesse.

 

Ein Anwendungsbeispiel Kritisch-operativer Pädagogik: Alternative curriculare Lehrpläne als Herausforderung für die demokratische Schulkultur

Christoph Schröder
Friedrich-Schiller-Universität Jena, Projektverbund Schulentwicklung: Digital - Demokratisch (SchuDiDe)

Im Rahmen des Teilprojekts EOddS (Ethische Orientierungen digital-demokratischer Schulentwicklung) wurden gemeinsam mit Lehrkräften ethische Herausforderungen im Kontext der Digitalisierung der Schulkultur erörtert. Als eine solche Herausforderung wurde die Einflussnahme rechter Akteure auf den schulischen Alltag identifiziert. Durch ihre Präsenz auf Social-Media-Plattformen erreichen diese Akteure auch immer mehr Schüler:innen. Die kritisch-operative Pädagogik (KoP, vgl. Koerrenz 2023) ermöglicht eine theoriebasierte Einordnung dieses Phänomens, was am Beispiel von (alternativen) curricularen Lehrplänen veranschaulicht werden soll.

Curriculare Lehrpläne sind Ausdruck gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse von Normalität. Diese Prozesse sind als begründete Selektionsverfahren zu verstehen (vgl. ebd., S. 99 f.). Es wird entschieden, welche Inhalte und Kompetenzen an Schüler:innen vermittelt werden sollen und welche nicht. Die Ergebnisse dieser Verfahren sind einsehbar; die zuständigen Behörden stellen Lehrpläne zur Einsicht auf ihren jeweiligen Internetauftritten zu verfügen. Entsprechend können sich auch Schüler:innen darüber informieren, welche Inhalte und Kompetenzen als relevant für sie eingestuft und im Unterricht vermittelt werden sollen.

Curriculare Lehrpläne sind aber immer auch Ausdruck bildungspolitischer Autorität. Diese liegt im bundesrepublikanischen Kontext schlussendlich bei den Kultusministerien der Länder. Die Alternative für Deutschland (AfD) erkennt diese Autorität einerseits an, stellt sie aber andererseits zunehmend in Frage. Eine strategische Anerkennung erfährt die Autorität der Kultusministerien dahingehend, dass die AfD in ihren Wahlprogrammen und Positionspapieren zur Ausrichtung von Lehrplänen und im Allgemeinen zu bildungspolitischen Diskussionen Stellung bezieht (vgl. Hafenberger et. al 2018). Andererseits initiieren die Partei und zahlreiche Unterstüzer:innen auf Social-Media Plattformen gezielte Angriffe auf diese Autorität, die sich konkret auch gegen die Institution Schule als Ort der Demokratiebildung und Lehrkräfte richten (vgl. Heil 2022). Insgesamt kann festgehalten werden, dass sowohl die AfD als auch rechte Akteure auf Social-Media-Plattformen gezielt die Sorgen und Unsicherheiten junger Menschen ansprechen (vgl. Friedrich/Schniederjann 2024) und bildungspolitische Auseinandersetzungen sich insgesamt zu einem „Resonanzraum rechter Ideologien“ (Andresen 2018, 768) entwickelt haben.

Der Beitrag wertet diese Strategie als Bestandteil eines alternativen curricularen Lehrplans, der insbesondere auf Social-Media-Plattformen Gestaltung annimmt. Um diese Strategie zu erläutern, wird in einem ersten Schritt zunächst die gesellschaftliche Dimension von Lehrplänen mit der KoP erörtert. Ausgehend von der begrenzten erziehungswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den bildungspolitischen Strategien der AfD und rechter Akteure (vgl. Gawert/Saur 2024), wird mit der KoP gezeigt, wie Lehrpläne sich auch außerhalb des schulischen Kontextes entwickeln und mit welchen begrifflichen wie analytischen Instrumentarium diese erfasst und rekonstruiert werden können. Dafür ist es essentiell, Social-Media-Plattformen als Lernräume zu charakterisieren (vgl. Kanwischer/Gryl 2022).

Im zweiten Schritt werden die zentralen Elemente des alternativen curricularen Lehrplans rekonstruiert. Zu diesen Elementen gehören: Erstens die Forderung nach einer verpflichten-den politischen Neutralität an Schulen, zweitens die Konstruktion von Lehrkräften als Feindbilder und drittens die inhaltlichen Forderungen nach einer thematischen Neuausrichtung von Unterrichtsfächern, allen voran des Geschichtsunterrichts. Im Zuge dieser Rekonstruktion wird ebenfalls auf die gezielte Nutzung der Gestaltungsmöglichkeiten der eigenen Inhalte auf Social-Media-Plattformen eingegangen und warum diese Gestaltung auf junge Menschen eine Anziehung ausüben kann.

Drittens wird vorgestellt, wie die Erkenntnisse aus der Analyse alternativer curricularer Lehrpläne in die Entwicklung von Fort- und Weiterbildungsformaten für Lehrkräfte einfließen. Dafür wird exemplarisch ein Workshopkonzept vorgestellt, das im Zuge der ko-konstruktiven Zusammenarbeit mit der pädagogischen Praxis im Schulnetzwerk von SchuDiDe entstanden ist.