Veranstaltungsprogramm

Sitzung
S09: Deutschunterricht – Digital – Demokratisch
Zeit:
Montag, 29.09.2025:
16:00 - 17:30

Ort: H01

Hörsaal Erdgeschoss

Präsentationen

Deutschunterricht – Digital – Demokratisch

Chair(s): Anders Petra (HU Berlin, Deutschland), Anja Ballis (LMU München, Deutschland), Uta Hauck-Thum (LMU München, Deutschland), Michael Veeh (LMU München, Deutschland)

Diskutant:in(nen): Köstler-Kilian Sabine (FAU Erlangen-Nürnberg, Deutschland)

Zusammenfassung

Demokratie ist nicht nur ein staatliches Ordnungsprinzip, sondern eine tradierte Praxis, die auch im Alltag der Schule konkret hervorgebracht werden muss (Münkler 2024; Baier 2023; Schöneberger 2023). Sie manifestiert sich dort, wo Sprache, Gestaltung und Verantwortung in sozialen Situationen geteilt und ausgehandelt werden, und ist stets mit den Bedingungen ihrer Zeit verflochten (Nassehi 2023). In einer Gegenwart, die durch digitale Informationsarchitekturen, fragmentierte Öffentlichkeiten und neue Formen von Exklusion geprägt ist (Harari 2024), steht der Deutschunterricht vor der Herausforderung, Aufgabe und Chance, demokratische Bildung nicht nur zu thematisieren, sondern als pädagogische Praxis wahrzunehmen, die Handlungsspielräume eröffnet, Differenz anerkennt und Urteilskraft stärkt.

Das Symposium verfolgt die Absicht, diese Herausforderung aus einer doppelten Perspektive zu beleuchten: Einerseits wird Demokratiebildung theoretisch als performatives, sozial situiertes „Doing“ begriffen (Koller 2023; Schatzki 2006; Beutel & Fauser 2013), andererseits werden Ergebnisse von Projekten aus den Projektverbünden DiSo-SGW und DiäS vorgestellt, in denen entsprechende Praktiken implementiert und empirisch beforscht worden sind.

Im Mittelpunkt des Symposiums steht die zentrale Leitfrage: Wie können Lehrkräfte ein Demokratieverständnis entwickeln und vermitteln, das im Spannungsfeld digitaler Transformation tragfähig bleibt – und welche Praktiken im Deutschunterricht erweisen sich als wirksam, um diese Transformation mitzugestalten?

Den Ausgangspunkt des Symposiums bilden drei Impulsbeiträge, in denen Forschungsergebnisse aus Teilprojekten der Projektverbünde DiSo-SGW und DiäS vorgestellt werden. Alle Beiträge widmen sich Möglichkeiten, demokratische Bildung im Deutschunterricht unter den Bedingungen der digitalen Welt zu stärken, zu gestalten und erfahrbar zu machen. Alle Beiträge eint die Annahme, dass demokratische Bildung durch praktizierte Teilhabe wirksam wird. Demokratie wird im Deutschunterricht nicht nur behandelt, sondern im Medium der Sprache, der Gestaltung und des gemeinsamen Handelns hervorgebracht. Sabine Köstler-Kilian wird außerdem überfachliche Perspektiven auf Wege medienästhetischer Bildung in der postdigitalen Welt als Diskutantin mit einbringen.

Insgesamt eröffnet das Symposium einen gemeinsamen Denk- und Diskussionsraum zur Stärkung demokratischen Handelns nicht nur im Deutschunterricht, sondern auch in überfachlichen Kontexten.

Literaturverzeichnis

Anders, P. (2025). Poetry Slams als Lerngelegenheiten der Demokratiebildung. In Der Deutsch-unterricht, 2/2025, 34–42.

Baier, F. (2023). Deliberative Praxis in der Schulsozialarbeit: demokratische Lebensformen er-fahrbar machen. In Demokratiepädagogik: Theorie und Praxis der Demokratiebildung in Ju-gendhilfe und Schule (pp. 179-189). Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.

Ballis, A. (2025). „Ja, aber ist das eine Aufgabe des Deutschunterrichts?“: Antisemitismuskriti-sche Bildung im Deutschunterricht und in der Deutschdidaktik. Didaktik Deutsch, (58). https://doi.org/10.21248/dideu.777

Beutel, W., & Fauser, P. (Eds.). (2013). Erfahrene Demokratie. Wie Politik praktisch gelernt wer-den kann: Pädagogische Analysen. Berichte und Anstöße aus dem Förderprogramm Demokra-tisch Handeln. Springer-Verlag.

Biesta, G. (2022). World-Centred Education: A View for the Present. London: Routledge.

Hauck-Thum, U. et al. (2023). CoTransform. Digitale Schulentwicklung an Grundschulen ge-meinsam gestalten. https://magazin.forumbd.de/rahmenbedingungen/cotransform-digitale-schulentwicklung-an-grundschulen-gemeinsam-gestalten/

Harari, Y.N. (2024). NEXUS. Eine kurze Geschichte der Informationsnetzwerke von der Steinzeit bis zur künstlichen Intelligenz. München: Penguin Verlag.

Koller, H. C. (2023). Bildung anders denken: Einführung in die Theorie transformatorischer Bil-dungsprozesse. Kohlhammer.

Münkler, L. (2024). Demokratie demokratisch denken. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.

Nassehi, A. (2023): Gesellschaftliche Grundbegriffe. Ein Glossar der öffentlichen Rede. Mün-chen: Beck.

Schatzki, T. R. (2006). The Site of the Social: A Philosophical Account of the Constitution of Social Life and Change. University Park: Pennsylvania State University Press.

Schöneberger, S. (2023). Zumutung Demokratie. Ein Essay. München: Beck.

 

Beiträge des Symposiums

 

Demokratie gestalten in der Kultur der Digitalität: Schule als Raum ko-konstruktiver Teilhabe

Uta Hauck-Thum1, Helena Heizler2
1LMU München, Deutschland, 2LMU München, Deuschland

Der erste Beitrag rückt den schulischen Raum als Ort partizipativer Mitbestimmung in der Kultur der Digitalität in den Fokus. Am Beispiel des Forschungs- und Entwicklungsprojekts Co-Transform (Hauck-Thum et al. 2023) wird gezeigt, wie digitale Technologien Organisationsstrukturen und Lehr- und Lernprozesse nicht nur stützen, sondern durch einen veränderten kulturellen Rahmen grundlegend transformieren. In dialogischen Formaten – von digitalen Schulkonferenzen bis hin zu kollaborativen Feedbackstrukturen – wird ein Verständnis von Demokratie erprobt, das auf Aushandlung, Ko-Konstruktion und Verantwortungsübernahme zielt. Die Rolle der Lehrkraft erfährt dabei eine bedeutsame Verschiebung: weg von der Instruktion hin zur Moderation und Ermöglichung von Beteiligung. Dieser Paradigmenwechsel fordert eine Professionalisierung im Sinne relationaler Autorität – Lehrkräfte gestalten Räume, in denen Schüler:innen die Erfahrung machen, dass ihre Stimme zählt. Konkretisiert werden diese Prozesse anhand eines Projekts zur literar-ästhetischen Souveränität im Bereich poetischer Bildung in der Grundschule.

 

Ästhetische Praxis als demokratische Teilhabe: Digitale Deutungsgemeinschaften beim literarischen Lernen

Petra Anders1, Anna-Lena Demi2, Julia Babiel1
1HU Berlin, Deutschland, 2FU Berlin, Deutschland

Im zweiten Beitrag erfolgt der Zugang über die ästhetische Praxis. Es soll veranschaulicht werden, wie sich anhand literatur- und mediendidaktischer Projekte kollektive Deutungsgemeinschaften durch digitale Gestaltungsformen konstituieren können (Anders 2025). Wenn Schüler:innen literarische Texte in Gedichte, Memes, Podcasts oder digitale Ausstellungen überführen, findet nicht bloß eine Übersetzung statt, sondern eine Re-Kontextualisierung literarischer Bedeutung. Im Mittelpunkt steht dabei nicht nur das Ergebnis, sondern der dialogische Prozess des Gestaltens, in dem unterschiedliche Perspektiven sichtbar und verhandelbar werden. Diese ästhetisch fundierte Teilhabe kultiviert demokratische Haltungen im Modus des offenen, nicht instrumentellen Tuns – es geht um den Prozess des „Doing Interpretation“, der auf Urteilskraft, Ambiguitätstoleranz und Bereitschaft zum Perspektivwechsel zielt.

 

Demokratische Haltungen stärken: Antisemitismuskritische Bildung in der (post-)digitalen Welt

Anja Ballis1, Svenja Hahn2, Michael Veeh1
1LMU München, Deutschland, 2Universität Erlangen-Nürnberg, Deutschland

Im letzten Beitrag wird das Thema Demokratiebildung schließlich mit einer besonders drängenden Herausforderung verbunden: dem erstarkenden Antisemitismus im digitalen Raum. Es soll verdeutlicht werden, wie antisemitismuskritische Bildung im Deutschunterricht implementiert und zugleich als reflexive Praxis professionalisiert werden kann (Ballis 2025). Basierend auf einem Fortbildungsformat, das auf mehrdimensionale Zugänge setzt, schulen sich Lehrkräfte darin, aktuelle rechtsextreme Narrative in der digitalen Kommunikation zu identifizieren und historisch einzuordnen. Unterricht wird hier nicht als Ort bloßer Wissensvermittlung konzipiert, sondern als dialogischer Erfahrungsraum, als ein Ort, in dem Unsicherheiten artikuliert und pädagogisch-didaktisch bearbeitet werden können.