Veranstaltungsprogramm

Sitzung
S04: Digitale Kommunikation als Gestaltungsperspektive schulischer Transformation: Herausforderungen, Spannungsfelder und Professionalisierungsbedarfe
Zeit:
Montag, 29.09.2025:
11:15 - 12:45

Ort: H06

Hörsaal Erdgeschoss

Präsentationen

Digitale Kommunikation als Gestaltungsperspektive schulischer Transformation: Herausforderungen, Spannungsfelder und Professionalisierungsbedarfe

Chair(s): Jasmin Bastian (Universität Mainz, Deutschland), Rudolf Kammerl (FAU Erlangen-Nürnberg)

Diskutant:in(nen): Jaqueline Gradl (ALP Dillingen)

Zusammenfassung

Die gegenwärtige Gesellschaft ist durch umfassende digitale Transformationsprozesse geprägt, die unter Konzepten der tiefgreifenden Mediatisierung (Hepp, 2016), Kultur der Digitalität (Stalder, 2016) oder Postdigitalität (Jandrić et al., 2018) diskutiert werden und alle Lebensbereiche betreffen. Diese Umwälzungen wirken sich tiefgreifend auf das Bildungssystem aus und verändern sowohl schulische Organisationsformen als auch pädagogische Handlungslogiken. Im Zentrum steht dabei die schulische Kommunikation, die durch digitale Medien nicht nur erweitert, sondern grundlegend restrukturiert wird. Damit verbunden sind neue Möglichkeiten, aber auch Spannungsfelder – etwa im Hinblick auf Erreichbarkeit, Rollenverständnisse oder professionelle Grenzziehung.

Das BMBF-Verbundprojekt LeadCom widmet sich der Frage, wie eine professionelle, gesundheitsförderliche und pädagogisch sinnvolle Gestaltung digitaler Kommunikation in Schulen realisiert werden kann. Besonders im Fokus stehen dabei Schulleitungen und mit Schulentwicklung betraute Lehrkräfte, die zentrale Akteur:innen im Prozess der digitalen Transformation sind. Ziel ist es, die systematische Gestaltung digitaler Kommunikationsstrukturen nicht nur technologisch, sondern vor allem pädagogisch, kulturell und organisational fundiert weiterzuentwickeln.

Das BMBF-Verbundprojekt LeadCom geht daher der Frage nach, wie Schulleitungen und mit digitaler Schulentwicklung befasste Lehrkräfte durch Fortbildungen zur Distributive Digital Leadership und der damit verbundenen Veränderung der Kommunikations- und Kooperationspraxis an Schulen unterstützt werden können. Das Symposium diskutiert diese Frage auf folgenden Ebenen:

(1) Schulentwicklungsebene: Digitale Kommunikation ist nicht nur Mittel, sondern auch Gegenstand schulischer Entwicklung. Sie beeinflusst die Kooperationskultur und strukturelle Aushandlungsprozesse innerhalb des Kollegiums, mit Eltern sowie mit weiteren schulischen Akteur:innen. Eine zentrale Aufgabe besteht darin, systematische Kommunikationskonzepte zu entwickeln, die sowohl partizipativ gestaltet als auch nachhaltig implementiert werden. Dies umfasst insbesondere Fragen der Zugänglichkeit, Transparenz, Medienwahl und der kommunikativen Rollenverteilung. Aus medienpädagogischer Sicht ist ein Bezug zur schulischen Medienbildung herzustellen.

(2) Ebene der Kommunikationskultur und Professionalität: Digitale Kommunikations-praktiken beeinflussen das professionelle Selbstverständnis von Lehrkräften und Schulleitungen. Der zunehmende Einsatz von E-Mails, Messenger-Diensten oder Lernplattformen führt zu einer Entgrenzung von Arbeitszeiten, zur Verschiebung etablierter Interaktionsformen sowie zu neuen Spannungsfeldern (Dehmel & Meister, i. V.). In diesem Zusammenhang werden auch Phänomene wie etwa „digitale Rufbereitschaft“ virulent (Dehmel & Meister, in Vorbereitung). Die Entwicklung professioneller, reflektierter Kommunikationskulturen wird so zu einer zentralen Aufgabe im Kontext der Schulentwicklung.

(3) Personalentwicklungs- und Fortbildungsebene: Zur Gestaltung und Steuerung digitaler Kommunikationsprozesse bedarf es gezielter Professionalisierungsmaßnahmen. Diese sollten neben technischen auch medienethische, rechtliche, organisationale und gesundheitsbezogene Aspekte adressieren. Ein besonderes Augenmerk gilt dem Zusammenhang zwischen digitaler Kommunikation und dem digitalen Wohlbefinden (Digital Well-Being) schulischer Akteur:innen – etwa im Umgang mit digitalem Stress oder Anforderungen an Selbstregulation (Weber et al. i. V., Zimmerman, 2000; Gui et al., 2017). Die Entwicklung von Medienkompetenz, kommunikativer Souveränität und selbstregulatorischer Fähigkeiten ist damit eine Voraussetzung für ein professionelles Handeln im digitalen Raum auf der individuellen Ebene. Es müssen aber auch soziale und mediale Aspekte berücksichtigt werden.

Im Rahmen des Symposiums wird diskutiert, wie digitale Kommunikation als Gestaltungsperspektive schulischer Transformation verstanden werden kann.

Die Beiträge fokussieren insbesondere:

• Spannungsfelder und Gestaltungsspielräume digitaler Kommunikation in schulischen Settings,

• die Herausforderungen für professionelle Handlungspraxis und digitales Wohlbefinden von Lehrkräften und Schulleitungen,

• die Anforderungen an inklusive, partizipative und barrierefreie Kommunikationsstrukturen.

Das Symposium versteht sich als Plattform für Akteur:innen aus Wissenschaft, Fortbildung und Schulpraxis, um theoretisch fundierte und empirisch gestützte Impulse für eine zukunftsgerichtete Gestaltung digitaler Schulkommunikation zu setzen.

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Beiträge des Symposiums

 

Digitale Kommunikation in Schulen: Eine zusammenfassende Perspektive auf zentrale Handlungsfelder aus dem Projekt LeadCom

Jasmin Bastian1, Rudolf Kammerl2, Philipp Weber3
1JGU Mainz, 2FAU Erlangen-Nürnberg, 3RPTU Kaiserslautern-Landau

Digitale Kommunikation ist zu einer Schlüsselressource schulischer Organisation, Leitung und Kooperation geworden. Im Rahmen des BMBF-geförderten Projekts LeadCom wurden verschiedene Perspektiven auf digitale Kommunikationspraxis in Schulen interdisziplinär zusammengeführt. Der Beitrag bietet eine systematische Übersicht zentraler Ergebnisse und darauf resultierender Handlungsfelder, die im Projekt erschlossen wurden:

1. Kommunikation im Alltag von Lehrkräften und Schulleitungen:

Digitale Kommunikationsprozesse – etwa über E-Mail, Messenger oder Videoplattformen – strukturieren zunehmend den schulischen Austausch. Sie gelten vielfach als effizient, führen jedoch zugleich zu Unsicherheiten und einem erhöhten Aufwand – insbesondere durch die Erwartung ständiger Erreichbarkeit (Krein, 2024; Heffernan & Selwyn, 2021). Die Wahl von Kommunikationsinstrumenten orientiert sich nicht nur an funktionalen Zwecken, sondern bringt durch ihre spezifischen Affordanzen auch eigene Bedeutungen und Wirkungen mit sich. Neue Medienpraktiken verändern dabei die Rollenbilder schulischer Akteur:innen: Phänomene wie „digitale Rufbereitschaft“ oder „halbschulische Kommunikation“ verdeutlichen die zunehmende Aufweichung beruflicher und privater Grenzen (Dehmel & Meister, in Vorbereitung). Die Entscheidung für bestimmte Kanäle beeinflusst damit nicht nur Effizienz, sondern auch die Wahrnehmung von Nähe, Verbindlichkeit und Hierarchie (Heffernan & Selwyn, 2021).

2. Auswirkungen auf das Wohlbefinden:

Ausgehend von Belastungs-Beanspruchungsmodellen (Rudow, 1994; Gradl, 2022) ist die Frage, ob Digitalisierung an Schulen positiv oder negativ wahrgenommen wird, abhängig von individuellen und sozialen Ressourcen. Digitale Kommunikation steht im Zusammenhang mit emotionaler Beanspruchung. Erreichbarkeit, Multitasking und ständige Unterbrechungen können zu digitalem Stress führen. Studien zeigen, dass Well-Being durch Kommunikationsregeln, medienbezogene Selbstregulation und die bewusste Wahl angemessener Kanäle positiv beeinflusst werden kann und dazu beträgt, dass digitale Kommunikation verstärkt als Ressource wahrgenommen wird. Neben diesen individuellen Aspekten geraten jedoch zunehmend auch strukturelle und organisationale Bedingungen in den Fokus, etwa im Hinblick auf Teilhabe, Gerechtigkeit und schulkulturelle Gestaltung. Vor diesem Hintergrund wird das sich entwickelnde Konzept des Digital Well-Being als theoretische Erweiterung herangezogen: Es versteht Wohlbefinden nicht nur als individuelles Ziel, sondern als dynamisches, kontextsensibles Konstrukt (Vanden Abeele, 2020), das gesellschaftliche Machtasymmetrien und digitale Ungleichheit berücksichtigt (Gui et al., 2017; Büchi et al., 2019; Gui & Büchi, 2019). Damit verbindet sich ein erweitertes Verständnis von schulischer Gesundheitsförderung mit Fragen nach pädagogischer Gestaltungsverantwortung und partizipativer Schulentwicklung.

3. Professionalisierung und Medienbildung:

Digitale Kommunikation muss Bestandteil schulischer Medienbildung und Fortbildung sein – sowohl im Kollegium als auch in der Zusammenarbeit mit Schüler:innen und Eltern. Instrumentelle Anwenderfertigkeiten sind dabei nicht ausreichend. Entscheidend sind hier medienbezogene Kompetenzen, technikethisches Bewusstsein und die Fähigkeit zur reflexiven Medienwahl (Bastian & Prasse, 2022).

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass digitale Kommunikation nicht nur Werkzeug ist, sondern Ausdruck einer veränderten Organisationskultur. Für eine zukunftsfähige Schulentwicklung muss sie strukturiert, pädagogisch reflektiert und partizipativ gestaltet werden.

 

Digitale Kommunikation(spraktiken) für die Inklusive Schule

Anna-Maria Kamin, Claudia Mertens, Franziska Schaper
Universität Bielefeld

Neben digitalisierungsbezogener Schulentwicklung stellt auch die inklusive Perspektive Schulen vor die Aufgabe, sich gewohnter Kommunikations- und Handlungspraktiken bewusst zu werden, diese zu überdenken und ggf. zu revidieren. Als Zielvorstellung schulischer Inklusion gilt es, gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen, strukturelle Barrieren zu minimieren sowie die gesellschaftliche (De-)Konstruktion und (Re-)Produktion von Ungleichheit zu hinterfragen (Dederich 2022). Inklusion wird somit vielfach als Reflexionsaufgabe verstanden, die mit einem fortwährenden Entwicklungsprozess an Schulen verbunden ist und die Qualität von Schule und Unterricht für alle verbessern soll. Das Entwicklungsfeld (digitaler) Kommunikation für eine inklusive Schule wird dabei an verschiedenen inklusionsbezogenen Ansprüchen deutlich, wie beispielsweise der erhöhten Anforderung nach inner- und außerschulischer Kooperation (u.a. Müller & Kuhl 2021), der Reflexion kommunikativer Praktiken und Strukturen hinsichtlich der (Re-)Produktion und

(De-)Konstruktion von Verschiedenheit und Gleichheit (Budde & Hummrich 2014) sowie der Förderung von Teilhabe durch die barrierefreie Gestaltung von Kommunikationsinhalten und

- mitteln (z.B. im Unterricht; u.a. Fisseler 2022).

Im Rahmen des zweiten Symposiumbeitrags sollen diese Perspektiven im Modell der verteilten inklusiv-medialen Schulentwicklung verortet werden, durch empirische Daten exemplarisch unterfüttert und analysiert sowie anhand von Good Practice-Beispielen illustriert werden. Das Acht-Ebenen-Modell der verteilten inklusiv-medialen Schulentwicklung (VIMSE, Mertens et al., 2024; Mertens et al., angenommen) bietet sowohl einen theoretischen Rahmen als auch Analysekriterien zur Ermittlung des Ist-Zustandes sowie der Identifikation von Entwicklungsperspektiven (Soll-Zustand) von Schulen im Hinblick auf ihre inklusiv-mediale Ausrichtung. Es entstand als Weiterentwicklung des Modells der digitalisierungsbezogenen Schulentwicklung von Eickelmann et al. (2015) und umfasst die acht Ebenen: Unterrichts-, Organisations-, Kooperations-, Technologie- und Personalentwicklung sowie die drei neuen Ebenen Kontinuierliche Haltungsbildung, Soft Skills für Führungskräfte und Wartungs- und Unterstützungsstrukturen.

Wie eine inklusiv-mediale Schulentwicklung an Schulen umgesetzt wird, wurde exemplarisch für die Region Bielefeld durch eine halb-standardisierte Befragung an 40 Schulen sowie acht Leitfadeninterviews mit Schulleitungen bzw. mit Schulleitungsaufgaben betrauten Personen erhoben. Erfragt wurden Lösungsansätze, erlebte Herausforderungen und Wünsche im Kontext von VIMSE. Ausgehend von einem weiten Inklusionsverständnis, welches neben sonderpädagogischen Förderschwerpunkten weitere Heterogenitätsdimensionen wie beispielsweise Sprache, Geschlecht und kulturelle Herkunft berücksichtigt, wurden neben Grund- und Gesamtschulen mit Gemeinsamen Lernen (GL) auch Akteur:innen aus Gymnasien und anderen Schulen ohne GL befragt. In der inhaltsanalytischen Auswertung der Daten (Kuckartz & Rädiker, 2022) werden die im Kontext von Kommunikation(-spraktiken) als besonders bedeutsam identifizierten Ebenen von VIMSE beschrieben sowie Good Practices identifiziert.

Erkennbar ist, dass sich erfolgreiche (digitale) Kommunikationskultur u.a. in einem gemeinsamen Leit- und Entwicklungskonzept - z.B. Medienkonzept oder Schulprogramm – spiegeln kann. Darüber hinaus werden innovative Unterrichtsideen und -materialien an einigen Schulen kooperativ entwickelt und z.T. mit anderen geteilt (z.B. über Lernplattformen) oder auf Schulkonferenzen präsentiert, um Kommunikationsstrukturen zu etablieren. Viele Schulen wünschen sich erweiterte (digitale) Kommunikationswege in Form von Vernetzungs- und Austauschmöglichkeiten mit anderen Schulen und sehen eine stärkere innere als auch überschulische Kooperation – insbesondere im Hinblick auf Inklusion – positiv. Über die verschiedenen Ebenen von VIMSE hinweg wird der Wunsch nach mehr Zeit für inklusiv-mediale Schulentwicklungsprozesse artikuliert und es werden Personal- bzw. Zeitmangel als Herausforderung für eine gelingende inklusiv-mediale Schulentwicklung benannt. Deutlich wird auch, dass, um eine inklusiv-mediale Schulkultur zu etablieren, eine Schulleitungsebene gefragt ist, die über kommunikative Kompetenz verfügt und Kommunikationsstrukturen mit flachen Hierarchien im Sinne einer verteilten Führung etabliert. Strukturelle Aushandlungsprozesse innerhalb des Kollegiums, mit Eltern sowie weiteren schulischen und außerschulischen Akteur:innen sind an eine wertschätzende inklusionssensible Kommunikation gebunden sowie auch an gelungene Verstehens- und Lernprozesse von Schüler:innen von der Schaffung vielfältiger Zugänge, Darstellungs- und Ausdrucksweisen (z.B. im Sinne des Universal Design for Learnings: Cast 2024) im Unterricht. Es obliegt der Schulleitung systematisch (digitale) Kommunikationsräume zu entwickeln und zu verstetigen.

Es zeigen sich insofern klare Anknüpfungspunkte im Hinblick auf die oben genannten Spannungsfelder digitaler Kommunikation (Erreichbarkeit, Rollenverständnisse oder professionelle Grenzziehung).

 

Spannungsfelder und Perspektiven digitaler Kommunikation und Schulentwicklung in der Primarstufe

Thomas Irion, Nina Autenrieth
PH Schwäbisch Gmünd

Im Beitrag wird eine multimethodische Studie zur digitalen Schulentwicklung und Kommunikation in der Primarstufe vorgestellt. Ausgehend von einer Befragung von Digital Leaders (n = 32) an Grundschulen (Flick et al. 2022; Mayring 2022) wurde eine Delphi-Studie (Niederberger/Renn 2019) entwickelt. Aus dieser ergeben sich Handlungsempfehlungen und Perspektiven für digitale Schulentwicklung, Kommunikation und Kooperation in der Grundschule, die in ein Fortbildungsmodul münden, das ebenfalls vorgestellt wird.

1) Identifikation von Spannungsfeldern - zwischen Transformationsanspruch und Verwaltungspraxis:

Metaprozesse wie Digitalisierung und Mediatisierung (Krotz 2011) fordern Grundschulen auf, sowohl Lernprozesse (Irion & Knoblauch 2021; Irion & Scheiter 2016) als auch Kompetenzformulierungen (Irion et al. 2023) weiterzuentwickeln. Die DGfE-Kommission Grundschulforschung und Pädagogik der Primarstufe (DGfE 2022) und die Gesellschaft für Didaktik des Sachunterrichts (GDSU 2021) haben als wissenschaftliche Gesellschaften in ihren Positionspapieren die Relevanz einer Digitalen Grundbildung in der Primarstufe formuliert. Die technologischen und kulturellen Veränderungen in der Digitalität unterliegen dabei einer hohen Dynamik. Dies zeigt sich u.a. in der intensiven Diskussion zum Thema KI in der Grundschule (vgl. Irion & Kuzu 2025). Auch Führungsansätze sind im Kontext solcher volatilen und komplexen gesellschaftlichen Veränderungen neu zu diskutieren (Mack/Khare 2016; Autenrieth 2025). Während internationale Studien in diesem Kontext die Bedeutung zukunftsgerichteter Führungsansätze wie Distributed Digital Leadership betonen (Harris 2008; Wilbers et al. 2024), fehlen empirische Erkenntnisse zur Umsetzung (Heenan et al. 2023) und Verfahren zur Neuorientierung von Unterrichtsentwicklung, Schulentwicklung und Leadership in der Primarstufe.

Im Rahmen des BMBF-Verbundprojekts Leadcom wurden 32 leitfadengestützte Interviews mit Schulleitungen und mit digitaler Schulentwicklung befassten Lehrkräften an Grundschulen durchgeführt (Autenrieth et al. 2025; Flick et al. 2022). Die qualitative Inhaltsanalyse (Mayring 2022) zeigt ein Spannungsfeld zwischen theoretischem Transformationsanspruch und gelebter Praxis. Zeitmangel wird als zentraler Hinderungsgrund genannt, Führungsrollen werden teilweise unfreiwillig übernommen und Verantwortung für Entwicklungsprozesse wird externalisiert.

2) Entwicklungsperspektiven für die Kommunikations- und Kollaborationsgestaltung:

Zur konstruktiven Gestaltung dieser Spannungsfelder wird derzeit ein mehrstufiges Delphi-Verfahren durchgeführt (Häder 2014; Niederberger/Renn 2019). Das Panel der ersten quantitativen Phase setzt sich aus ca. 50 Expert:innen aus Wissenschaft und Praxis zusammen.

In der ersten Runde des Gruppendelphis zeichnen sich klare Tendenzen des Panels zu zentralen Fragen ab: Es deutet sich an, dass Grundschulen dazu aufgefordert werden, tradierte Ziel-, Rollen- und Bewertungslogiken zu hinterfragen. Dabei werden Teamarbeit, eine experimentierfreudige Schulkultur und eine agil agierende Schulleitung als relevante Erfolgsfaktoren für nachhaltige Schulentwicklung benannt. Wirkungsvoller als klassische Gremienarbeit erscheinen offene, partizipative Formate, transparente Kommunikation und die systematische Einbindung unterschiedlicher Perspektiven. Die Fragebogenitems der zweiten Phase basieren auf den Interviewergebnissen, ergänzt durch aktuelle Forschungsperspektiven (Breitschaft et al. 2023; Irion et al 2023; Kuhl et al. 2014; OECD 2020; Vuorikari et al. 2022; Wilbers et al. 2024). Die vollständigen Ergebnisse der Delphi-Studie werden bis August 2025 vorliegen. Konsens wird über Zustimmungs-, Stabilitäts- und Streuungskriterien ermittelt (Häder 2014; Niederberger/Renn 2019; v. d. Gracht 2012; Niederberger/Homberg 2023).

3) Theorie-Praxis-Transfer – Entstehung eines Fortbildungsmoduls:

Parallel zur oben dargestellten Studie wird ein Fortbildungsmodul entwickelt. Dieses adressiert die identifizierten Herausforderungen durch vier Themenbereiche:

Im Themenbereich ‚Digitalität & Grundschule‘ wird die Bedeutung digitaler Medien in der Primarstufe beleuchtet. ‚Leadership for Learning‘ (Tulowitzki/Pietsch, 2020) eröffnet Zugänge zu Konzepten wie Distributed Leadership (Harris 2008) und unterstützt die Entwicklung von Strategien für partizipative Veränderungsprozesse. ‚Praktische Unterrichtsbeispiele‘ bieten konkrete Einblicke in Umsetzungsmöglichkeiten wie Schulblogs, Gamebased Learning und KI-Einsatz zur Förderung von Partizipation und digitaler Teilhabe. Abschließend gibt das Modul ‚Impulse‘ Anstoß zu nachhaltigen Veränderungsprozessen in der Schulentwicklung.

Der Beitrag zeigt, wie die Forschungserkenntnisse in ein Digital-Leadership-Modell für Grundschulen und ein KI-gestütztes Online-Fortbildungsmodul überführt werden können (Reichelt 2024). Dadurch entsteht ein forschungsbasierter Orientierungsrahmen, der Grundschulen dabei unterstützt, nachhaltige digitale Kooperations- und Kommunikationsstrukturen zu entwickeln und mit Wandel proaktiv umzugehen.