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Sitzungsübersicht
Sitzung
E18: Kritisch-reflexiver Umgang mit KI in ästhetisch-kulturellen Kontexten
Zeit:
Dienstag, 30.09.2025:
14:45 - 16:15

Chair der Sitzung: Johannes Lorenz
Ort: S15

Seminarraum 1. Obergeschoss

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Präsentationen

Filmpraxis als Kompass im latenten Raum der Pseudonymität. Decodierung und Defense im KI-Rauschen virtueller Akteure durch kollaborative Filmskizzen optimieren

Sonnja Genia Riedl

Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung, Deutschland

Zusammenfassung

Kollaborative Filmpraxis an den Schulen fördern bedeutet, einen Kompass für undurchsichtige Bildwelten zu justieren. Filmbildung hilft einer Navigationskompetenz im digitalen Dschungel interpolierter KI-Bilder und Videos angesichts des Plattformkapitalismus[1] von Tech-Giganten unserer hochgradig globalisierten digitalisierten Gesellschaft. Für eine Digitale Schule der Zukunft[2] brauchen wir im Exponentiellen Zeitalter[3] der Cyberattacken[4] und im KI-Rauschen virtueller Akteure ein allgemeines Bewusstsein über den Grad der Brisanz von DeepFakes oder Bias-Phänomenen im globalen Informationskrieg zur Stärkung der Reflexionsfähigkeit aller Beteiligten. Denn die Bilder sind in der Infrastruktur von ‚Sehmaschinen‘[5], die Fahrzeuge steuern, Straßen überwachen, Waren verkaufen wollen, oder Drohnenangriffe in Kriegsgebieten starten, zu einflussreichen Akteuren geworden[6]. Ein Möglichkeitsraum an Decodierungs-Kompetenz für diese Bilderkennungssysteme ist in vielfacher Hinsicht kollaborative Filmarbeit. Film als multimediales Medium erfährt noch längst nicht die verdiente Beachtung an unseren Schulen. Durch begleitende Filmpraxis gewinnt Filmanalyse substanzielle Kraft - neben Analysen medialer Arbeiten von einflussreichen Filmemacher/-innen wie Harun Farocki[7] oder Hito Steyerl[8], welche Entwicklungen von Mensch-Maschine-Interfaces genreübergreifend thematisieren.

Schulisches Lernen als hybrider Prozess hat Lernräume und Rollen immer wieder neu zu verhandeln und die gesellschaftlich-kulturelle Perspektive des Dagstuhl-Dreiecks[9] kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Welche Trainingsbilder wurden für KI-Anwendungen von welchen traumatisierten Click-Worker/-innen welches Niedriglohnlandes für welche dominierenden Gesellschaften gelabelt?[10] Postkoloniale Strukturen, die sich im digitalen Raum wiederfinden, sind nicht nur in gesellschaftlichen Debatten, sondern ebenso in Unterrichtsgesprächen der Schule zu thematisieren, wie auch die Dringlichkeit allgemeiner und insbesondere auch feministischer Repräsentationskritik als Visual Cultural Studies, welche die Repräsentation als Herrschaftspraxis begreift[11]. Dies betrifft ebenso die Rahmenbedingungen für opensource GLAM-(Galleries, Libraries, Archives, Museums)-Institutionen. Die Bedrängnis von Kulturen und Individuen scheint größer denn je. Auch wenn sich Notwendigkeiten geschützter Privacy in vernetzten Welten von Machtstrukturen und Überwachungs-Kapitalismus nicht erst mit bidirektionalen BCI-Systemen[12] von Computer-Gehirn-Schnittstellen schon längst in Verteidigung existenzieller Faktoren unseres Menschseins ausgeweitet haben.
In welcher Weise ist das für den Kontext Schule bestimmend? Womöglich sind sich selbst auferlegte Grenzen einer eingeschränkten Übung an Selbstkompetenz durch übermäßige Verwendung von ChatGPT und anderen KI-Werkzeugen ein Terrain mit nicht minder frappierenden Auswirkungen auf den fragilen unsichtbaren Möglichkeitsraum von uns selbst und von unseren Kindern. Decodierung durch beispielsweise einen Blick in das didaktische Sprachmodell Soekia[13] aus der Schweiz hinter die Kulissen von LLM’s ist jedoch nur ein Fragment an Abhilfe. Ist der Vektorraum komprimierter Trainingsdaten beim maschinellen Lernen von KI-Modellen hier etwa vergleichbar? Verlieren wir Bezüge zu dem Erahnen oder Neuerfinden unseres Selbst inmitten der Pseudonymität eines Externalisierungsprozesses?
In kinematographiscer Post-Lens-Ära generativer Bilder ohne Kamera oder Linse sind mitunter halluzinierte KI-Artefakte mit Nicht-existenten Persönlichkeiten[14] in synthetischen Filmsequenzen längst Indizien einer Post-Truth[15]-Ära, die seit mehreren Jahrzehnten zunehmend in Social-Media Kulturen sichtbar geworden ist. Überdies geht der Paradigmenwechsel vom (ohnehin nicht existierenden[16] digitalen) Bild zu Text, d.h. von Visuellem zur Sprache mit einer Dimensionsreduktion einher[17], neben Unübersetzbarkeiten oder algorithmischen Unverarbeitbarkeiten, Disqualifikationen oder Ebenen von Unquantifizierbarkeit oder Zensur maschineller Klassifikationen. Filmprojekte im Unterricht als ein multimediales Medium für eine gemeinsame Durchdringung TOP-aktueller Themenfelder inmitten der Digitalen Transformation über die Fächergrenzen hinweg sind ein unwägbarer Schatz für die Zukunft, den es zu bergen gilt.

[1] Carstensen, Tanja; Simon Schaupp und Sebastian Sevignani (Hg.). 2023. Theorien des Digitalen Kapitalismus. Suhrkamp-Verlag

[2] https://mebis.bycs.de/digitale-schule-der-zukunft

[3] Azhar, Azeem, 2022, Exponential. Order and Chaos in an Age of Accelerating Technology, Penguin-Verlag

[4] https://thehackernews.com/2023/12/hacking-human-mind-exploiting.html

[5] Rüdrich, Sten, 2021: Algorithmic Turn: Unsichtbare Bilder algorithmischer Überwachung. tredition

[6] ebd.

[7] https://www.nbk.org/de/publikationen/farocki-band-6

[8] https://www.moma.org/artists/43752-hito-steyerl

[9] https://dagstuhl.gi.de/dagstuhl-erklaerung/

[10] Papa, Elisa Giardina. 2016: Technologies of Care. Installation. XVI Quadriennale d’Arte, Palazzo delle Esposizioni, Rom, 2017

[11] https://www.zhdk.ch/forschung/ehemalige-forschungsinstitute-7626/iae/glossar-972/repraesentationskritik-3837

[12] https://www.int.fraunhofer.de/de/geschaeftsfelder/corporate-technology-foresight/trend-news/brain-computer-interfaces.html

[13] https://www.soekia.ch/gpt.html

[14] thispersondoesnotexist.com

[15] https://dictionary.cambridge.org/dictionary/english/post-truth

[16] Pias, Claus. 2003. Das digitale Bild gibt es nicht. Über das (Nicht-)Wissen der Bilder und die informatische Illusion. in: Zeitenblicke, 2.1

[17] Papa, Elisa Giardina. 2020: Cleaning Emotional Data. Installation

Literaturverzeichnis

Referenzen

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Weibel, Peter. 2013: global activism, Art and Conflict in the 21st Century. Anlässlich der Ausstellung ‚global aCtIVISm ZKM | Center for Art and Media Karlsruhe, Germany

Whitehead, Alfred. 1985 (orig. 1929): Process and Reality. An Essay in Cosmology. New York

Web-Referenzen
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https://excavating.ai | Kate Crawford und Trevor Paglen
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https://www.harald-klinke.de/teaching
https://labs.heygen.com
https://labs.heygen.com/guest/interactive-avatar?tab=demo
https://mebis.bycs.de/digitale-schule-der-zukunft
https://mimionuoha.com/what-is-missing
https://moma.org/collection/works/170626 | Hito Steyerl. 2010. 'In Free Fall',
https://moma.org/collection/works/181784 | Hito Steyerl. 2013. 'How not to be seen',
https://www.moma.org/artists/43752-hito-steyerl
https://www.soekia.ch/gpt.html
https://www.zhdk.ch/forschung/ehemalige-forschungsinstitute-7626/iae/glossar-972/repraesentationskritik-3837



KI und Musikunterricht? Normen und implizite Logiken von Musiklehrer:innen

Thade Buchborn1, Annika Endres1, Johannes Treß2

1Hochschule für Musik Freiburg, Deutschland; 2Pädagogische Hochschule Freiburg

Zusammenfassung

Der Umgang mit und die Bedeutung von Künstlicher Intelligenz (KI) haben sich mittlerweile zu zentralen Themen nicht nur in der öffentlichen Wahrnehmung, sondern auch in den bildungswissenschaftlichen Diskursen entwickelt (De Witt et al., 2023). In dieser Auseinandersetzung heben bspw. Jörissen et al. (2025) hervor, dass generative KI eine „Wahrnehmungskrise“ verursacht, die bestehende Wissens- und Wahrnehmungsordnungen herausfordert und die epistemologischen Grundlagen von Bildung infrage stellt. Aufenanger et al. (2023) fordern vor dem Hintergrund derartiger Transformationsprozesse eine umfassende und medienpädagogisch grundierte Reflexion von ethischen und gesellschaftlichen Konsequenzen allgemein und deren Einsatz in Bildungskontexten.

Auch die Kultusministerkonferenz (KMK, 2024) sieht Lehrkräfte in der Verantwortung, Schüler:innen zu einem „kritisch-konstruktiven und reflexiven Umgang“ mit KI zu befähigen. Lehrpersonen sollen dabei nicht nur selbst aktiv mit KI arbeiten, sondern auch deren technische Grundlagen nachvollziehen und Chancen, Risiken sowie rechtliche Rahmenbedingungen bewerten können. Die Nutzung soll „offen, kritisch und verantwortungsbewusst“ erfolgen. Daraus ergeben sich neue Anforderungen auch an Musiklehrkräfte im Besonderen. Empirisch ist bislang jedoch kaum erforscht, wie Musiklehrkräfte mit den konkreten Herausforderungen der KI-Integration in ihre Unterrichtspraxis umgehen (vgl. Buchborn & Treß, 2023; Cheng, 2023; Treß, i.E.).

Daher nehmen wir im vorliegenden Beitrag die Perspektiven von Musiklehrer:innen in den Blick und fragen nach den Normen, Alltagstheorien und impliziten Wissensbeständen, die dem Umgang mit KI in ihrer professionellen Praxis zugrunde liegen. Die Datenbasis für unsere Studie bilden Gruppendiskussionen mit Musiklehrer:innen, die im Rahmen einer Lehrer:innenfortbildung erhoben wurden. Diese werden mit Hilfe der auf der praxeologischen Wissenssoziologie basierenden dokumentarischen Methode (Bohnsack, 2018) interpretiert. Ziel ist es, das implizite, handlungsleitende Wissen ebenso wie Alltagstheorien und Normen der Teilnehmer:innen in Bezug auf die Rolle von KI zu untersuchen.

Erste Ergebnisse weisen auf mehrere zentrale Themen hin: Die Teilnehmer:innen erkennen den Nutzen von KI für Aufgaben wie Literaturrecherche und Textzusammenfassung an, haben aber nach wie vor Bedenken hinsichtlich der Genauigkeit und Zuverlässigkeit, vor allem bei sich entwickelnden Informationen. Während einige Lehrkräfte motiviert mit KI-Tools explorieren und diese als hilfreiches Instrument etwa zur Förderung von Kreativität ansehen, agieren andere eher distanziert und zurückhaltend. Sie stellen die Tiefe und Originalität der durch KI erlangten Ergebnisse in Frage und äußern ethische sowie juristische Bedenken. Auch die expliziten Bewertungen von KI sind unterschiedlich: Einer positiven Bewertung von Arbeitseffizienz und Zeitersparnis stehen Bedenken gegenüber – etwa dahingehend, dass eine zu starke Abhängigkeit von KI-Tools kritisches Denken und Unabhängigkeit behindern könnte oder den ‘kreativen Kern’ des Faches Musik bedrohen könnte.

Unsere Befunde verweisen auf ein Spannungsverhältnis zwischen Anerkennung der Relevanz von KI und Skepsis in Bezug deren Bedeutung im Musikunterricht sowie zwischen Unterrichtspraxis und pädagogischer Norm, wie sie eingangs am Beispiel der KMK-Handlungsempfehlungen illustriert wurde.

Literaturverzeichnis

Aufenanger, S., Herzig, B., & Schiefner-Rohs, M. (2023). Künstliche Intelligenz und Schule. Aufgaben für Unterricht und die Organisation (von) Schule. In C. De Witt, C. Gloerfeld, & S. E. Wrede (Hrsg.), Künstliche Intelligenz in der Bildung (S. 199–218). Springer Fachmedien Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-40079-8_10

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Treß, J. (in print). Tracking Down the Musical Habitus of the Machine. Action, Criticism, and Theory for Music Education.