Diversität und Übergang als Thema der Lehrkräftebildungsforschung: Studienerfolgsbedingungen und bildungsbiografische Erfahrungen von Lehramtsstudierenden
Chair(s): Arndt, Prof. Dr. Ann-Kathrin (Universität Kassel), Lindmeier, Prof. Dr. Bettina (Leibniz Universität Hannover)
Diskutant*in(nen): N., N. (N.N.)
In Bezug auf (angehende) Lehrkräfte schließt das Thema „Transitionen im Bildungsverlauf“ an die Forschung zur Studien- und Berufswahl (Cramer & Neugebauer 2023) an. Zudem rückt seit einiger Zeit die Diversität von (angehenden) Lehrkräften in den Blick, z.B. in Bezug auf sog. nicht-traditionelle Studierende (Klomfaß & Epp 2021) und migrantisch gelesene Studierende (Gülen 2021). Im Kontext der Diskussion um eine inklusionsorientierte Hochschule (Lindmeier & Meyer 2016) stellen sich Fragen zu Normalitätserwartungen, z.B. zum Übergang vom Gymnasium in die Hochschule als „Königsweg“ (Wolter 2016). Heinz et al. (2022) verweisen in Bezug auf die internationale Diskussion um die (fehlende) Diversität im Lehramtsberuf auf die Barrieren beim Studienzugang in Bezug auf die (fehlenden) Möglichkeit, sich selbst als Lehrkraft sehen zu können. Vor diesem Hintergrund fokussiert das Symposium in drei Beiträgen übergreifend die Fragen: Wer geht überhaupt ins Lehramt? Welche bildungsbiografischen Erfahrungen im Zusammenhang mit Übergängen im Bildungsverlauf bringen die Lehramtsstudierenden mit? Welche Erfahrungen machen die Lehramtsstudierenden in der Transition an die Universität?
Studienberechtigte mit sog. Migrationshintergrund entscheiden sich seltener für das Lehramt (Gülen 2021). Im Lehramtsstudium bzw. im Beruf sind sie zudem mit Defizitzuschreibungen, und Diskriminierung konfrontiert (Ackermann et al. 2011). Der erste Beitrag untersucht anhand der Daten des Nationalen Bildungspanels (NEPS-Netzwerk, 2024), welche Studierenden ins Lehramt gehen und welche studienrelevanten Merkmale Lehramtsstudentinnen mit Migrationshintergrund auszeichnen. Durch bivariate Analysen werden Unterschiede im Studienzugang und in den Studienbedingungen im Vergleich zu Lehramtsstudentinnen ohne Migrationshintergrund untersucht. Dies zeigt, dass bei dieser Gruppe die klassischen Erklärungsfaktoren für Studienerfolgsbedingungen – möglicherweise im Kontext von Praxisbezug und antizipiertem erhöhten Diskriminierungspotenzials – nur bedingt zutreffen.
Diese Ergebnisse legen einen Perspektivwechsel hin zum biografischen Erleben der Transition ins Studium sowie bisheriger Transitionen im Bildungsverlauf von Lehramtsstudierenden nahe. Die beiden folgenden Beiträge präsentieren biografieanalytische Ergebnisse. In beiden wird ohne einen Fokus auf bestimmte Diversitätsdimensionen im Sampling nach den Lebenswegen und biographischen Erfahrungen von Lehramtsstudierenden gefragt. Im zweiten Beitrag werden Ergebnisse des Lehrforschungsprojektes „Wege ins Lehramt“ präsentiert, in dem biografisch-narrative Interviews mit Lehramtsstudierenden verschiedener Studiengänge und -orte geführt. Die Auswertung orientiert sich an der biografischen Fallrekonstruktion nach Rosenthal (2015) und nutzt Intersektionalität als Heuristik (Lutz 2018). Dies umfasst eine kritische Reflexion der Interviewsituation, z.B. in Bezug auf (implizit) wirksame Normalitätserwartungen zu Bildungsverläufen und Schulerfahrungen. Der dritte Beitrag basiert auf einem laufenden Promotionsprojekt und fokussiert (Bildungs-)Biografien von Studierenden des sonderpädagogischen Lehramts. Die erhobenen biografisch-narrativen Interviews werden mit der objektiven Hermeneutik (Wernet 2021) analysiert. Der Beitrag fokussiert einen Fall eines migrantisch gelesenen Lehramtsstudenten.
In den letzten beiden Beiträgen geraten verschiedene bildungsbiografische Übergänge der Lehramtsstudierende in den Blick. Dies trägt auch zur verstärkten Aufmerksamkeit für individualisierte Übergänge und dem Verstehen von „Auf-, Ab- und Umstiegen“ (Thiersch et al. 2020, 1) bei. Zudem stellen sich, anschließend an die Perspektive auf Studium als biografischer Übergang (Henrich 2024), Fragen zum Lehramtstudium und dem antizipierten Übergang in den Beruf, die sich mit den Ergebnissen des erst Beitrags in Verbindung setzen lassen. Die abschließende Diskussion fokussiert Implikationen für die Lehrkräftebildungsforschung und Professionalisierung.
Beiträge des Symposiums
Studienzugang und Studienerfolgsbedingungen von Lehramtsstudentinnen mit und ohne sog. Migrationshintergrund – Ergebnisse auf Basis der NEPS-Daten
Lindmeier, Prof. Dr. Bettina1, Gülen, Dr. Șeyma2, Riemer, Annika1
1Leibniz Universität Hannover, 2Universität Tübingen
Studienberechtigte mit sog. Migrationshintergrund entscheiden sich seltener für das Lehramt (Gülen 2021). Außerdem sind sie im Rahmen eines Lehramtsstudiums bzw. im Beruf mit Defizitzuschreibungen, der Aberkennung von Qualifikationen und anderen Formen der Diskriminierung konfrontiert (Ackermann et al., 2011). Zugleich wird von der Bildungspolitik häufig angenommen, dass Lehrkräfte mit Migrationshintergrund für das deutsche Schulsystem und seine Weiterentwicklung besonders wichtig seien, da sie Schüler*innen mit Migrationshintergrund besonders gut unterstützen und eine Vorbildfunktion einnehmen könnten. Dies wird durch (vorrangig qualitative) Forschungsergebnisse bestätigt, die u.a. eine tendenziell aufgeschlossenere Haltung gegenüber kultureller Vielfalt und eine stärker positive Einstellung gegenüber sprachlicher Diversität im Schulalltag nachweisen. Andere Befunde weisen allerdings auch eine bewusste Distanzierung der Lehrkräfte mit Migrationshintergrund von diesen Zuschreibungen nach, weshalb diese Positivzuschreibungen nicht generalisiert werden können (Gülen, 2021).
Wenig ist dagegen darüber bekannt, welche Studierenden mit Migrationshintergrund dennoch ins Lehramt gehen und welche studienrelevanten Merkmale Lehramtsstudentinnen mit Migrationshintergrund auszeichnen. Der Beitrag untersucht daher anhand der Daten des Nationalen Bildungspanels (NEPS-Netzwerk, 2024) durch bivariate Analysen Unterschiede im Studienzugang und in den Studienbedingungen im Vergleich zu Lehramtsstudentinnen ohne Migrationshintergrund untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass bei dieser Gruppe die klassischen Erklärungsfaktoren für Studienerfolgsbedingungen nur bedingt zutreffen. Obwohl Studierende mit Migrationshintergrund beispielsweise vergleichsweise häufiger aus Familien mit niedrigerem sozioökonomischem Status stammen, besitzen die Eltern der Lehramtsstudentinnen mit Migrationshintergrund genauso häufig einen akademischen Abschluss wie die Eltern der Vergleichsgruppe. Möglicherweise wirken hier der Praxisbezug des Lehramts und die Antizipation eines höheren Diskriminierungspotenzials im Referendariat und in der Schule. Während im Lehramt im Allgemeinen eine Negativselektion dahingehend wirkt, dass Studierende ins Lehramt gehen, wenn sie sich das reine Fachstudium nicht zutrauen (Neugebauer 2013), trauen sich unter den Studienberechtigten mit Migrationshintergrund anscheinend eher diejenigen Studierenden das Lehramtsstudium zu, die über gute Eingangsbedingungen verfügen.
Wege ins Lehramt – Biografieanalytische, intersektionale Perspektiven
Arndt, Prof. Dr. Ann-Kathrin1, Sievers, Dr. Isabel2
1Universität Kassel, 2Leibniz Universität Hannover
In den letzten Jahren erfolgt eine verstärkte Auseinandersetzung mit der Diversität von Studierenden (z.B. Padilla-Carmona et al., 2020, Przytulla, 2021) sowie der Fragen der Gestaltung inklusiver, diversitätssensibler Hochschule (Danz 2020; Lindmeier & Meyer 2016). Hiermit rücken, auch mit Blick auf die Übergänge in die Hochschule, auf analytischer Ebene die zugrunde liegenden gesellschaftliche Macht- und Ungleichheitsstrukturen in den Fokus (Sievers et al. 2013). Anschließend an biografieanalytische Studien zu Lehramtsstudierenden (z.B. Wojciechowicz 2017) präsentiert der Beitrag Ergebnisse des Lehrforschungsprojektes „Wege ins Lehramt – (Bildungs-)Biographien von Lehramtsstudierenden“. Hierbei wird Intersektionalität als Heuristik (Lutz 2018) herangezogen. In Verbindung mit der grundlegenden Aufmerksamkeit der Biografieforschung für Komplexität und Ambiguität (Dausien 2009), regt Intersektionalität z.B. dazu an, Zugehörigkeiten in ihrer Vielschichtigkeit auch jenseits binärer Zuordnungen zu analysieren (Demmer 2018). Dies umfasst eine kritische Reflexion der Interviewsituation, z.B. in Bezug auf (implizit) wirksame Normalitätserwartungen zu Bildungsverläufen und Schulerfahrungen.
In dem Lehrforschungsprojekt wurden biografisch-narrative Interviews mit Lehramtsstudierenden verschiedener Studiengänge und -orte geführt. Im Sampling erfolgte – z.B. in der Adressierung potenzieller Teilnehmenden für die Interviews – keine Schwerpunktsetzung auf bestimmte Diversitätsdimensionen. Die Auswertung orientiert sich an der biografischen Fallrekonstruktion nach Rosenthal (2015). Diese analysiert die biografische Bedeutung in der Vergangenheit sowie die Selbstpräsentation in der Gegenwart. Über die charakteristische Offenheit der narrativen Interviews geraten verschiedene bildungsbiografische Übergänge der Lehramtsstudierenden in den Blick. Hierbei können „Auf-, Ab- und Umstiegen“ (Thiersch et al. 2020, 1) auf dem Weg ins Lehramtsstudium relevant werden.
(Bildungs-)Biografien von Studierenden des sonderpädagogischen Lehramts
Pätzold, Frank
Leibniz Universität Hannover
Hinsichtlich der Transition in das Studium des sonderpädagogischen Lehramts rücken in den letzten Jahren z.B. Fragen der Studien- und Berufswahl (Laubner & Lindmeier 2016) verstärkt in den Blick. Da dieses Lehramt nicht aus der eigenen Schulzeit bekannt ist und zudem als pädagogisch anspruchsvoller gilt, bietet sich die Frage nach biographischen Erfahrungen besonders an. In der rekonstruktiven Studie zu Lehramtsstudierenden der Sonderpädagogik von Junge (2021, 5) geht „Sonderpädagog*in werden“ u.a. mit der Frage nach der zukünftigen „Anerkennung als ‚echte‘ Lehrkraft“ einher, ebenso mit der Frage, ob die antizipierten pädagogischen Anforderungen bewältigt werden können. Vor diesem Hintergrund stehen in dem Beitrag (Bildungs-)Biografien von Studierenden des sonderpädagogischen Lehramts im Fokus. Der Beitrag basiert auf einem laufenden Promotionsprojekt zu (Bildungs-)Biografien von Studierenden des Lehramts für Sonderpädagogik. Diese interessiert sich übergeordnet für die motivationalen Orientierungen, den Habitus der Studierenden der Sonderpädagogik, den Wegen ins Studium und den verschiedenen Wegen, sich das Studium anzueignen. Hierzu wurden biografisch-narrative Interviews mit Studierenden des sonderpädagogischen Lehramts geführt. Diese werden mittels der der objektiven Hermeneutik (Wernet 2021) ausgewertet. Im Mittelpunkt des in diesem Beitrag analysierten Falles steht ein migrantisch gelesener Lehramtsstudent, der sich in spezifischer Weise mit dem intergenerationalen Auftrag auseinandersetzt, im Aufnahmeland ‚anzukommen‘ und erfolgreich zu sein.