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Chair der Sitzung: Stephanie Schleer, PH Heidelberg
Ort:R213
35 Pers.
Lernende und Lehrende im Autismus-Spektrum (Einzelbeiträge)
Präsentationen
Die Bedeutung von Übergängen für das subjektive Belastungserleben von Schüler:innen im Autismus-Spektrum
Sasso, Isabella
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Der Beitrag thematisiert Transitionen im Schulalter aus der Perspektive von Schüler:innen im Autismus-Spektrum und fragt nach der Bedeutung von Übergängen für Belastungen im schulischen Kontext, die zu Problemen beim Schulbesuch führen.
Es wurden problemzentrierte Interviews mit zwanzig autistischen Schüler:innen zwischen 7 und 20 Jahren geführt, die inklusiv im gesamten Bundesgebiet beschult wurden und trotz Lernwillen Probleme beim Schulbesuch entwickelten. Die Interviews wurden mit der Grounded Theory ausgewertet. Es wurde eine Theorie entwickelt, die den Prozess der Entwicklung von Schulbesuchsproblemen abbildet. Dabei zeigte sich, dass Übergänge als kontextuelle Bedingung zu dieser Entwicklung beitragen. Anhand der Aussagen der befragten autistischen Schüler:innen wird sichtbar, wie sich eine fehlende Gestaltung dieser Übergänge, fehlendes Wissen über autismusspezifische Besonderheiten sowie eine fehlende Anpassung der Lernumgebung negativ auf das Belastungserleben auswirken können und zu einem Ausschluss aus dem inklusiven Bildungssystem führen können.
Gleichzeitig geben die Schüler:innen Hinweise auf Gelingensbedingungen, die pädagogische Fachkräfte in ihrem inklusiven Handeln unterstützen können – etwa durch transparente Übergangsgestaltung, verlässliche Beziehungen, individualisierte Strukturen und Beteiligung an Entscheidungsprozessen. Der Beitrag hebt die Bedeutung der Perspektive autistischer Schüler:innen hervor und betont diese als Ressource pädagogischen Handelns. Ziel ist es, schulischen Belastungen, die zu Schulbesuchsproblemen führen können, präventiv zu begegnen, indem Übergänge bewusst pädagogisch gestaltet werden.
“Diagnosewerdung“ als biographischer und institutioneller Prozess: Eine Einzelfallanalyse im Kontext von Transitionen im Lebensverlauf bei Autismus-Spektrum-Störung
Siedenbiedel, Dr. Catrin1; Becker, Clarissa Swenja2
1Universität Kassel; 2Universität Kassel
Der Beitrag beleuchtet den Prozess der Diagnosewerdung – ein konzeptionell neu gefasster Begriff zur Beschreibung der Entstehung, Aneignung und Wirkung einer Autismus-Spektrum-Diagnose im Spannungsfeld individueller, familiärer und institutioneller Perspektiven. Anhand einer Einzelfallanalyse (vgl. Schütze, 2016; Reh, Gehring & Heinzel, 2013) wird gezeigt, wie diagnostische Zuschreibungen im schulischen Setting sowohl als strukturierende Ressource wie auch als identitätsbezogene Herausforderung wirken – insbesondere in der Transition zwischen Kindheit und Jugend bzw. Primar- und Sekundarstufe (Erikson 1959; Ermann 2011).
Diagnosewerdung zeigt sich dabei als komplexes Geflecht aus Adressierungen, Zuschreibungen und performativen Positionierungen. Nicht primär der Schüler, sondern „der Autismus“ wird adressiert – als diskursive Instanz, über die Schule Ordnung herstellt, Förderung legitimiert und pädagogisches Handeln strukturiert. In einem Geflecht professioneller und nichtprofessioneller Akteur:innen (Maynard et al. 2019; Eyal 2013) wird die Diagnose zwischen Expertisepositionen ausgehandelt. Die Mutter sieht sich als Expertin für das Kind, eine Lehrperson lässt sich gezielt zu Autismus fortbilden – nicht nur, um das Kind zu unterstützen, sondern um schulische Ordnung zu sichern. Der Schüler selbst greift die Diagnose zur Erklärung sozialer Irritationen auf, integriert sie aber nicht vollständig in seine Selbstbeschreibung. Seine distanzierte Redeweise („das“, „es“) verweist auf eine partielle Subjektivierung zwischen Eigen- und Fremdbeschreibung. Die Diagnose fungiert somit weniger als identitätsstiftende Zuschreibung denn als funktionales Deutungsangebot für andere.
Partizipatives Lehrforschungsprojekt Autistische Dozierende für die inklusive Lehrkräftebildung (AutDiL) – erste Ergebnisse der Prozessevaluation
Grummt, Dr. Marek; Lindmeier, Prof. Dr. Christian; Starke, Sylke
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Das von der Stiftung Innovation in der Hochschullehre geförderte Lehrforschungsprojekt AutDiL zielt auf die Umsetzung inklusiver Lehrkräftebildung an Hochschulen ab. Für die Umsetzung wurde der lehramtsübergreifenden Zertifikatskurses Pädagogik im Autismus-Spektrum (Z-PAS), der 2021/22 und 2022/23 bei hoher Nachfrage dreisemestrig durchgeführt wurde, strukturell und partizipativ weiterentwickelt. Die strukturelle Weiterentwicklung erfolgte durch die Umwandlung in einen Basis- und Vertiefungskurs von jeweils 2 Semestern, deren Ziel es ist, einen insg. viersemestrigen Ergänzungsstudiengang zu erproben; die partizipative Weiterentwicklung durch Einbindung autistischer Dozierender in die seminaristische Lehre. Die AutDiLs fungieren hier als externe Lehrbeauftragte, die sowohl wegen ihrer fachlichen Expertise als auch wegen ihrer Expertise in eigener Sache akquiriert wurden. Ferner fungieren sie als Mentor*innen im forschenden Lernen (Vertiefungskurs) und als gleichberechtigte Akteur*innen innerhalb der partizipativen Konzept- bzw. Curriculumsentwicklung. Das Rollenverständnis und die Perspektiven der AutDiLs auf das partizipative Lehrforschungsprojekt werden in der Prozessevaluation empirisch untersucht, ebenso die Perspektiven der Studierenden, der hauptamtlich Lehrenden und weiterer externer Lehrbeauftragter (z.B. Beratungslehrkräfte für Autismus, Lehrkräfte aus Schulen mit pädagogischem Autismuskonzept).
Im Tagungsbeitrag sollen das Konzept und erste Evaluationsergebnisse vorgestellt werden, die sowohl quantitativ im Rahmen einer Längsschnittstudie als auch qualitativ, u.a. mittels leitfadengestützter Interviews, gewonnen wurden. Die Ergebnisse zeigen, dass durch den partizipativen Ansatz innovative curriculare Aspekte in den Z-PAS eingeflossen sind. Seitens der Studierenden sind eine gesteigerter Diversitätssensibilität und ein Kompetenzzuwachs im pädagogischen Umgang mit autistischen Schüler:innen zu verzeichnen.