Anerkennung in pädagogischen Beziehungen – zwischen normativem Anspruch und empirischer Wirklichkeit
Britta Ostermann
Universität Bremen, Deutschland
Im Unterricht erfolgt die Beziehungsgestaltung durch Interaktionen zwischen Lehrenden und Lernenden. Dabei kann empirisch belegt werden, dass die Art, wie Lehrkräfte die Schüler*innen ansprechen, für ihr Wohlergehen und ihre zukünftige Entwicklung folgenreich ist (vgl. Ostermann/Prengel 2019, S.33-35). Anhand unterschiedlicher Forschungsrichtungen lassen sich verschiedene Theoreme herauskristallisieren, die die Qualität pädagogischer Beziehungen beschreiben. Der vorliegende Beitrag fokussiert Anerkennung.
Obgleich die Anzahl der Publikationen zu Anerkennung als „zentrale[r] Dimension pädagogischer Theorie und Praxis“ (Hafeneger et al. 2002, S.8) stark angestiegen ist, bleiben die Bedeutungskonturen des Anerkennungsbegriffs eher vage bestimmt und sind „bislang auch nicht aus einer explizit pädagogischen [...] Perspektive ausgeschärft“ (Ricken/Rose 2023, S.20).
Vor dem Hintergrund dieses Desiderats werden im Rahmen des Beitrags zwei Teilstudien durchgeführt: Zum einen soll anhand einer Diskursanalyse (Langer/Wrana 2010) untersucht werden, wie Anerkennung im erziehungswissenschaftlichen Diskurs entworfen wird:
- Wie wird Anerkennung zwischen den Generationen thematisiert?
- Welche normativen Ansprüche sind mit Anerkennung in pädagogischen Beziehungen verbunden und wie werden diese begründet?
- Auf welche Theorien nehmen die erziehungswissenschaftlichen Studien Bezug?
Zum anderen soll mit Hilfe einer Re-Analyse des im Rahmen des „INTAKT-Projekts“ (Soziale Interaktion in pädagogischen Arbeitsfeldern; initiiert von A. Prengel u. A. Zapf ) entstandenen Datensatzes überprüft werden, wie Anerkennung in pädagogischen Beziehungen gestaltet wird und sich konstituiert, inwieweit die theoretisch entworfenen Ansprüche an Anerkennung in der päd. Praxis realisiert werden und wie die Schüler*innen auf Anerkennung reagieren.
Ziel ist es, einen Beitrag zur Theorie der Anerkennung zu leisten u. Implikationen bzw. Reflexionsfolien für anerkennendes pädagogisches Handeln zu ermöglichen.
Anerkennungsorientierte Schulentwicklung - Systematisierungen zur Veränderung von Anerkennungsordnungen und -praktiken
Prof. Dr. Nils Berkemeyer, Zoe Nicolai
Friedrich-Schiller-Universität Jena, Deutschland
Schulentwicklung bewegt sich stets im Spannungsfeld zwischen normativen Ansprüchen und empirischer Realität. Das gegenwärtige Verständnis von Schulentwicklung ist dabei stark vom Qualitätsparadigma und sozial-technologischen Ansätzen geprägt. So wertvoll diese Einsichten sind, für eine umfassende Theorie der Schulentwicklung greifen sie zu kurz, insbesondere weil sie nicht hinreichend kritisch und selbst-reflexiv institutionalisierte Normen und Praktiken in den Blick nehmen. Schulentwicklung benötigt daher neue Impulse, die darauf ausgerichtet sind, Fragen schulischer Organisation und Institutionalisierung wieder stärker mit pädagogischen Denkkategorien zu verschränken. Entlang der erziehungswissenschaftlichen Diskussion um Anerkennung und unter Rückgriff auf die Arbeiten von Honneth, Stojanov und Brandom gelingt es, sowohl normativ als auch empirisch, schulische Praktiken und Ordnungen unter Aspekten von Anerkennung offenzulegen und zu bearbeiten. Im Beitrag werden vier mögliche Denkvarianten einer anerkennungsorientierten Schulentwicklung (AnSe) aus dem vorhandenen Theorieangebot abgeleitet, skizziert und mithilfe von Praxisbeispielen aus einem laufenden Schulentwicklungsprojekt veranschaulicht. Zudem können erste empirische Forschungsunternehmen und -ergebnisse vorgestellt werden.
Beziehungshungrige Kinder? Über normative Setzungen und implizite Normalitätsentwürfe in achtsamkeitsbasierten Programmen in der Schule
Imke Kollmer
Leibniz Universität Hannover, Deutschland
Achtsamkeit (mindfulness) hat Hochkonjunktur. Für den schulischen Kontext hat sich ein Markt an Ausbildungsinstituten, Trainer:innen und Sachliteratur herausgebildet, der neben Persönlichkeitsentwicklung (Altner/Friedrich 2024) und Resilienzsteigerung (Kaltwasser 2018) auch Aspekte von Empathiefähigkeit (José 2016), Beziehungsgestaltung (Kaufmann 2011; Jensen 2014) und -fähigkeit (Kaltwasser 2016) bzw. Beziehungskompetenz (Jensen 2014) bearbeitet. Dabei schlagen die Ratgeber:innen einen kulturpessimistischen (vgl. Dietrich/Uhlendorf 2019) bis alarmistischen Ton an – insbesondere in Bezug auf die „Macht der Bildschirme“ (Altner 2019: 8): „Die Virtualisierung und Fragmentisierung aller Lebensbereiche“ (Kaltwasser 2018: 17) im Häuslichen – und die damit einhergehende Pathologisierung der Eltern (Kollmer 2024) –, erschaffe „viele beziehungshungrige Kinder, [die] diesen Hunger nun im Unterricht“ (Kaltwasser 2018: 17) stillen. Und das, so der Tenor, auf zumeist nicht adäquate Weise.
Der annoncierte Beitrag möchte den in Achtsamkeitsprogrammen problematisierten Beziehungskomplex und die virulente Frage nach der Beziehungs(un)fähigkeit in Bezug auf die eingelagerten Normalitätsentwürfe diskutieren. Bemerkenswerterweise geht aus den Programmen nicht immer klar hervor, ob nur die Schüler:innen oder auch Lehrer:innen und Lehramtsstudierende (Meißner 2023; Weghaupt 2024) Adressat:innen des Achtsamkeitstrainings sind, sodass neben einer hohen Zahl immer schon als schwierig geltender Familien – und mit ihnen einer „Erziehungsmisere, die seit einigen Jahren schwelt“ (Kaufmann 2011, S. 14) –, auch die Beziehungsfähigkeit des Personals in den Fokus der Ratgeber gerät. Dazu werden Passagen aus Achtsamkeitsprogrammen und -übungen sequenzanalytisch rekonstruiert. Hierbei soll – auch auf Grundlage der Ausführungen Oevermanns (1996) geklärt werden, ob hierbei latent überhaupt (noch) von pädagogischen Beziehungen die Rede sein kann.
Rekonstruktion von Adressierungsanlässen von Sportlehrkräften unter anerkennungstheoretischer Perspektive – Empirische Einblicke am Beispiel von Disziplinierungen
Sandra Elisath
Universität Paderborn, Deutschland
Anerkennung als Adressierungsgeschehen ist grundlegender Bestandteil sozialer Interaktionen (Reh & Ricken, 2012), dem spezifische Haltungen zugrunde liegen (Schäffer, 2023). Da Anerkennung entwicklungstheoretisch einflussreich ist, wird sie als „Kernkompetenz pädagogischer Professionalität“ betrachtet (Balzer, 2021). Insbesondere in der Lehrer*innen-Schüler*innen-Beziehung ist sie im Hinblick auf die Unterrichtsqualität relevant, wenn das Unterrichtsklima und die Anerkennung der Schüler durch die Lehrperson als zentrale Elemente betrachtet werden (Gabriel, 2014, Lotz & Lipowsky, 2015).
Während bisherige Studien v.a. Adressierungsanlässe aus anerkennungstheoretischer Perspektive unter Schüler*innen im Sportunterricht betrachten (u.a. Grimminger, 2012), fehlen empirische Erkenntnisse zum Adressierungsgeschehen von Sportlehrkräften. Deshalb wird in der vorliegenden Studie unter anerkennungstheoretischer Perspektive untersucht, welche Haltungen sich im Adressierungsgeschehen von Sportlehrpersonen im Sportunterricht zeigen.
Als methodischer Zugang wurde die Videographie gewählt. Dabei wurden drei Sportlehrkräfte über einen Zeitraum von mindestens sieben Sportunterrichtsstunden gefilmt. Die Daten wurden mittels der Dokumentarischen Methode für Unterrichtsvideografien (Fritzsche & Wagner-Willi, 2015) ausgewertet.
Die Ergebnisse zeigen u.a. Disziplinierungen als besonders reichhaltige Kategorie in den Adressierungsanlässen von Sportlehrkräften. Diese umfassen Disziplinierungen in Bezug auf Normen in der Sporthalle sowie verhaltensbezogene und personenbezogene Disziplinierungen. Die sich darüber rekonstruierten Haltungen verweisen auf Normen, Logiken und Muster im Adressierungsgeschehen. Im Vergleich zu Studien anderer Fächer, zeigen sich ähnliche, aber auch unterschiedliche Ergebnisse (vgl. Wiezorek, 2005), die mit der Besonderheit des Faches und der Rolle von Körper und Körperlichkeit zusammenhängen könnten.
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