Partizipation als Qualitätsdimension in pädagogischen Beziehungen an Ganztagsgrundschulen
Peter Cloos, Melanie Fabel-Lamla, Niklas Gausmann
Universität Hildesheim, Deutschland
In institutionellen Bildungsarrangements ist Partizipation von Heranwachsenden seit Jahren gesellschaftspolitisches Ziel, wobei sich der Fokus zunehmend auf die Grundschule richtet (Billis 2020). Denn in der Grundschule als einer zentralen Sozialisationsinstanz, die formal alle Kinder erreicht, können diese bereits frühzeitig an Formen der Beteiligung herangeführt werden (Reisenauer 2020). Vor allem von Ganztagsgrundschulen wird erwartet, Lebens- und Erfahrungsräume zu bieten, in denen Lehr- und Fachkräfte pädagogische Beziehungen multiprofessionell so gestalten, dass sie Möglichkeiten zur Teilhabe und Partizipation bieten (Fischer & Kielblock 2021; Fabel-Lamla 2024) und darüber eine partizipativ-demokratische Ganztagsschul- und Lernkultur entwickelt werden kann (Georgi 2006). Positive pädagogische Beziehungsgestaltung wird insofern mit der Ermöglichung partizipativ-ausgerichteter Bildungsangebote und Betreuungsarrangements verknüpft. Kritisch ist vor diesem Hintergrund zu fragen, inwieweit normative Setzungen von Partizipation die asymmetrischen Generationenbeziehungen innerhalb pädagogischer Beziehungen verschleiern (Jergus 2020).
Der Beitrag bietet erste Einblicke in ein aktuell laufendes Forschungsprojekt, das sich der Qualitätsentwicklung von Ganztagsgrundschulen widmet, die einen Zertifizierungsprozess als Kinderrechteschule durchlaufen haben. Dazu finden an sechs Standorten einwöchige Feldaufenthalte statt, ergänzt um Dokumentenanalysen, Interviews, Fokusgruppengespräche und die PhotoVoice-Methode. Anhand von Dokumentenanalysen und Interviews werden im Projekt programmatische Entwürfe pädagogischer Beziehungen und mit Hilfe der aus den Beobachtungen entstehenden narrativen Beobachtungsprotokolle (Cloos 2010) Praktiken der Beziehungsarbeit rekonstruiert. Analysiert wird, wie sich Partizipation in den pädagogischen Beziehungen vor dem Hintergrund der in ihnen eingelagerten Machtasymmetrien realisiert.
Beziehung als interaktive Praxis
Heike de Boer1, Daniela Merklinger2
1Universität Koblenz, Deutschland; 2Universität Erfurt, Deutschland
Gespräche haben eine hohe Relevanz für die alltägliche Unterrichtspraxis. Das Zusammenwirken des sprachlichen Handelns der Lehrkräfte und die Äußerungsqualität der Schüler*innenbeiträge wird zunehmend als Ko-Konstruktion gesehen (de Boer 2024). Untersuchungen, die sich mit der Struktur unterrichtlicher Gespräche beschäftigen, zeigen eindrücklich, dass Bewertungen in jede kommunikative Unterrichtsstruktur eingelagert sind (Meister/Hollstein 2018). Die 3-schrittige Kernstruktur, bestehend aus Eröffnung (Initiation), Schüler*innenantwort (Reply) und Rückmeldung (Evaluation) (z.B. Mehan 1979)), endet in der Regel mit einer bewertenden Rückmeldung.
Internationale Studien haben in diesem Kontext dialogische Gesprächshandlungen untersucht, die die sequentielle Ordnung der Unterrichtskommunikation aufbrechen. Konsens besteht darüber, dass dialogisch ausgerichtete Gespräche ein besonderes Potenzial für fachliche und überfachliche Bildungsziele aufweisen und zu sozialer Kohäsion und Beziehungsbildung beitragen können (z. B. Mercer et al. 2020).
Vor diesem Hintergrund stehen folgende Fragen im Zentrum dieses Vortrages:
- Mit welchen gezielten Gesprächshandlungen von Lehrkräften kann die sequentielle Ordnung unterrichtlicher Kommunikation aufgebrochen werden?
- Inwiefern kann die Rekonstruktion Beziehung als interaktive Praxis sichtbar machen?
Wie bereits Studierende durch gezielte Veränderung ihrer Handlungen dialogische Gespräche interaktiv hervorbringen können, wurde in einem kooperativen Lehrforschungsprojekt an der Universität Koblenz und der PH Ludwigsburg untersucht. Entstanden ist ein Korpus aus 40 Gesprächstranskripten, die sequenzanalytisch untersucht werden.
An einem Fallspiel wird expliziert, wie das klassische I-R-E Gesprächsmuster aufgebrochen wird, sich z.B. in Praktiken der Anschlussnahme, der Ko-Konstruktion und der kollektiven Argumentationen zeigt und dabei zur interaktiven Herstellung von Beziehung im Gespräch beiträgt.
Beitrag wurde zurückgezogen! Vertrauen in pädagogischen Beziehungen – Eine qualitative Untersuchung von Interaktionen zwischen Lehrpersonen und Schüler:innen im Rahmen offenen Unterrichts
Inga Schwarzat
Universität Hamburg, Deutschland
Vertrauen ist eine grundlegende Voraussetzung für unser alltägliches Handeln (Endreß 2002). Dabei beeinflusst interpersonales Vertrauen, wie Menschen einander gegenübertreten. Dies gilt auch für Interaktionen zwischen Lehrkräften und Schüler:innen und ist damit folgenreich für deren pädagogische Beziehung (Schweer et al. 2021; Thies 2014). Vertrauen in der Lehrer:innen-Schüler:innen-Beziehung war bislang kaum Gegenstand empirischer Forschung. Ein Desiderat zeigt sich insbesondere hinsichtlich des Vertrauens im Kontext konkreter Interaktionen, die im (offenen) Unterricht ablaufen.
Die in diesem Beitrag vorgestellte Studie untersucht Vertrauen in der Beziehung zwischen Lehrkräften und Schüler:innen dyadisch und unter Bedingungen offenen Unterrichts an zwei Sekundarschulen. Die theoretische Grundlage bildet die differentielle Vertrauenstheorie (Schweer 1997). Ziel ist es, herauszufinden, welche Vertrauenshandlungen sich in welcher Weise in der Interaktion zwischen Lehrperson und Schüler:in zeigen. Außerdem wird der Frage nachgegangen, wie die Vertrauenswürdigkeit des jeweiligen Gegenübers wahrgenommen wird. Um Vertrauenshandlungen zu untersuchen, wurden insgesamt acht individuelle Lerngespräche zwischen Lehrpersonen und Schüler:innen audiographiert. Zudem wurden – jeweils nach dem Gespräch – mit beiden am Lerngespräch beteiligten Personen Einzelinterviews geführt (insgesamt 16), die sowohl Vertrauenshandlungen als auch die Vertrauenswürdigkeit fokussierten.
Der Beitrag präsentiert erste Ergebnisse der genannten Studie. Ausgehend von einer Gesprächsanalyse (Selting 2008) soll am Beispiel ausgewählter Dyaden aufgezeigt werden, welche Vertrauenshandlungen sich in den untersuchten Lerngesprächen zeigen. Diskutiert werden die Ergebnisse im Hinblick auf die Bedeutung von Vertrauen in pädagogischen Beziehungen im Allgemeinen und der Interaktion im offenen Unterricht im Besonderen.
Wenn Algorithmen lehren: Digitale Steuerung und die Neugestaltung pädagogischer Beziehungen
Benjamin Mayer
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Deutschland
Lernsysteme (vgl. Gao et al. 2020) übernehmen zunehmend pädagogische Funktionen im Unterricht, indem sie Lernprozesse steuern, Inhalte vermitteln und Rückmeldungen geben (Mayer & Jornitz 2022). Dieser Wandel verändert Unterricht als strukturierten Prozess (Gruschka 2013; Pollmanns 2019) grundlegend, da Rollen und Verantwortlichkeiten zwischen Lehrkräften und Schüler*innen neu verteilt und technikzentrierten Prozessen untergeordnet werden (Jornitz & Mayer 2024).
Aus fünf Unterrichtstranskripten einer Mathematik-Doppelstunde wird eine ausgewählte Sequenz genutzt, um Ergebnisse einer objektiv hermeneutischen Analyse (Oevermann 1996) zu veranschaulichen. Die Transkripte dokumentieren Interaktionen zwischen Schüler*innen, der Lehrkraft und der Lernplattform realmath.de, auf der in Tandems digitale Übungsaufgaben bearbeitet werden.
Die Ergebnisse zeigen drei zentrale Aspekte der Transformation: (1) Steuerungs- und Rückmeldeaufgaben werden an die Software delegiert, was die Rolle der Lehrkraft einschränkt und Inhalte von Technik entkoppelt; (2) in den Tandems entstehen Abhängigkeitsverhältnisse durch ungleiches technisches und wahrgenommenes inhaltliches Wissen. Diese Verhältnisse können sowohl einseitig als auch wechselseitig sein und beeinflussen die Kooperation sowie die Rollenverteilung der Schülerinnen; (3) Verantwortung und Reflexion werden zunehmend ausgelagert, wodurch nicht zuletzt die Eigenständigkeit der Schülerinnen eingeschränkt wird.
Die Software wird zu einer Instanz, die Handlungsspielräume einschränkt und Lehrkräfte vor neue Herausforderungen stellt (vgl. Macgilchrist et al. 2023). Gleichzeitig werden Reflexionsprozesse auf technokratische Aspekte reduziert, was die Tiefe pädagogischer Auseinandersetzungen begrenzt (Pollmanns et al. 2022). Die Ergebnisse zeigen, dass pädagogische Professionalität und Reflexion in technikgestützten Szenarien neu gedacht werden müssen.
Der „Schulhund“ als Indikator krisenhafter pädagogischer Beziehungen und ihrer Transformation?
Eva Schwarz1, Marion Polmanns2
1Södertörn Universität, Schweden; 2Europa-Universität Flensburg, Deutschland
Der Einsatz von „Schulhunden“ ist mit dem Versprechen verknüpft, Unterricht zu bereichern, vor allem durch die andersartige Beziehung, die er den Schüler_innen und Lehrpersonen offeriert: Hunden wird, wie auch anderen Tieren, zugesprochen, ein besonderes Gegenüber zu sein, welches sich von Lehrpersonen und Mitschüler_innen in seiner affektiv-körperlichen Präsenz unterscheidet. Schulpädagogische Konzepte für den Unterricht mit Hund geben daher professionalisierungstheoretisch Hinweise darauf, welche Beziehungsansprüche den Heranwachsenden zugeschrieben werden und inwiefern diese nicht oder nicht ausreichend von den Lehrpersonen erfüllt werden können: Was kann die Beziehung zu einem Hund anbieten, was eine Beziehung zu einer Lehrperson nicht, oder nicht ausreichend kann? Inwiefern ist es möglich, die Beziehung zwischen Schüler_innen und Hund in den Kontext pädagogischer Professionalität zu stellen?
Dem wollen wir nachgehen und zum einen analysieren, auf welche Probleme das Hinzunehmen eines Hundes in den Unterricht welche Lösungen anbietet. Zum anderen wollen wir ausgehen von Fallstudien und Interviewmaterial aus Norddeutschland und Schweden diskutieren, inwiefern mit dem Einsatz von Schulhunden eine neue Idee von gelingendem Unterricht sowie pädagogischer Beziehungen in Schule propagiert wird (vgl. Pollmanns/ Kabel 2023). Vor dem Hintergrund dieser Fallstudien sollen auch verbreitete normative Annahmen wie jene, der „Schulhund“ sei die bessere Lehrperson, weil er, wie in der Literatur angeführt wird, unvoreingenommen sei und nicht werte bzw. sich als affektives Gegenüber anbiete (vgl. Ceder 2016, Beetz 2019), diskutiert werden. Schließlich wollen wir unsere Studien in den breiteren Kontext aktueller internationalen Diskurse zur Entprofessionalisierung des Lehrberufs (Helsper 2021) sowie zum Ruf nach einer Transformation von Unterricht und Schule (Lindgren & Öhman 2019) angesichts einer „Krise des Anthropozän“ (Braitdotti 2023, Sörlin 2018) stellen.
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