Das Diskussionsforum fokussiert durch den Impulsvortrag (30 Minuten) und ein Kommentar (10 Minuten) am Beispiel des in der Forschung wenig beachteten Beziehungsgeflechts um die Position der Klassenlehrkraft herum die Frage, wie pädagogische Beziehungen in Schule machtvoll mit gesellschaftlichen Verhältnissen eingebunden sind und aus diesem Grund auch einen Ansatzpunkt für eine Schulkritik darstellen können. Angesichts dessen, dass pädagogische Beziehungen „mit divergierenden Konzepten“ (Lechner 2024, 9) – und nicht etwa nur als dyadisches Geschehen bspw. zwischen Lehrkraft und einzelnen Schüler*innen (z.B. Herrmann 2019) – beschrieben werden (können), wird an einen Begriff pädagogischer Beziehungen angeschlossen, der die Asymmetrie, Machtförmigkeit pädagogischer Beziehungen und die damit verbundenen Dynamiken und damit auch die Eingebundenheit pädagogischer Beziehungen in gesellschaftliche Verhältnisse mitdenkt. Damit wird es möglich, den Bogen zu spannen von der Frage nach normativen Ansprüchen an pädagogische Beziehungen in der Schule zu der Frage nach den Möglichkeiten in der erziehungswissenschaftlichen Forschung, (auch) Kritik an Schule zu generieren. Das Diskussionsforum knüpft damit an Auseinandersetzungen um die Vermitteltheit von pädagogischen Leitkonzepten, normativen Ordnungen und gesellschaftlichen Verhältnissen an, die derzeit (wieder) geführt werden (vgl. Themenschwerpunkt Zeitschrift für Pädagogik 1/2025)
Der Vortrag ist in vier Abschnitte gegliedert. Erstens wird nach einem Begriff pädagogischer Beziehungen gefragt, der deren gesellschaftliche Verfasstheit mitdenkt, d.h. Pädagogik und Gesellschaft durch den Fokus auf pädagogische Beziehungen nicht trennt, sondern zusammendenkt. Vorgeschlagen wird zweitens, am Beispiel der in der Schulforschung kaum beachteten Position der Klassenlehrkraft pädagogische Beziehungen sozialtheoretisch als relationale Beziehungsgeflechte zu konzeptualisieren, d.h. als ein Responsibilisierungsgeschehen Kuhlmann 2023) – und damit ein in vielfältigen Beziehungen sein. Zentral stellt sich damit die Frage, wie ein Angerufenwerden als in mannigfaltiger Weise Verantwortliche für eine Klasse (Cocard & Tettenborn 2022; Hoffmann-Ocon 2022; Hübner, Rabenstein & Wicke, 2024) affiziert und eine bestimmte pädagogische Verantwortlichkeit der Klassenlehrkraft im Sinne einer relationalen Beziehungsweise (Adamczak 2017, S. 238; Lechner 2024, S. 7) entworfen bzw. hergestellt wird. Drittens wird das Geflecht deutlich gemacht, in dem sich Responsibilisierungsprozesse entfalten, insofern auf entstehende Verantwortungszuschreibungen geantwortet wird. Für die Beziehungsweisen der Klassenlehrkraft und der sich in ihr vollziehenden Verantwortungszuweisung für eine Klasse spielt im Konkreten eine Rolle, welche normative Anforderungen nicht nur im Situativen in der Schule zum Tragen kommen, sondern auch, inwiefern solche Anforderungen, mit denen die Schule gesellschaftlich konfrontiert ist, in der konkreten Beziehung aktualisiert werden und insofern affizieren. Mittels einer Sekundäranalyse von ethnografischen Daten aus drei Forschungsprojekten wollen wir zeigen, wie unterschiedliche Situationen ineinander vorkommen und auf diese Weise wirksam werden. Methodisch wird dafür ein Mapping eingesetzt (Clarke, Friese & Washburn, 2018). Viertens wird die These formuliert, dass über die Fokussierung der normativen Ansprüche an pädagogische Beziehungen in ihren gesellschaftlichen Bedingungen Kritik nicht (nur) an konkreten pädagogischen Beziehungsgestalten, sondern an den Bedingungen und den normativen Erwartungen an Schule für deren Realisierung ansetzen könnte.
Kommentar von Prof. Dr. Fabian Dietrich (zugesagt): Der Vortrag wird aus schultheoretischer Perspektive kommentiert. Vor dem Hintergrund einer Reflexion des Verhältnisses von Schule und Gesellschaft wird die im Vortrag entwickelte Argumentation kommentiert. Insbesondere werden Produktivität und Grenzen reflektiert, über den Begriff der ‚Beziehungsweise‘ Kritik an Schule zu formulieren, die auf die gesellschaftliche Verfasstheit von Schule fokussiert.
In der Diskussion könnten u.a. folgende Stränge aus Vortrag und Kommentar aufgegriffen werden:
- Potenziale und Grenzen des entwickelten Begriffs pädagogischer Beziehungen für die Forschung und einer Forschung zur Klassenlehrkraft als ein Beziehungsgeschehen
- Angemessenheit der methodischen Umsetzung mit dem vorgeschlagenen Mapping, Nachvollzug des Mapping
- Frage nach den Adressat*innen von Kritik, wenn durch Forschung auch Kritik an Schule formuliert wird