Der Markt an Ratgebern, die sich an Pädagog*innen und Lehrkräfte richten und die Themen Disziplin und Autorität zum Gegenstand haben, ist groß (Merl/Richter 2025, i.E.): „‚Neue Autorität‘ in der Schule: Präsenz und Beziehung im Schulalltag“ (Lemme/Körner 2022), „Gute Autorität. Grundsätze einer zeitgemäßen Erziehung“ (Bergmann 2009), „Disziplin im Unterricht: auf dem Weg zu einer zeitgemäßen Autorität“ (Becker 2009), „Disziplin im Klassenzimmer. Bewährtes und Neues“ (Krowatschek/Krowatschek/Wingert 2015) sind einige der Titel. Sowohl in den Ratgebern als auch in der erziehungswissenschaftlichen Reflexion gelten Autorität und Disziplin als konstitutive Momente pädagogischer Beziehungen. Allerdings gelten sie in den Ratgebern als reformbedürftig, weil sie nicht (mehr) per se Legitimität beanspruchen können. Folgt man den Ratgebern, bedarf es einer spezifischen „neuen“ Disziplin sowie einer spezifischen „guten“ bzw. „zeitgemäßen“ Autorität. Diese Formulierungen verwiesen auf einen historischen Wandel sowie auf einen spannungsvollen Diskurs um die Herstellung bzw. die Forderung von Disziplin und Autorität in pädagogischen Beziehungen (Richter 2024). Als Normen pädagogischen Handelns gelten heute symmetrische, positive, dialogische, angstfreie etc. pädagogische Beziehungen zwischen Lehrkräften und Schüler*innen, die durch Wertschätzung, Vertrauen und Verständnis gekennzeichnet sind (Prengel 2024).
Das Symposium setzt an dieser Norm einer möglichst symmetrischen Beziehung an, die für die Pädagogik einen unhintergehbaren Widerspruch bedeutet. Denn pädagogisches Handeln ist konstitutiv asymmetrisch, da die beiden Positionen Erzieher:in und Zögling nicht austauschbar sind; es bestehen ungleiche Handlungsspielräume, ungleiche Verantwortung und ungleiche Abhängigkeiten (Foray 2019). Ihre legitimatorische Grundlage hat die asymmetrische Beziehung „im erzieherischen Verhältnis – nebst der Schutzbedürftigkeit des Kindes – zuallererst darin, dass die eine Seite mit der Welt der Menschen und ihrer raumzeitspezifischen Kultur vertraut ist und die andere (noch) nicht“ (Reichenbach 2000: 796).
Der Beziehungswiderspruch von Symmetrie (Norm) und Asymmetrie (Notwendigkeit) fordert im Sprechen über Disziplin und Autorität dazu auf, sich auf der ‚richtigen‘ Seite zu positionieren und von der ‚falschen‘ Seite abzugrenzen. Was sich darin ausdrückt, ist die Legitimationsbedürftigkeit von Autorität und Disziplin in pädagogischen Beziehungen. Zugleich produzieren diese Legitimationen und Abgrenzungen neue pädagogisch anerkannte Formen der Herstellung von Autorität und Disziplin.
Ein gegenwärtiger exemplarischer Ausdruck, mit dem Widerspruch symmetrischer pädagogischer Beziehungen umzugehen, ist, „die im Führungsbereich immer nötigen Dominanzmanöver mit so subtil wie nötigen Kommunikationsformen und Sprechakten zu kaschieren, dass die mehr oder weniger offensichtlichen Unterwerfungsleistungen für jene, die sie zu zeigen haben (meinen), akzeptierbar sind“ (Reichenbach 2007: 651).
Das Symposium betrachtet diese Spannung der symmetrischen Beziehungsnorm bei gleichzeitig unhintergehbarer Asymmetrie mit Fokus auf Autorität und Disziplin in der Schule. Es nimmt die damit einhergehenden schulpädagogischen Effekte anhand empirischer Befunde aus drei Forschungsprojekten in den Blick. Folgende Fragestellungen stehen dabei im Zentrum: Wie werden heute die Erreichung von Disziplin und die Forderung von Autorität in pädagogischen Beziehungen legitimiert? Welche Modi der Hervorbringung von Disziplin und Autorität lassen sich im Schulunterricht beobachten? Inwiefern sind sie als Lösung für den aufgezeigten Widerspruch einer zugleich a/symmetrischen Beziehung zu verstehen?
Die drei Forschungsprojekte, deren Ergebnisse im Symposium vorgestellt werden, sind diskursanalytisch und ethnographisch ausgerichtet. Beobachtet werden die folgenden schulischen Felder: Hauptschule, Gymnasium und Ratgeber für die schulische Praxis.
Für eine übergreifende Diskussion und machttheoretische Reflexion der Beiträge ist Dr. Thorsten Hertel (Universität Duisburg-Essen) angefragt.