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Sitzungsübersicht
Sitzung
Autorität und Disziplin in pädagogischen Beziehungen
Zeit:
Donnerstag, 18.09.2025:
15:45 - 17:45

Chair der Sitzung: Sophia Richter, Pädagogische Hochschule Vorarlberg
Ort: HS 3 = Raum 1135

Hörsaal 3 Raum 1135 im ersten Stock

Symposium

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Präsentationen

Autorität und Disziplin in pädagogischen Beziehungen

Chair(s): Sophia Richter (Pädagogische Hochschule Vorarlberg, Österreich), Thorsten Merl (Universität Koblenz)

Der Markt an Ratgebern, die sich an Pädagog*innen und Lehrkräfte richten und die Themen Disziplin und Autorität zum Gegenstand haben, ist groß (Merl/Richter 2025, i.E.): „‚Neue Autorität‘ in der Schule: Präsenz und Beziehung im Schulalltag“ (Lemme/Körner 2022), „Gute Autorität. Grundsätze einer zeitgemäßen Erziehung“ (Bergmann 2009), „Disziplin im Unterricht: auf dem Weg zu einer zeitgemäßen Autorität“ (Becker 2009), „Disziplin im Klassenzimmer. Bewährtes und Neues“ (Krowatschek/Krowatschek/Wingert 2015) sind einige der Titel. Sowohl in den Ratgebern als auch in der erziehungswissenschaftlichen Reflexion gelten Autorität und Disziplin als konstitutive Momente pädagogischer Beziehungen. Allerdings gelten sie in den Ratgebern als reformbedürftig, weil sie nicht (mehr) per se Legitimität beanspruchen können. Folgt man den Ratgebern, bedarf es einer spezifischen „neuen“ Disziplin sowie einer spezifischen „guten“ bzw. „zeitgemäßen“ Autorität. Diese Formulierungen verwiesen auf einen historischen Wandel sowie auf einen spannungsvollen Diskurs um die Herstellung bzw. die Forderung von Disziplin und Autorität in pädagogischen Beziehungen (Richter 2024). Als Normen pädagogischen Handelns gelten heute symmetrische, positive, dialogische, angstfreie etc. pädagogische Beziehungen zwischen Lehrkräften und Schüler*innen, die durch Wertschätzung, Vertrauen und Verständnis gekennzeichnet sind (Prengel 2024).

Das Symposium setzt an dieser Norm einer möglichst symmetrischen Beziehung an, die für die Pädagogik einen unhintergehbaren Widerspruch bedeutet. Denn pädagogisches Handeln ist konstitutiv asymmetrisch, da die beiden Positionen Erzieher:in und Zögling nicht austauschbar sind; es bestehen ungleiche Handlungsspielräume, ungleiche Verantwortung und ungleiche Abhängigkeiten (Foray 2019). Ihre legitimatorische Grundlage hat die asymmetrische Beziehung „im erzieherischen Verhältnis – nebst der Schutzbedürftigkeit des Kindes – zuallererst darin, dass die eine Seite mit der Welt der Menschen und ihrer raumzeitspezifischen Kultur vertraut ist und die andere (noch) nicht“ (Reichenbach 2000: 796).

Der Beziehungswiderspruch von Symmetrie (Norm) und Asymmetrie (Notwendigkeit) fordert im Sprechen über Disziplin und Autorität dazu auf, sich auf der ‚richtigen‘ Seite zu positionieren und von der ‚falschen‘ Seite abzugrenzen. Was sich darin ausdrückt, ist die Legitimationsbedürftigkeit von Autorität und Disziplin in pädagogischen Beziehungen. Zugleich produzieren diese Legitimationen und Abgrenzungen neue pädagogisch anerkannte Formen der Herstellung von Autorität und Disziplin.

Ein gegenwärtiger exemplarischer Ausdruck, mit dem Widerspruch symmetrischer pädagogischer Beziehungen umzugehen, ist, „die im Führungsbereich immer nötigen Dominanzmanöver mit so subtil wie nötigen Kommunikationsformen und Sprechakten zu kaschieren, dass die mehr oder weniger offensichtlichen Unterwerfungsleistungen für jene, die sie zu zeigen haben (meinen), akzeptierbar sind“ (Reichenbach 2007: 651).

Das Symposium betrachtet diese Spannung der symmetrischen Beziehungsnorm bei gleichzeitig unhintergehbarer Asymmetrie mit Fokus auf Autorität und Disziplin in der Schule. Es nimmt die damit einhergehenden schulpädagogischen Effekte anhand empirischer Befunde aus drei Forschungsprojekten in den Blick. Folgende Fragestellungen stehen dabei im Zentrum: Wie werden heute die Erreichung von Disziplin und die Forderung von Autorität in pädagogischen Beziehungen legitimiert? Welche Modi der Hervorbringung von Disziplin und Autorität lassen sich im Schulunterricht beobachten? Inwiefern sind sie als Lösung für den aufgezeigten Widerspruch einer zugleich a/symmetrischen Beziehung zu verstehen?

Die drei Forschungsprojekte, deren Ergebnisse im Symposium vorgestellt werden, sind diskursanalytisch und ethnographisch ausgerichtet. Beobachtet werden die folgenden schulischen Felder: Hauptschule, Gymnasium und Ratgeber für die schulische Praxis.

Für eine übergreifende Diskussion und machttheoretische Reflexion der Beiträge ist Dr. Thorsten Hertel (Universität Duisburg-Essen) angefragt.

 

Beiträge des Symposiums

 

Autorität und Disziplin im Kontext pädagogischer Beziehungen. Transformationen und ihre Folgen für die Profession

Thorsten Merl1, Sophia Richter2
1Universität Koblenz, 2Pädagogische Hochschule Vorarlberg

Disziplinierung, Strafen, autoritäre Erziehung sowie das Einfordern von Unterwerfung und Gehorsam lassen sich heute kaum noch (pädagogisch) legitimieren. Sie gelten als unpädagogisch, die pädagogische Beziehungen gefährdend und sind negativ konnotiert – teilweise werden sie mittlerweile auch staatlich sanktioniert, wie z.B. körperliche Züchtigungen. Zugleich werden aber die Zustände Disziplin und anerkannte Autorität zumeist als erstrebenswerte und wichtige Zustände erachtet. Sie werden als Voraussetzungen pädagogischen Handelns eingefordert und positiv bewertet.

Daraus folgt – so der Ausgangspunkt unserer Studie – eine eingeschränkte pädagogische Autorisierung: Ein pädagogischer Zustand soll sein, aber die traditionellen Wege dorthin gelten als illegitim. Pädagog:innen sind nur noch bedingt legitimiert, herzustellen, was als Bedingung der Möglichkeit ihres Handelns gilt. 

Diese Leerstelle der Autorisierung erzieherischen Handelns untersuchten wir im Rahmen einer diskursanalytischen Studie. Hierfür rekonstruieren wir Erziehungsratgeber entlang folgender Fragen: Wie wird die mangelnde pädagogische Autorisierung mittels verschiedenster Programme, Ansätze und Maßnahmen substituiert? Welche übergeordneten Strategien der (pädagogischen) Autorisierung lassen sich darin ausmachen? Welche Effekte haben die ‚neuen Autorisierungsstrategien‘ der Erreichung von Disziplin und Autorität für die Profession? Der Vortrag präsentiert die zentralen Ergebnisse der Studie unter Fokussierung der Effekte auf pädagogischen Beziehungen. 

 

(De-)Stabilisierungen pädagogischer Autorität am Beispiel ironischer Disziplinierungen

Anne Sophie Otzen
Universität Bremen

Disziplinierungen im Unterricht genießen keinen guten Ruf. Vielmehr stehen sie unter dem Verdacht auf „äußere[n] Zwang“ zu setzen, wohingegen aus pädagogischer Perspektive „die Befähigung zur Selbstführung“ das Ziel jedes pädagogischen Handelns sein sollte (Langer/Richter 2015: 216). Schaut man in pädagogische Ratgeberliteratur, wirken sie sich negativ auf das Arbeitsbündnis zwischen Lehrpersonen und Schüler*innen sowie auf die pädagogische Beziehung aus (u.a. Klieme 2006). Auch wenn Disziplinierungen programmatisch delegitimiert sind, sind sie im schulischen Alltag omnipräsent und damit empirisch bedeutsam, gerade im Hinblick auf die Reproduktion sozialer Ungleichheit (Wolter 2016).

Aus einer subjektivierungs- und anerkennungstheoretischen Forschungsperspektive fragen wir nach den subjektivierenden Logiken und Effekten disziplinierender Praktiken im situativen Vollzug (vgl. Kuhlmann/Otzen 2023). Dabei setzen wir an der Beobachtung an, dass neben klassenöffentlichen Ermahnungen und moralisierenden Ansprachen, viele Disziplinierungen in einem ironischen Modus vollzogen werden. So gehört bspw. der Tadel durch Lob sowie mehr- bzw. uneindeutige Disziplinierungsformate zum schulischen Alltag (vgl. Otzen 2023). Im Rahmen des Vortrags untersuchen wir die Performativität solcher Disziplinierungspraktiken anhand einer transkribierten Unterrichtssequenz aus dem Deutschunterricht am Gymnasium. Indem wir herausarbeiten, welche Normhorizonte und welche Positionierungsweisen in diesen Akten angespielt und hervorgebracht werden, zeigen wir auf, wie diese mehrdeutigen Adressierungen disziplinieren und dabei zugleich die Stabilität und Fragilität pädagogischer Autorität sichtbar werden lassen.

 

Komplexe Körperlichkeit – zu einer zentralen Dimension pädagogischer Beziehungen in der Schule

Antje Langer
Universität Paderborn

Dazu, dass Disziplinierung am Körper ansetzt, gibt es bereits seit langem erziehungswissenschaftliche Einsichten. Auch rückt Körperlichkeit im Rahmen der Ausgestaltung von Nähe und Distanz in pädagogischen Beziehungen hin und wieder problematisierend in den erziehungswissenschaftlichen Fokus. Darüber hinaus wird Körperlichkeit jedoch nach wie vor gerne vernachlässigt. Wie sich soziale Positionierungen und die Art und Weise der Gestaltung pädagogischer Beziehungen abhängig von alters-, klassen- und genderbezogenen Adressierungen körperlich gestalten sowie Wahrnehmungen und Interpretationen durch diskursive Transformationen verändern, wird selten betrachtet. Welche Aufmerksamkeit wird dem Körper von Schüler:innen und Lehrkräften im Rahmen schulischer Disziplinierung und Beziehungsgestaltung entgegengebracht? Welche Vorstellungen von Lehr- und Lernkörpern gehen in pädagogische Beziehungsgestaltungen ein? Welche sozialen Positionierungen und ggf. nicht antizipierten Effekte sind mit welchen Praktiken und sie durchziehenden Diskursen verbunden? Am Beispiel von Ergebnissen einer ethnographischen Studie in einer 7. Klasse einer Hauptschule (Langer 2008) sollen diese Fragen auf das Thema des Symposions bezogen und weiter ausbuchstabiert werden.