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Sitzungsübersicht
Sitzung
Praxeologisch-wissenssoziologische Perspektiven auf pädagogische Beziehungen in Schule und universitärer Lehrer:innenbildung: Orientierungen von Lehrpersonen, Hochschullehrenden und Lehramtsstudierenden
Zeit:
Donnerstag, 18.09.2025:
10:15 - 12:15

Chair der Sitzung: Jan-Hendrik Hinzke, Justus-Liebig-Universität Gießen
Ort: SR 2 = Raum 1111

Seminarraum 2 Raum 1111 im ersten Stock; 30 Personen

Symposium

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Präsentationen

Praxeologisch-wissenssoziologische Perspektiven auf pädagogische Beziehungen in Schule und universitärer Lehrer:innenbildung: Orientierungen von Lehrpersonen, Hochschullehrenden und Lehramtsstudierenden

Chair(s): Jan-Hendrik Hinzke (Justus-Liebig-Universität Gießen, Deutschland), Cornelia Jacob (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg)

Diskutant:in(nen): Cornelia Jacob (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg)

Ausgangspunkt des Symposiums ist der sich zunehmend etablierende praxeologisch-wissenssoziologische Professionsansatz (Bohnsack 2020), der entlang empirisch fundierter meta-theoretischer Kategorien wie der konstituierenden Rahmung professionalisierte Praxis in pädagogisch ausgerichteten Institutionen konzeptualisiert. Im Symposium wird die Herstellung und Aufrechterhaltung einer pädagogischen Beziehung, grundlegend verstanden als „das wechselseitige Aufeinander-Bezug-Nehmen von Erwachsenen und Heranwachsenden“ (Häcker et al. 2022, S. 15), als ein Aspekt professionalisierter Praxis in den Blick genommen. Auch wenn Beziehung immer zweiseitig und interaktiv zu denken ist (Richey 2021; Wettstein & Scherzinger 2021), wird die Perspektive der Professionellen als diejenigen, die maßgeblich für die Beziehungsgestaltung verantwortlich sind, fokussiert.

Die für den praxeologisch-wissenssoziologischen Professionsansatz zentrale Kategorie der konstituierenden Rahmung fokussiert als zentrale Herausforderung professionalisierten Handelns die interaktive Bewältigung der Spannung zwischen Normen der Organisation einerseits und Orientierungen der Klientel andererseits (Bohnsack 2020; Bohnsack et al. 2022; Bohnsack 2023). Im Symposium wird dieser Grundgedanke aufgegriffen, indem die beiden Konzepte ‚konstituierende Rahmung‘ und ‚pädagogische Beziehung‘ miteinander in Beziehung gesetzt werden. Dabei lässt die Betonung der interaktiven und kommunikativen Dimension professionalisierten Handelns die Kategorie konstituierende Rahmung für eine tiefere Durchdringung der Spezifik der (organisational eingebetteten) Beziehung zwischen Professionellen und Klientel ertragreich erscheinen. So geraten bspw. verschiedene Umgangsweisen mit strukturellen Asymmetrien und ungleich verteilter Macht zwischen Professionellen und Klientel (Bressler 2023) als Ausdruck unterschiedlicher konstituierender Rahmungen in den Blick.

Dem Symposium geht es im Sinne einer praxeologisch-wissenssoziologischen Analysehaltung nicht darum, die Logik der Theorie in die Praxis hinein zu projizieren, sondern die Logik der beruflichen Praxis selbst zum Ausgangspunkt der Metatheorie zu machen. Durch die dokumentarische Rekonstruktion empirischer Daten soll primär die Kategorie pädagogische Beziehung reflektiert und weiterentwickelt werden.

Aus dieser gemeinsamen grundlagen- und gegenstandstheoretischen Perspektive heraus werden im Symposium Lehrpersonen, Dozierende in der Lehrer:innenbildung und Lehramtsstudierende mit ihren jeweiligen organisationalen Einbettungen ins Zentrum gerückt. Grundlegendes Ziel ist es, pädagogische Beziehungen aus praxeologisch-wissenssoziologischer Perspektive heraus sowohl theoretisch als auch empirisch näher zu erschließen und dabei die Lehrer:innenbildung(-sforschung) zum gedanklichen Bezugspunkt zu machen. Dabei geht es im Kern um folgende Fragen:

Wie lassen sich pädagogische Beziehungen empirisch rekonstruieren und welche Ausformungen derartiger Beziehungen zeigen sich in Schulen und der universitären Lehrer:innenbildung? Inwiefern lassen sich die Konzepte der pädagogischen Beziehung und der konstituierenden Rahmung relationieren und welcher gegenstandstheoretische Erkenntnisgewinn zeigt sich dabei? Inwiefern zeigen sich empirisch Ausdrucksgestalten der konstituierenden Rahmung in pädagogischen Beziehungen?

Zunächst werden drei Vorträge präsentiert, die auf unterschiedlichen Forschungsprojekten basieren und mit der Dokumentarischen Methode (Bohnsack 2021; Przyborski & Wohlrab-Sahr 2021) arbeiten.

Der erste Vortrag fokussiert entlang von ersten empirischen Befunden aus Einzelinterviews die Beziehung von Gymnasiallehrpersonen zu besonders leistungsstarken Schüler:innen, wobei insbesondere die Wahrnehmung der Schüler:innen durch die Lehrpersonen als Aspekt pädagogischer Beziehungen herausgearbeitet wird.

Mit Fokus auf Beziehungen an der Hochschule nimmt der zweite Vortrag entlang der Rekonstruktion von Gruppendiskussionen mit Dozierenden deren Orientierungen in Bezug auf Lehramtsstudierende in den Blick. Für die Analyse werden praxeologisch-wissenssoziologische und anerkennungstheoretische Kategorien genutzt, anhand derer die Spezifik der (pädagogischen) Beziehung zwischen Studierenden und Dozierenden sowie die damit einhergehenden professionalisierungsrelevanten Implikationen herausgearbeitet werden.

Stärker theoretisch perspektiviert geht der dritte Vortrag der Frage nach, wie pädagogische Beziehung aus Sicht verschiedener professionstheoretischer Ansätze und insbesondere aus der sich neu etablierenden praxeologisch-wissenssoziologischen Sicht auf Professionalisierung beschrieben werden kann. Unter Berücksichtigung empirischer Befunde aus einer Gruppendiskussionsstudie mit Lehramtsstudierenden wird dabei v.a. die Kategorie der konstituierenden Rahmung hinsichtlich ihrer Anschlussfähigkeit an universitäre Lehrer:innenbildung betrachtet.

In der abschließenden übergreifenden Diskussion werden zentrale Ergebnisse der Vorträge zueinander relationiert, methodische Chancen und Grenzen angesprochen und die Ergebnisse vor dem Hintergrund diskutiert, was diese zur näheren Kennzeichnung einer pädagogischen Beziehung beitragen sowie welche Konsequenzen sich daraus für weitere Forschung zu diesem Konzept und für die Gestaltung der Lehrer:innenbildung ergeben.

 

Beiträge des Symposiums

 

Gestaltungsmerkmale pädagogischer Beziehungen zwischen Gymnasiallehrpersonen und besonders leistungsstarken Schüler:innen

Jessica Füg
Justus-Liebig-Universität Gießen

Im Beitrag wird die pädagogische Beziehung zwischen zwei speziellen Personengruppen – Gymnasiallehrpersonen und besonders leistungsstarken Schüler:innen – fokussiert. Dabei werden Erwartungshaltungen und Einstellungen der Lehrperson beleuchtet, die wiederum zentralen gestalterischen Einfluss auf die Beziehung zu entsprechender Schüler:innengruppe haben (Fischer/Richey 2021). Ausgehend vom praxeologisch-wissenssoziologischen Professionsansatz und der Annahme, dass die entsprechende Beziehung eingebettet ist in Organisation und Institution, spielen außerdem normative Anforderungen eine Rolle, die von den Lehrpersonen bearbeitet werden (Bohnsack 2020; Bohnsack et al. 2024).

Im Zentrum der Promotionsstudie „Besonders leistungsstarke Schüler:innen im Blick“ steht die Frage nach Orientierungen von Gymnasiallehrpersonen bzgl. der Wahrnehmung von und dem Umgang mit besonders leistungsstarken Schüler:innen. Leistungsstärke wird dabei nach Sturm (2024) als Facette von Heterogenität verstanden, was wiederum mit Normen der Bildungsgerechtigkeit und damit auch normativen Ansprüchen an die Gestaltung einer pädagogischen Beziehung zwischen Lehrperson und Schüler:innen einhergeht. Im Rahmen des Dissertationsprojekts wurden zwölf Einzelinterviews mit Gymnasiallehrpersonen an drei Schulen geführt und mithilfe der Dokumentarischen Methode nach Bohnsack (2021) ausgewertet. Im Vortrag werden erste empirische Befunde vorgestellt, wobei der Fokus auf der Wahrnehmung besonders leistungsstarker Schüler:innen durch Lehrpersonen und die dabei zum Vorschein tretenden Normen in Bezug auf die Gestaltung der pädagogischen Beziehung im Zentrum liegt. Mit Fokussierung auf die Beziehungsgestaltung vonseiten der Lehrpersonen soll der Vortrag eine neue Perspektive auf die Schnittstelle zwischen pädagogischen Beziehungen und Leistungsstärke eröffnen.

 

„Pädagogische“ Beziehungen an der Hochschule? Anerkennungsformen Dozierender gegenüber Lehramtsstudierenden

Linda Schneider
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Während sich der Begriff der Anerkennung im Diskurs um die pädagogische Beziehung zwischen Lehrpersonen und Schüler:innen und seine macht- und adressierungsanalytischen Implikationen in den letzten beiden Jahrzehnten fest etabliert haben (z.B. Helsper et al. 2005, Kowalski 2016, Prengel 2019, Kuhlmann et al. 2023) stellen (anerkennungstheoretische) Perspektiven auf die Beziehung zwischen Hochschullehrenden und (Lehramts)studierenden ein Desiderat dar.

Der Vortrag widmet sich dieser Leerstelle, indem er differierende Anerkennungsformen Dozierender gegenüber Lehramtsstudierenden als (einen) Befund der dokumentarischen Rekonstruktion (Bohnsack 2020, 2021, Przyborski 2004) von Orientierungsrahmen hochschulischer Lehrerbildner:innen vorstellt (ähnlich für den Kontext Schule, z.B. Hericks 2007). Empirische Grundlage des Beitrags sind sieben Gruppendiskussionen mit Lehrenden der Bildungswissenschaften und ausgewählter Fachdidaktiken, die im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitstudie des QLB-Projekts KALEI2 (Professionalisierung durch Heterogenitätssensibilierung) erhoben und mit einem professionstheoretischen Erkenntnisinteresse befragt wurden.

Wenngleich sich durchaus kontrastreiche Verhandlungen expliziter und impliziter Wissensbeständen der Dozierenden in Bezug auf die Studierenden zeigen, so bestätigt das empirische Material in grosso modo den auch am Forschungsdiskurs ablesbaren Befund, dass Lehramtsstudierende vor der Folie idealer akademischer Praxis einen schwierigen Ruf genießen (z.B. König & Wolf 2023, Maleyka 2023, Wenzl et al. 2018). Mit der anerkennungstheoretischen Wendung dieses nun auch empirisch zeigbaren Befunds verfolgt der Beitrag das Erkenntnisinteresse, professionalisierungsrelevante Implikationen beruflicher Akteur:innen zur Diskussion zu stellen, die ihrer Klientel eine defizitäre Praxis zuschreiben.

 

Pädagogische Beziehungen aus professionstheoretischer Perspektive: Relationierungen zum Konzept ‚konstituierende Rahmung‘

Jan-Hendrik Hinzke
Justus-Liebig-Universität Gießen

Der strukturtheoretische und der kompetenztheoretische Professionsansatz bieten unterschiedliche Antworten auf die Frage, zu welchem Zweck und wie Lehrpersonen pädagogische Beziehungen zu Schüler:innen aufbauen und gestalten sollten. Geht es aus strukturtheoretischer Perspektive im pädagogischen Arbeitsbündnis zentral um die stellvertretende Krisenlösung unter Ausbalancierung von diffusen und spezifischen Sozialbeziehungen (Helsper 2021), gilt aus kompetenztheoretischer Sicht die Gestaltung einer lern- und leistungsförderlichen Arbeitsbeziehung als Merkmal von Unterrichtsqualität (Fischer & Richey 2021). Der neu hinzugekommene praxeologisch-wissenssoziologische Professionsansatz bietet mit der Etablierung einer konstituierenden Rahmung einen weiteren Impuls, bei dem die Beziehung zwischen Lehrpersonen und Schüler:innen konsequent von ihrer Einbettung in die Institution und Organisation Schule her gedacht wird (Bohnsack 2020; Bohnsack et al. 2024). Nach einer professionstheoretischen Betrachtung des Konzepts ‚pädagogische Beziehung‘ und einer Relationierung dieses Konzepts zur ‚konstituierenden Rahmung‘ werden Daten aus dem Projekt ‚Reflexions- und Analysefähigkeit zu Studienbeginn‘ (RASt) eingebracht, in dem unter Verwendung zweier Stimuli – Videovignetten zur beruflichen Praxis und Interpretationen zu diesen Videos – Gruppendiskussionen mit Studienanfänger:innen u.a. des Lehramts geführt wurden (Hinzke & Wittek 2024). Auf Basis einer Datenauswertung mit der Dokumentarischen Methode (Bohnsack 2021; Przyborski & Wohlrab-Sahr 2021) wird im Vortrag aufgezeigt, inwiefern sich bei Studienanfänger:innen des Lehramts bereits Reflexionen auf eine konstituierende Rahmung zeigen und in welchen Wissensbeständen diese wurzeln. Diskutiert wird, wie universitäre Lehrer:innenbildung bei derartigen Reflexionen ansetzen könnte, damit sie zum Ausgangspunkt für eine sich im weiteren Studium vollziehende Professionalisierung in der Gestaltung pädagogischer Beziehungen werden können.