Eine auf Anerkennung beruhende Gestaltung pädagogischer Beziehungen von Seiten der Lehrkräfte gilt für Aspekte wie well-being, das Lernen und die Persönlichkeitsentwicklung von Schüler_innen als zentral (z.B. Pianta 1999, Prengel 2019, Stojanov 2006, Zerillo & Osterman 2011). Verschiedene (inter-)nationale Studien weisen aber auch darauf hin, dass es im schulischen Alltag nicht nur zu anerkennendem Handeln, sondern auch zu seelischer Gewalt von Lehrkräften gegenüber Kindern und Jugendlichen kommt, z.B. in Form von Beleidigungen, Beschimpfungen, Ignorieren oder Bloßstellungen (Gusfre, Støen & Fandrem, 2022; Scharpf, Kızıltepe, Kirika & Hecker, 2023).
In diesem Zusammenhang stellt sich zum einen die Frage, wie sich die Phänomene Anerkennung und Gewalt theoretisch (auch in ihrer wechselseitigen Bezugnahme) bestimmen lassen, und, wie die Phänomene von schulischen Akteur_innen gedeutet werden. Insbesondere die Perspektive von Schüler_innen wird bisher kaum berücksichtigt (Rosenthal & Ben Arieh 2022; Geiger & Fischer 2006).
Im Rahmen des Symposiums wollen wir ausgehend von Interviewprotokollen die Perspektive von Schüler_innen rekonstruktiv in den Blick nehmen und analysieren, wie Schüler_innen pädagogische Interaktionen in Bezug auf Anerkennung und seelische Gewalt erleben, wahrnehmen und deuten. Einen besonderen Fokus legen wir auf die Frage, inwiefern Schüler_innen in ihren Deutungen Bezüge zu Differenzkategorien, z.B. class, gender, race, etc., herstellen oder über welche herkunftshabituellen Dispositionen sie verfügen. Hierbei interessiert uns, inwiefern jene Differenzkonstruktionen und Dispositionen bei der Artikulation und Wahrnehmung von Erfahrungen, die sich als Anerkennung oder seelische Gewalt fassen lassen, eine Rolle spielen, z.B. differenzspezifische Erfahrungen, Legitimationsmuster für das Verhalten der Lehrkraft, erzählte Wirkungen von Interaktionen sowie Formen der Bearbeitung im Spannungsfeld von Abhärtung sowie Sensibilisierung.
Die Ergebnisse kontextualisieren wir anerkennungstheoretisch (z.B. Honneth 1992) und unter Rückgriff auf theoretische Arbeiten zu seelischer Gewalt (z.B. Herrmann und Kuch 2007). Hierbei wird eine differenzsensible Perspektive angelegt, welche sich im Sinne eines weiten Inklusionsbegriffs durch eine analytische Offenheit gegenüber Differenzkategorien, die mit Blick auf (fehlende) Anerkennungserfahrungen von Relevanz sind, kennzeichnet. Darüber hinaus impliziert diese Perspektive eine Berücksichtigung der Intersektionalität von Kategorien (Crenshaw 1989), unterscheidet zwischen Fremd- und Selbstidentifikation (Supik 2017) und reflektiert mit Blick auf Anerkennungs- und Missachtungserfahrungen bestehende Labels z.B. “Behinderung” (Moser 2012) sowie “Migrationshintergrund” (Supik 2017) kritisch. Schließlich werden Möglichkeiten und Herausforderungen in Bezug auf empirische Studien mit Schüler_innen diskutiert.
Zum Aufbau des Symposiums: Im ersten Beitrag wird ein theoretischer Überblick über zentrale Arbeiten in Bezug auf Erfahrungen von Anerkennung und seelischer Gewalt in pädagogischen Beziehungen gegeben (z.B. Helsper & Hummrich 2014; Fischer und Richey 2022; Prengel 2019; Heinzel 2014; te Poel 2018). Hierbei liegt ein Fokus auf dem Phänomen der seelischen Gewalt und der Frage, inwiefern die theoretische Bestimmung herausforderungsvoll ist und welche Bezüge sich zur Heterogenität der Schüler_innen herstellen lassen.
Im zweiten Beitrag geht es auf der Grundlage von empirischen Material primär um als anerkennend konstituierte Erfahrungen von Schüler_innen des Sekundarbereichs. Es wird analysiert, wie Schüler_innen die pädagogische Beziehung zu Lehrkräften wahrnehmen und über welche schulbezogenen herkunftshabituellen Dispositionen sie verfügen. Grundlage der Rekonstruktionen sind Protokolle aus Schüler_inneninterviews, die mit der sequenzanalytischen Habitusrekonstruktion (Kramer, 2018) ausgewertet wurden.
Im dritten Beitrag wird anhand von Interviews mit Schüler_innen aus dem Primarbereich in den Blick genommen, was diese unter seelischer Gewalt von Lehrkräften gegenüber Schüler_innen verstehen und inwiefern die Schüler_innen im Erleben und in den wahrgenommenen Folgen seelischer Gewalt Bezüge zu Differenzkategorien z.B. race, class, gender sowie ability herstellen. Hierbei wird auf Einzelinterviews und Gruppendiskussionen mit insgesamt zehn Schüler_innen im Alter von 9-11 Jahren zurückgegriffen, die mithilfe einer adaptierten Form des integrativen Basisverfahrens nach Kruse (2014) ausgewertet werden.
Im Rahmen des Symposiums wird insofern eine interdisziplinäre Perspektive eingenommen, da neben schulpädagogischen Arbeiten (z.B. Helsper und Hummrich 2014), auch soziologische Überlegungen zu Humandifferenzierung (Hirschauer 2014) und Gewalt (z.B. Vorobej 2019) sowie psychologische Studien zu Auswirkungen von Diskriminierung berücksichtigt werden (z.B. Frost & Meyer, 2023).
Im Rahmen der Diskussion sollen insbesondere die folgenden zwei methodische Fragen im Zentrum stehen: