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Sitzungsübersicht
Sitzung
Pädagogische Beziehungen im Schulsport – Begegnungen auf Augenhöhe?
Zeit:
Donnerstag, 18.09.2025:
13:15 - 15:15

Chair der Sitzung: Philipp Beck, Leibniz Universität Hannover
Ort: SR 3 = Raum 1112

Seminarraum 3 Raum 1112 im ersten Stock; 60 Personen

Symposium

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Präsentationen

Pädagogische Beziehungen im Schulsport – Begegnungen auf Augenhöhe?

Chair(s): Philipp Beck (Leibniz Universität Hannover), Kristina Messerschmidt (Universität Hildesheim), Vera Volkmann (Leibniz Universität Hannover)

Pädagogische Beziehungen unter den spezifischen Bedingungen des Faches Sport in der Schule zu betrachten, ist in mehrerlei Hinsicht interessant: Zum einen findet der Sportunterricht unter anderen räumlichen, sozialen und organisatorischen Rahmenbedingungen statt als die anderen Schulfächer und zum anderen ist die Begegnung im Sport und die Beschäftigung mit Sport eine ganzheitliche und hoch emotional besetzte, was für die Beziehungsebene auch in pädagogischer Hinsicht von besonderer Relevanz ist. Die angemessene Gestaltung der pädagogischen Beziehungen durch die Lehrkräfte ist durch diese Fachspezifik besonders bedeutsam, da die ganzheitliche Involviertheit und körperliche Exponiertheit ausschlaggebend für das Wohlbefinden sowie die affektiv-motivationale Entwicklung der Schüler*innen (Lipowsky, 2009) ist. Diese wirkt sich – nicht nur im Sportunterricht – auch auf schulischen Lernerfolg aus (ebd.; Hattie, 2014). Anders als im Klassenunterricht finden vielfältige Bewegungs- und Interaktionsformen in unterschiedlichsten Anordnungen statt. Die typischen Handlungsformen, in denen (unbekannte) Bewegungsabläufen erprobt und demonstriert werden, Wettkämpfe stattfinden oder Bewertungen vorgenommen werden, finden immer unter der Bedingung der „körperlichen Exponiertheit“ (Miethling & Krieger, 2004) statt. Der Körper gerät in den Mittelpunkt des unterrichtlichen Interaktionsgeschehens, wird bisweilen sogar selbst zum Thema und ist von Mitschüler*innen sowie Lehrkräften direkt einsehbar. Auch Berührungen sind auf Grund der Spezifik des Faches keine Seltenheit (Weigelt, 2010) und stehen in direktem Zusammenhang mit dem Spannungsverhältnis von Nähe und Distanz (Helsper, 2004). Durch diese Umstände kann es schnell zu missachtenden, bloßstellenden und beschämenden Erfahrungen für die Schüler*innen kommen (Wiesche & Klingen, 2017; Wiesche, 2020). Studien legen jedoch auch nahe, dass die besondere Spezifik des Sportunterrichts nicht nur Missachtungserfahrungen, sondern gleichermaßen auch Anerkennungs- und Selbstwirksamkeitserfahrungen ermöglichen kann (Grimminger, 2012; 2013; Burrmann, 2016; Seyda, 2016; Grimminger-Seidensticker & Gieß-Stüber, 2023). Dies ist einerseits in dem direkten Erfahren von Erfolg resp. Misserfolg beim sportiven Handeln begründet; andererseits aber auch auf den Umstand der Andersartigkeit der Begegnungsmöglichkeiten der Schüler*innen untereinander, aber auch zwischen der Lehrperson und den Schüler*innen (s.u.) zurückzuführen. Denn gerade der Sport(unterricht) bietet besondere Potentiale für Begegnungen auf Augenhöhe zwischen Lehrperson und Schüler*innen. Derartige Begegnungen auf Augenhöhe werden häufig als notwendige Bedingung für gelingende Beziehungen genannt (u. a. Korpiun, 2022). Der Begriff bis heute jedoch kaum gefasst, sodass sowohl eine theoretische als auch eine empirische Annäherung notwendig erscheinen. Korpiun (2022, S. 321) beschreibt Augenhöhe „als Ausdruck von Ebenbürtigkeit“ und bezieht sich dabei auf die anthropologische Festlegung, dass alle Menschen gleich sind und sich niemand über andere erhebt. Im pädagogischen Kontext findet sich diese Perspektive in der „Pädagogik der Vielfalt“ (Prengel, 1993; 2006) wieder, welche die Gleichheit aller Menschen als einen zentralen Aspekt darstellt. Diese Idee kollidiert jedoch auf struktureller Ebene mit den schulischen Rahmenbedingungen für die Beziehungsgestaltung zwischen Lehrkräften und Schüler*innen, da dort Hierarchien und Abhängigkeiten bestehen. Bressler (2023) verweist auf die Wissens- und Machthierarchien als konstitutive Bedingungen der Lehrer*innen-Schüler*innen-Beziehung. Im Sportunterricht ist dieser Umstand jedoch nicht so absolut zu sehen, da einzelne Schüler*innen oftmals große sportspezifische Expertise durch ihre außerschulischen Vorerfahrungen mitbringen. Ebenso kann durch Alterungsprozesse der Lehrkraft eine unausweichliche Umkehr der sportiven Handlungsmöglichkeiten zwischen ihr und den Schüler*innen entstehen (Miethling, 2001). Diesen fachspezifisch konstitutiven Bedingungen wird auch auf fachdidaktischer Ebene seit jeher Rechnung getragen, wie sich exemplarisch für den umfassenden Diskurs zu diesem Aspekt im Konzept „Schüler als Experten“ (Gebken & Kuhlmann, 2013) durch den produktiven Umgang mit dieser Verschiebung aufzeigen lässt, indem Schüler*innen eine „Quasi-Lehrerposition“ (Weigelt, 2017) einnehmen und einzelne Aspekte des Unterrichts (mit-)übernehmen. Aus diesen fachspezifischen Merkmalen ergeben sich besondere Potentiale einer Begegnung auf Augenhöhe, da sich die beteiligten Akteur*innen hier unabhängig von ihrer institutionellen Rolle „in ihrem Fundament, im gegenseitigen Austausch (...) symmetrisch“ verhalten (Scherzinger & Wettstein, 2022), obgleich Kowalski (2020) betont, dass eine tatsächliche Begegnung auf Augenhöhe zwischen Lehrenden und Lernenden unmöglich erscheint, da die Hierarchien nicht völlig auflösbar sind.

Im Rahmen des Symposiums werden vor dem Hintergrund dieser Überlegungen exemplarische Ergebnisse dreier qualitativer Interviewstudien vorgestellt, welche sich pädagogischen Beziehungen im Schulsport mit unterschiedlichen Theoriefolien annähern und Begegnungen auf Augenhöhe im Schulsport empirisch rekonstruieren. Es werden dabei die Perspektiven von Schüler*innen, Lehramtsstudierenden mit dem Fach Sport und erfahrenen Sportlehrkräften im Hinblick auf die Beziehungsgestaltung eingenommen, so dass ein mulitperspektivischer Einblick dargelegt wird.

 

Beiträge des Symposiums

 

„ich finde es halt auch eine wertschätzung, weil die nicht einfach nur eine zahl hinschreiben“ – Pädagogische Beziehung und Leistungsbewertung im Sportunterricht der Laborschule Bielefeld

Philipp Beck
Leibniz Universität Hannover

In inklusiven Lernsettings gewinnt die Anerkennung individueller Leistungen zunehmend an Bedeutung für die Etablierung gelungener pädagogischer Beziehungen (Prengel, 2019). Lehrkräfte stehen jedoch vor der Herausforderung, Leistungen aufgrund der früh einsetzenden meritokratischen Logik im deutschen Bildungssystem standardisiert zu bewerten, um Selektionsentscheidungen zu legitimieren (Thurn, 2017). Die daraus resultierenden hierarchisierenden Wirkungen beeinflussen einerseits die pädagogischen Beziehungen und konterkarieren andererseits ganzheitliche Bildungsprozesse im Sportunterricht (Feth, 2023).

Die Laborschule Bielefeld stellt die individuelle Förderung aller Schüler*innen ins Zentrum ihres Leitbildes und hat dafür veränderte institutionelle Bedingungen geschaffen (u. a. Reduktion von Übergängen, Verzicht auf Ziffernzeugnisse). Auf dieser Grundlage soll im Vortrag der Frage nachgegangen werden, welche Möglichkeiten die veränderten institutionellen Rahmenbedingungen für die Gestaltung pädagogischer Beziehungen im Sportunterricht bieten. Um dieser Frage nachzugehen, wurden Interviews sowohl mit Sportlehrkräften als auch Schüler*innen der Laborschule Bielefeld geführt.

Anhand erster Ergebnisse der an den Grundsätzen der Grounded Theory Methodologie (Strauss & Corbin, 1996) orientierten Studie lässt sich rekonstruieren, dass im Sportunterricht der Laborschule Bielefeld ganzheitliche Lern- und Leistungsprozesse individualisiert sowie im Dialog mit den Schüler*innen angebahnt und begleitet werden. Innerhalb dieser Prozesse fühlen sich die Schüler*innen wertgeschätzt und auf Augenhöhe behandelt, woraus sich Implikationen für gelungene Lehrenden-Lernenden-Beziehungen ableiten lassen.

Literatur

Feth, C. (2023). Wie benoten Lehrkräfte die Leistungen ihrer Schüler*innen im Sportunter-richt? In D. Wiesche, & N. Gissel (Hrsg.), Leistung aus sportpädagogischer Perspektive (S. 279–302). Springer VS.

Prengel, A. (2019). Pädagogische Beziehungen zwischen Anerkennung, Verletzung und Ambivalenz (2., überarbeitete und erweiterte Auflage). Barbara Budrich.

Strauss, A. L., & Corbin, J. M. (1996). Grounded theory: Grundlagen qualitativer Sozialforschung. Beltz.

Thurn, S. (2017). Leistungsbewertung und Vielfalt oder: Umgang mit den Widersprüchen des Systems. Pädagogik (9), 6-9.

 

Biographisches Wissen von Lehrkräften als Ressource für die Beziehungsgestaltung im Sportunterricht

Kristina Messerschmidt
Universität Hildesheim

Sportlehrkräfte müssen in ihrem unterrichtlichen Alltag die Beziehungen zu ihren Schüler*innen vor dem Hintergrund der o.g. fachspezifischen Besonderheiten gestalten. Dabei stellt aus strukturtheoretischer Perspektive insbesondere der Umgang mit der Antinomie Nähe vs. Distanz (Helsper, 2004) eine große Herausforderung dar, die in diesem Promotionsprojekt fokussiert wird. Sportlehrkräfte müssen das Verhältnis von Nähe und Distanz zu den Schüler*innen so austarieren, dass persönliche Beziehungen entstehen können, ohne jedoch Grenzen zu überschreiten. Diese Thematik ist trotz ihrer zentralen Bedeutung im Professionalisierungsprozess ein stark vernachlässigter Aspekt (Diketmüller & Murhammer, 2001; Volkmann, 2018), dessen Bearbeitung und Ausgestaltung somit den Sportlehrkräften selbst überlassen bleibt. In diesem Promotionsprojekt werden daher die Fragen gestellt, wie und auf welcher Grundlage Sportlehrkräfte die Beziehungen zu ihren Schüler*innen im Sportunterricht gestalten.

Zur Beantwortung dieser Forschungsfragen wurden episodische Interviews mit Sportlehrkräften mit unterschiedlich langer Berufserfahrung geführt. Der Forschungsprozess wie auch die Wahl der Interviewpartner*innen orientiert sich an den Prinzipien der Grounded Theory Methodology (Glaser & Strauss, 1998).

Im Vortrag werden ausgewählte Ergebnisse präsentiert, die darauf verweisen, dass für die Sportlehrkräfte das Konzept der Augenhöhe große Relevanz hat. Darüber hinaus lässt sich rekonstruieren, dass die Sportlehrkräfte bei der Beziehungsgestaltung ganz zentral auf biographisch erworbenes Wissen zurückgreifen. Dieses Wissen umfasst u.a. die Aspekte von elterlichen und kulturellen Erfahrungen.

Literatur

Diketmüller, R. & Murhammer, R. (2001). Beziehung – eine vernachlässigte Dimension in universitären Ausbildungsprogrammen? Bildung und Bewegung: Jahrestagung der dvs-Sektion Sportpädagogik vom 22.-24.06.2000 in Frankfurt/Main, S. 185-190.

Glaser, B. G., & Strauss, A. L. (1998). Grounded Theory. Strategien qualitativer Forschung. Hans Huber.

Helsper, W. (2004). Pädagogisches Handeln in den Antinomien der Moderne. In H.-H. Krüger & W. Helsper (Hrsg.), Einführung in die Grundbegriffe und Grundfragen der Erziehungswissenschaft (6. überarbeitete und aktualisierte Aufl., S.15-34). Verlag für Sozialwissenschaften.

Volkmann, V. (2018). Beziehungsweise ... Empathie als sportpädagogische Kategorie. Sportwissenschaft in pädagogischem Interesse: 30. Jahrestagung der dvs-Sektion Sportpädagogik vom 15.-17. Juni 2017 in Hannover, S. 25-35.

 

„Jetzt sehe ich den Hintergrund, warum die Schüler das machen. Und wenn nicht, frage ich.“ – Erfahrungsbezogene Professionalisierung von Sportstudierenden für die Gestaltung pädagogischer Beziehungen auf Augenhöhe

Vera Volkmann
Leibniz Universität Hannover

In der Professionalisierung von Sportlehrkräften wird der für schulisches Handeln fundamen-tale Aspekt der pädagogischen Beziehungsgestaltung nach wie vor wenig bis gar nicht aufgegriffen (Diketmüller & Murhammer, 2001; Grimminger-Seidensticker & Gieß-Stüber, 2023). Gerade die Entwicklung hin zu einer stärkeren Integration reflektierter schulpraktischer und erfahrungsorientierter Phasen in das Studium wie sie durch die „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ angebahnt wurden, bietet hierfür konstruktive Anschlussmöglichkeiten. In einem Projekt, das durch die Verknüpfung von individueller Lernförderung und Sport an Schulen u. a. auch der Bildungsintegration von sozial benachteiligten Kindern dient, erhalten Sportstudierende die Gelegenheit, Fremdverstehen und Perspektivenübernahmefähigkeit als Grundvoraussetzung für sozialintegrative Beziehungsgestaltung theoretisch zu erarbeitet, in den wöchentlichen Praxiseinheiten an den Schulen in konkretes Handeln zu überführen und angeleitet durch die Dozierenden zu reflektieren.

Die Erfahrungen der teilnehmenden Studierenden wurden mittels qualitativer leitfadengestützter Interviews erhoben und unter Verwendung des Kodierparadigmas der Grounded Theory Methodologie ausgewertet. In den Ergebnissen zeigt sich, dass die Studierenden in mehrerlei Hinsicht einen Perspektivwechsel vollzogen haben. So hat sich ihr Verständnis von einer gelungenen pädagogischen Beziehung ebenso verändert, wie auch ihre Sichtweise auf die Institution Schule und ihre Rahmenbedingungen. Im Vortrag wird insbesondere auf die Transformation des Beziehungsverständnisses der Studierenden eingegangen, welches als Verschiebung auf dem Kontinuum der Antinomie von Nähe und Distanz (Helsper, 2004) rekonstruiert werden konnte.

Literatur

Diketmüller, R., & Murhammer, R. (2001). Beziehung - eine vernachlässigte Dimension in universitären Ausbildungsprogrammen? In R. Prohl (Hrsg.), Bildung und Bewegung; Jahrestagung der dvs-Sektion Sportpädagogik vom 22.-24.6.2000 in Frankfurt/Main (S. 185-190). Czwalina.

Grimminger-Seidensticker, E., & Gieß-Stüber, P. (2023). Abwertung und Ausgrenzung vermeiden – pädagogische und didaktische Überlegungen zur anerkennungsförderlichen Gestaltung von Sportangeboten im Kindes- und Jugendalter. In P. Gieß-Stüber, & B. Tausch (Hrsg.), Gesellschaftlicher Zusammenhalt im und durch Sport: Bildung für Vielfalt und Nachhaltige Entwicklung (S. 131-148). Springer VS.

Helsper, W. (2004). Antinomien, Widersprüche, Paradoxien: Lehrerarbeit - Ein unmögliches Geschäft? Eine strukturtheoretisch-rekonstruktive Perspektive auf das Lehrerhandeln. In B. Koch-Priewe, F.-U. Kolbe, & J. Wildt (Hrsg.), Grundlagenforschung und mikrodidaktische Reformansätze zur Lehrerbildung (S. 49–99). Klinkhardt.