Adressierungsanalyse als empirischer Zugang zum Phänomenbereich pädagogischer Beziehungen
Chair(s): Salome Schneider-Boye (Pädagogische Hochschule Zürich, Schweiz)
Diskutant:in(nen): Hedda Bennewitz (Universität Kassel)
Wie lassen sich pädagogische zum Gegenstand empirischer Untersuchung machen?
Ausgehend von der Frage des Calls zur Tagung, welche «sozialtheoretische[n] Bezugnahmen […] welche (produktiven) Perspektiven auf pädagogische Beziehungen [eröffnen]», werden im Forschungsforum die Chancen und Grenzen der Adressierungsanalyse ausgelotet, pädagogische Beziehungen gegenstandsadäquat zu erforschen. Dies geschieht anhand von zwei rekonstruierten Daten aus dem Projekt TriLSA (Trajektorien im Lehrberuf - Subjektivierung in schulischen Anerkennungsordnungen, 2025-2028), in dem neun Berufseinsteiger:innen ethnografisch durch die ersten vier Berufsjahre begleitet werden. Im Forum wird auf der einen Seite die Frage nach einem geeigneten Zugang zum Phänomenbereich der pädagogischen Beziehungen gestellt, auf der anderen Seite aber in den Blick genommen, was dieser Phänomenbereich eigentlich umfasst. Ist die Beziehung zwischen Lehrer:innen und Eltern (von Schüler:innen), eine pädagogische? Im zweiten Teil des Forschungsforums fragen wir im Anschluss an die Dissertation von Melanie Leonhard, ob die (schul-)pädagogische Beziehung eigentlich ohne die – die Institution Schule mitkonstituierenden – Gegenstände des Unterrichts hinreichend charakterisiert werden kann.
Die Adressierungsanalyse (Kuhlmann, 2023a; Reh & Ricken, 2012; Rose & Ricken, 2018) hat in den vergangenen Jahren eine bemerkenswerte 'Karriere' gemacht. Der im Grundsatz keineswegs neue, aber in der Kombination von Aspekten der Konversationsanalyse und machtbezogener Momente der Diskursanalyse spezifisch konturierte Blick auf die Relationalität sozialer Praxis, eröffnet auch für die Schul- und Unterrichtsforschung erweiterte Perspektiven, so zumindest die Ausgangshypothese des Forschungsforums. Diese erlauben nicht nur das Ausmass zu bestimmen, in denen sich normative Ansprüche an pädagogische Beziehungen auch empirisch realisieren, sondern lassen auch Aussagen zu Prozessen situativer Subjektivierung einzelner Teilnehmender am sozialen Geschehen und Aussagen zur sozialen Ordnung zu, die je nach Untersuchungsgegenstand z.B. als Wissensordnung, als Differenzordnung oder als Anerkennungsordnung gefasst werden kann.
Die vorliegenden, eher als Methodologie zu argumentierenden Heuristiken mit mehreren Dimensionen (Kuhlmann et al., 2017; Kuhlmann, 2023a) erfordern jedoch je nach Erkenntnisinteresse und Gegenstandsbestimmung die Ausarbeitung eines methodischen Vorgehens. Dieser Prozess wird im Forum an den beiden Daten und deren Rekonstruktionen sichtbar gemacht und zur Diskussion gestellt.
Als Vorgehen ist geplant, zunächst die beiden Phänomenbereiche pädagogischer Beziehungen zwischen Eltern und Lehrperson und zur Rolle der Unterrichtsgegenstände jeweils anhand einer kontextualisierten Darstellung der erkenntnisleitenden Fragestellung, des Untersuchungsdatums und seiner Rekonstruktionen vorzustellen. In der Diskussion durch die Diskutantin, aber auch mit den Teilnehmenden wäre gemeinsam das Potenzial der Adressierungsanalyse zu prüfen, so z.B. mit der Frage, welche (neuen?) Erkenntnismöglichkeiten aus diesem Zugang resultieren, aber auch, welche Grenzen mit dem Einsatz dieser Methode verbunden sind.
Beiträge des Symposiums
Pädagogische Beziehungen am Elternabend?
Salome Schneider Boye Pädagogische Hochschule Zürich
«Pädagogische Beziehungen [stehen] immer im Kontext des Bildungs- und Erziehungsauftrags» (Fischer & Richey, 2021, S. 34), der neben dem Strukturproblem der Generationalität (Ricken, 2015) die verantwortungsbewusste Zusammenarbeit zwischen Lehrer:innen und den Eltern ihrer Schüler:innen in der Institution Schule begründet (Schneider Boye, Leonhard, & Herzmann, 2025). «Was diese Verantwortung aber – neben der juristisch-verbindlichen Erfüllung von Pflichten und dem Vermeiden von Kindeswohlgefährdungen – genau bedeutet, ist theoretisch – aber natürlich oft auch praktisch – hoch umstritten» (Kuhlmann, 2023b, S. 110). Unter der Fragestellung, ob am Elternabend als etablierter Form der Elternzusammenarbeit eine pädagogische Beziehung unter den Anwesenden entsteht, ob in dieser Beziehung auch Erziehung stattfindet und welche Positionen darin den Schüler:innen zukommen (Bennewitz 2023), wurden Daten aus einem solchen Elternabend adressierungsanalytisch rekonstruiert. Im Impulsreferat wird die Kontextualisierung des Datum und das methodische Vorgehen vorgestellt sowie die Befunde zur Diskussion gestellt.
Pädagogische Beziehungen und die Gegenstände des Unterrichts
Tobias Leonhard1, Melanie Leonhard2 1Pädagogische Hochschule Zürich, 2Pädagogische Hochschule FHNW
Die Institution Schule und der darin stattfindende Unterricht als typisch moderne Form «lernbezogener Menschenhaltung» (Caruso, 2011, S. 24) ist bestimmt durch die Bezüge auf die Gegenstände des Unterrichts. Obwohl fast eine Binsenweisheit, die sich traditionell im basalen Modell des didaktischen Dreiecks abbildet, scheint uns das Verhältnis von Lehrenden, Lernenden und der Sache in seiner Dreistelligkeit (vgl. Reh, 2018) bei der Thematisierung pädagogischer Beziehungen bislang eher zu wenig berücksichtigt. Das ist umso bemerkenswerter, als die Qualität der auf «Lernen» zielenden Auseinandersetzung nicht nur auf der inter-subjektiven Beziehungsebene bestimmbar ist, sondern auch die Frage beinhalten muss, wie und als was die Gegenstände in den unterrichtlichen Horizont kommen, wie sie – ebenso wie die menschlichen Teilnehmenden – Anerkennung finden und welche Rolle die Gegenstände selbst dabei spielt. In einer Erweiterung der Adressierungsanalyse hat Melanie Leonhard das didaktische Dreieck adressierungsanalytisch aktualisiert und die Gegenstände als «Adressand» ausgearbeitet, der sowohl materiell als auch immateriell ins Zentrum der unterrichtlichen Aufmerksamkeit gelangen kann und diese (im besten Fall) produktiv zu binden vermag (Leonhard, 2025). Die Beziehungen zwischen den Gegenständen und den menschlichen Teilnehmenden lassen sich – so die Hypothese dieses Referats – adressierungsanalytisch detailliert in den Blick nehmen. Im Anschluss an die Erläuterungen zu Erweiterung der Adressierungsanalyse und zum Konzept des Adressanden wird dies an der Rekonstruktion einer Unterrichtssequenz zu verdeutlichen versucht.
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