INTAKT-Verbund: Soziale Interaktionen in pädagogischen Arbeitsfeldern
Chair(s): Annedore Prengel (Universität Potsdam), Alexander Wettstein (PHBern, Schweiz)
Gelingende soziale Interaktionen und tragfähige Beziehungen zwischen Lehrpersonen und Lernenden stellen eine wichtige Grundlage für erfolgreiche Lehr- und Lernprozesse, eine positive Entwicklung und die Gesundheit aller Interaktionsteilnehmenden dar. Zahlreiche Studien belegen (vgl. dazu für eine Übersicht Scherzinger und Wettstein, 2022), dass positive Beziehungen zu den Lehrpersonen mit der Lernmotivation der Schülerinnen und Schüler, ihren schulischen Leistungen, der sozialen Entwicklung wie auch weniger Verhaltensproblemen einhergehen. Schülerinnen und Schüler verhalten sich prosozialer und weniger aggressiv, wenn sie gute Beziehungen zu ihren Lehrpersonen haben. Zudem mindern positive Beziehungen Unterrichtsstörungen und beugen diesen vor. Auch für Lehrpersonen zeigen sich positive Effekte, so sind Lehrpersonen mit positiven Beziehungen zu ihren Schülerinnen und Schülern zufriedener mit ihrem Beruf und haben weniger Burnout.
Gleichzeitig zeigt die Studie „Soziale Interaktionen in pädagogischen Arbeitsfeldern“, kurz INTAKT-Studie, von Prengel und Kolleginnen (2016), dass rund ein Viertel der beobachteten Interaktionen zwischen Lehrpersonen und Schülerinnen und Schülern verletzend oder ambivalent sind (Prengel, Tellisch, Wohne & Zapf, 2016). Verletzende Interaktionen haben weitreichende Folgen. Es stellt sich deshalb die Frage, wie es Lehrpersonen gelingen kann, eine tragfähige Beziehung zu ihren Schülerinnen und Schülern aufzubauen und ein soziales Klima zu schaffen, in welchem sich idealerweise alle in ihrer Individualität erkannt und anerkannt fühlen? Wie können Lehrpersonen für anerkennungsrelevante Merkmale sozialer Interaktionen sensibilisiert werden?
Im INTAKT-Verbund (Soziale Interaktionen in pädagogischen Arbeitsfeldern) kooperieren unterschiedliche Forschungsvorhaben, die sich der Qualität pädagogischer Beziehungen widmen. Die beteiligten Vorhaben untersuchen pädagogische Interaktionen empirisch und tragen zur Theoriebildung bei. Sie streben an wissenschaftlich begründete Vorschläge zur Verbesserung interaktiv gestalteter pädagogischer Beziehungen in Schulen (und anderen Bildungsinstitutionen) vorzulegen, die als relevant erachtet werden für emotional-soziale sowie kognitive Entwicklungen und demokratische Sozialisation.
In der Schulforschung lassen sich wechselhafte Konjunkturen der Aufmerksamkeit für Vorgänge auf der Beziehungsebene rekonstruieren. Studien aus dem INTAKT-Verbund, die vorgestellt werden, widmen sich – u.a. anerkennungs- und vulnerabilitätstheoretisch fundiert - Fragen nach den Erscheinungsformen angemessener und unangemessener pädagogischer Interaktionen in Schulklassen, ihren Ursachen, ihren Auswirkungen auf Lernende und Lehrende sowie nach Interventionsmöglichkeiten.
Im Forschungsforum wird aus den Studien berichtet und die Projektentwicklung, Methodenwahl, Befunde, Limitationen, pädagogische Konsequenzen und offene Fragen zur Diskussion gestellt. Dabei werden insbesondere auch die normativen Komponenten, die in jedem Forschungsvorhaben und jedem Bildungsvorhaben enthalten sind, aufgedeckt und der Zusammenhang zwischen Theorie und Empirie diskutiert.
Beiträge des Symposiums
Das Projektnetz INTAKT: Studien zu Anerkennung und Verletzung in pädagogischen Beziehungen
Annedore Prengel1, Friederike Heinzel2, Christin Tellisch3, Janine Röschinger4 1Universität Potsdam, 2Universität Kassel, 3Hochschule f. Soziale Arbeit und Pädagogik Berlin, 4Goethe Universität Frankfurt/Main
Ausgehend von alltäglichen Beobachtungen zu erstaunlich verletzendem unprofessionellem Handeln von Lehrpersonen im Unterricht, wurde vor 25 Jahren das Projektnetz INTAKT initiiert. Die Forschungsfrage der INTAKT-Studien lautet: Wie und wie häufig sind relationale pädagogische Interaktionen von Anerkennung und Verletzung bestimmt? In den Teilprojekten (v.a. Lehr-Forschungs-Projekte und Dissertationen) wurden durch teilnehmende Beobachtungen insgesamt über 30 000 schriftlich protokollierte Feldvignetten gesammelt und anhand qualitativ-quantitativer Inhaltsanalysen mehrschrittig ausgewertet. Die Datensätze von Projektnetz INTAKT werden im von Friederike Heinzel an der Universität Kassel gegründeten Fallarchiv archiviert. Der Beitrag informiert über theoretische Grundlagen, Methodenwahl, numerische Befunde, exemplarische Szenen und daraus folgende schultheoretische Hypothesen. Stärken und Limitierungen werden reflektiert. Konsequenzen wie die «Reckahner Reflexionen zur Ethik pädagogischer Beziehungen» und Prinzipien einer «Pädagogikethik» werden zur Diskussion gestellt.
Literatur
Hehn-Oldiges, M., Prengel, A. (2022). Anerkennung in pädagogischen Beziehungen. Zum Zusammenhang von Forschungsbefunden, normativen Orientierungen und Entwicklungen in pädagogischen Arbeitsfeldern. In: Richter, S., Bitzer, A. (Hrsg.): In Beziehung sein. Erziehungswissenschaftliche Reflexionen zur Bedeutung von Beziehung in Forschung, Lehre und Praxis. Beltz Juventa, S. 78–94.
Prengel, A., Tellisch, C., Wohne, A., Zapf, A. (2016). Lehr-Forschungsprojekte zur Qualität pädagogischer Beziehungen. In: Beiträge zur Lehrerinnen- und Lehrerbildung. Jg. 34, Nr. 2/2016, S. 150–157.
Pädagogische Interaktionsqualität – INTAKT
Alexander Wettstein1, Laura Schwitter1, Boris Eckstein2, Urs Grob3, Benjamin Fauth4 1PHBern, 2PH Zürich, 3Universität Zürich, 4Universität Tübingen
Pädagogische Interaktionen sind vital für die kognitive, emotionale und soziale Entwicklung der Schüler:innen sowie für die Gesundheit von Lehrpersonen. Dabei ist nicht nur entscheidend, welche Verhaltensweisen Lehrpersonen und Schüler:innen objektiv zeigen, sondern auch wie sie die Interaktionen subjektiv erleben. Die INTAKT-Studie entflicht Qualitätsmerkmale pädagogischer Interaktionen anhand eines neuen theoretischen interaktionalen Rahmenmodells und einer innovativen Systematik und untersucht pädagogische Interaktionen mehrperspektivisch mit Beobachtung und Befragung der Lehrpersonen und Schüler:innen. Die INTAKT-Studie leistet eine neue theoretische Fundierung der Qualität pädagogischer Interaktionen. Sie entflicht, erfasst und analysiert das Verhalten und Erleben der Akteure im Längsschnitt aus mehreren Perspektiven und schafft damit Voraussetzungen für die Förderung der Interaktionsqualität im Unterricht.
Literatur
Eckstein, B. & Wettstein, A. (2024). Zur Qualität pädagogischer Interaktionen im Unterricht. Eine neue theoretische Konzeptualisierung und eine innovative 2*3*2 Systematik. Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, 30(03), 2-9. https://doi.org/10.57161/z2024-03-01
Eckstein, B., Wettstein, A., Grob, U., & Fauth, B. (submitted). The Quality of Pedagogical Interactions in the Classroom. A Novel Theoretical Conceptualization and an Innovative 2*3*2 Systematics.
Aggression in Lehrpersonen-Schüler:innen-Interaktionen LISA. Einflussfaktoren auf die Lehrpersonen- und Schüler:innenaggression und die Lehrpersonenreaktion
Ida Schneider1, Alexander Wettstein1, Sebastian Wachs2, Martin grosse Holtforth3 1PHBern, 2Universität Münster, 3Universität Bern
Intakte soziale Beziehungen sind eine Grundvoraussetzung für erfolgreichen Unterricht. Aggressives Verhalten von Schüler:innen und Lehrpersonen unterminiert soziale Beziehungen, erschwert Lehr-Lernprozesse und gefährdet eine gesunde Entwicklung aller Beteiligten. Es ist deshalb wichtig, Schulen und Lehrpersonen für zentrale Einflussfaktoren zu sensibilisieren. Die LISA-Studie erfasst Prävalenzen und Assoziationen verschiedener Subtypen aggressiven Verhaltens von Schüler*innen und Lehrpersonen und identifiziert aggressionsverstärkende und hemmende Faktoren. Dabei liegt ein besonderer Fokus auch auf der Rolle der Lehrperson, die mit ihrer Reaktion auf Schüler:innenaggression den weiteren Interaktionsverlauf maßgeblich beeinflussen kann. Die LISA-Studie untersucht, welche Faktoren zu einer günstigen Lehrpersonenreaktion beitragen können.
Literatur
Schneider, I., Wachs, S., & Wettstein, A. (in preparation). Teachers can counteract aggressive behavior in classrooms by strengthening personal and environmental resources — fundamental insights from research for teachers.
Wettstein, A. (2008). Beobachtungssystem zur Analyse aggressiven Verhaltens in schulischen Settings (BASYS). Huber.
Lehrer*innenwohlbefinden als Voraussetzung für erfolgreiche Interaktionen
Frances Hoferichter Universität Greifswald
Empirische Studien zeigen, dass Lehrkräfte im Vergleich zu anderen Berufsgruppen ein geringeres Wohlbefinden berichten, oft verbunden mit überdurchschnittlichem Arbeitsstress und psychosomatischen Beschwerden. Bereits im Studium geben angehende Lehrkräfte weniger effektive Bewältigungsstrategien an, was sie anfälliger für Burnout im Berufsleben machen kann. Da das Wohlbefinden von Lehrkräften nicht nur mit Gesundheit und Berufszufriedenheit verknüpft ist, sondern auch eine zentrale Voraussetzung für positive pädagogische Beziehungen darstellt, ist es essenziell, Lehramtsstudierende frühzeitig mit effektiven Methoden der Stressbewältigung vertraut zu machen. Das Projekt „Lehrer*innenwohlbefinden und Studienerfolg“ zielt darauf ab, in einer Web-basierten Positiven Psychologie Intervention die eigenen Ressourcen zu erkennen und zu nutzen. Teilnehmende Studierende berichten von höherer Emotionsregulation, Selbstwirksamkeit, besseren Bewältigungsstrategien und stärkerem Wohlbefinden im Vergleich zur Kontrollgruppe. Die Intervention unterstützt sie so dabei, besser mit den Anforderungen während des Studiums umzugehen und eine Grundlage für positive pädagogische Beziehungen zu schaffen.
Literatur
Hoferichter, F. & Jentsch. A (2024). The effects of an online positive psychology intervention on pre-service teachers' efficacy, ability to cope and emotional regulation. British Educational Research Journal. doi.org/10.1002/berj.4036
Jentsch, A., Hoferichter, F., Seyfarth, D., & Blank, T. (2023). Ein Seminarkonzept zur Verbesserung des Wohlbefindens und der Stressbewältigung für Lehramtsstudierende. Herausforderung Lehrer*innenbildung, HLZ, 6(1), 323–336. doi.org/10.11576/hlz-6229
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