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Sitzungsübersicht
Sitzung
Sprache als Medium pädagogischer Beziehungen im Unterricht
Zeit:
Donnerstag, 18.09.2025:
10:15 - 12:15

Chair der Sitzung: Sven Thiersch, Uni Osnabrück
Ort: HS 3 = Raum 1135

Hörsaal 3 Raum 1135 im ersten Stock

Forschungsforum

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Präsentationen

Sprache als Medium pädagogischer Beziehungen im Unterricht

Chair(s): Sven Thiersch (Universität Osnabrück, Deutschland)

Diskutant:in(nen): Björn Rothstein (Ruhr-Universität Bochum)

Sprache als ein Medium vermittelt zwischen den Menschen und verbindet sie in Beziehungen. Wie alle Zeichensysteme unterliegt sie historischen Wandlungsprozessen und ist kulturell und feldspezifisch geformt. Sprechen und Sprache(n) werden in der Vergangenheit auch als zentrale Medien und (Re-)Produzenten in Schule etwa für die schulische Teilhabe, z.B. in Studien zum Zusammenhang von sozialer Herkunft und Bildungserfolg (Oevermann 1972), aber auch für pädagogische Beziehungen (z.B. Bollnow 1968) in den Erziehungswissenschaften betrachtet. Insbesondere misst man den „normativ-ordnungsbildenden Implikationen der Sprache“ (Meseth 2010, S. 75) in Schule und Unterricht eine exponierte Funktion für die Gestaltung von und das (Nicht-)Verstehen in pädagogischen Beziehungen bei. Umgekehrt wird gezeigt, wie pädagogische (Anerkennungs-)Beziehungen bestimmte Formen des Sprechens und der Sprache implizieren (z.B. Ricken et al. 2017; Prengel 2019). Bis heute ist von diesem relationalen Verhältnis auszugehen.

In zahlreichen qualitativ forschenden Projekten wird seit den 1980er Jahren die Bedeutung der Sprache für die pädagogische Interaktion und Kommunikation im Unterricht untersucht (zsf. Proske, Rabenstein & Meseth 2021). In den letzten Jahren ist dabei zu beobachten, wie der lange dominante Fokus auf Formen der Verbalsprache aufgebrochen worden ist, indem Körpersprache – aber auch die Bedeutung von Medien und Dingen – in pädagogischen Beziehungen verstärkt in den Blick von Analysen und Reflexionen kamen. Zudem gibt es bislang kaum erziehungswissenschaftliche Betrachtungen, die sprachwissenschaftliche Ansätze systematisch integrieren. In anderen Zugängen und Perspektiven der Schul- und Bildungsforschung wird Sprache (z.B. in kompetenztheoretischen Ansätzen) als Voraussetzung, Gegenstand und Medium für fachlichen Lernens und Lehrens untersucht und der Beziehungsaspekt ausgeklammert (z.B. Becker-Mrotzek et al. 2013). Ebenfalls in den Diskursen zu DaZ, Mehrsprachigkeit und Bildungssprache als Querschnittsthemen der Lehrer:innenbildung spielen Fragen der pädagogischen Beziehungen eine untergeordnete Rolle.

Im geplanten Forschungsforum werden Zugänge und Datenmaterialien aus drei Projekten mit unterschiedlichen Erkenntnisinteressen auf das Thema Sprache und pädagogische Beziehungen im Unterricht vorgestellt und diskutiert. Alle drei Projekte des Forums nehmen die beschriebenen Entwicklungen als Ausgangspunkt auf und fragen danach, in welchem Verhältnis Sprache bzw. Sprechen und pädagogische Beziehungen in Schule und Unterricht grundlegend stehen, wie sich diese Relationen empirisch herausarbeiten lassen und darstellen sowie welche professionstheoretischen Implikationen auf Basis der Ergebnisse zu diskutieren sind. Die drei Untersuchungen stützen sich auf Methoden der qualitativ-rekonstruktiven Sozialforschung, unterscheiden ich aber hinsichtlich der Erhebungs- und Protokollformen (Unterrichtsinteraktion, Interviews, Gruppendiskussionen). Es werden sowohl die Perspektiven von Lehrenden und Lernenden als auch ihre Interaktionspraxis an unterschiedlichen Schulformen (Ober-, Gesamtschulen, Berufskolleg, Gymnasium) beleuchtet. Die einzelnen Beiträge referieren auf unterschiedliche Begriffe bzw. Bezugstheorien (Anerkennung, Macht, Entfremdung, kulturelle Passung), um die Relation von Sprache und pädagogische Beziehungen zu fassen. Beitrag 1 untersucht sprachliche (Re-)Adressierungspraktiken und damit verbundenen Macht- und Anerkennungsbeziehungen am Berufskolleg, Beitrag 2 stützt sich auf eine Analyse von Schüler:innenperspektiven auf Sprache im Unterricht und typologisiert damit wahrgenommene Beziehungsmuster, Beitrag 3 interessiert sich für Transformations- und Reproduktionsprozesse im Zusammenspiel von Sprache und pädagogischen Beziehungen im digitalisierten Unterricht und fragt nach Entfremdungs- und Verdinglichungsprozessen im Wandel von Schule.

 

Beiträge des Symposiums

 

Wer (re)agiert wie? Sprachliche Adressierungspraktiken am Berufskolleg

Alexandra Warda
Ruhr-Universität Bochum

Ziel dieses interdisziplinären, von der Sprachdidaktik Deutsch ausgehenden Beitrags ist die Auseinandersetzung mit unterrichtlichen (Re-)Adressierungspraktiken an Berufskollegs in Bezug auf sprachliche Aushandlungen, Anerkennungen und Machtverhältnisse (vgl. Kessl & Lorenz 2015). Der Beitrag analysiert hierzu Ausschnitte von entsprechender Lehrer:innen-Schüler:innen-Interaktion und arbeitet Machtverhältnisse und Hierarchien heraus, die oft unbewusst durch die Art und Weise der Ansprache (re)produziert werden (Günthner 2016; D’Avis & Meibauer 2013), denn: Macht wird in Institutionen wie der Schule häufig als neutral oder selbstverständlich wahrgenommen, ohne ihre Auswirkungen auf die Beziehung und das Wohlbefinden der Lernenden zu hinterfragen (Ricken/Rose/Kuhlmann & Otzen 2017). Rekonstruiert wird, wie die (Re-)Adressierungen zwischen Lehrkräften und ihren Schüler:innen sowohl die Lernkultur als auch ihre Beziehungen herstellt.

Die dem Beitrag zugrundeliegenden Daten basieren auf einer Videographiestudie mit 4 Klassen und 13 Gruppendiskussionen in einem Berufskolleg, sowie der Befragung zweier Lehrkräfte, die verschriftlicht wurden und qualitativ-rekonstruktiv vsl. mit der Dokumentarischen Methode ausgewertet werden sollen. Vorgestellt werden konkrete Muster der Adressierung und deren Bedeutung für die Lehrer:innen-Schüler:innen-Interaktion. Ein besonderer Fokus liegt darauf, welche Relevanz Lehrpersonen der Beziehungsgestaltung beimessen und wie ihre Sicht(weise) auf Unterrichtskommunikation im Allgemeinen ist. Die Analyse der erhobenen Daten zeigt, wie Macht(verhältnisse) in der Kommunikation im alltäglichen routinisierten und impliziten Sprachgebrauch ausgehandelt und wirksam werden. Auf dieser Basis soll diskutiert werden, wie diese theoretisch zu deuten sind und welche Herausforderungen bestehen, diese zu reflektieren.

 

„Das ist ja meist selten, dass wirklich ein Gespräch entsteht irgendwie“ – Rekonstruktionen von Schüler:innenperspektiven auf Sprache im Unterricht

Dana Kiefer
Universität Osnabrück

In diesem Beitrag wird die Bedeutung der Sprache und des Sprechens für die Gestaltung pädagogischer Beziehung aus Schüler:innenperspektive fokussiert. Ist im Allgemeinen der Diskurs zu den Schüler:innen als zentrale schulische Akteur*innen in der Schulpädagogik eher randständig (Bennewitz, de Boer & Thiersch 2022; Bennewitz & Meier 2024), liegen kaum Befunde zu Schüler:innenperspektiven auf Sprache und Sprechen im Unterricht vor. Auf Grundlage von narrativen Einzelinterviews und objektiv-hermeneutischen Rekonstruktion kommt die Wahrnehmung und Deutung des Sprachgebrauchs in den Blick. Theoretisch stützt sich das Projekt auf das Bourdieusche Konzept der (sprach-)kulturellen Passung.

In der Analyse wird ersichtlich, wie unterschiedlich die Schüler:innen Sprache nutzen, um sich im Unterricht zu positionieren und sich somit auch in Beziehung zu ihren Lehrkräften und Peers zu setzen. Sprache erfüllt für die Schüler:innen beziehungslogisch dabei verschiedene Funktionen: 1. als Werkzeug zur Anpassung, um nicht aufzufallen und sich eine neutrale Beziehungsposition zu erarbeiten, 2. als Marktplatz im (sprachlichen) Wettbewerb (Distinktion), um sich in eine gute Position (z.B. für Leistungs- und Verhaltensbewertungen) zu sichern oder 3. auch als Medium von (De-)Integration, um überhaupt Beziehungen in der Schule einzugehen. Diese sind als Ausdruck der kulturellen Nähe und Distanz zur sprachlichen Anforderungsstruktur der Schule zu deuten.

Es zeigt sich, dass Unterricht hohe sprachliche Anpassungsleistungen der Schüler:innen erfordert und keinen sicheren (Beziehungs-)Raum für sie schafft. Aus Schüler:innenperspektive fehlen dafür authentische, vertrauensvolle und verlässliche Gespräche. Zugleich erkennen sie in der Sprache einen Ort der Aushandlung ihrer (sprachlichen) Identität als Schüler:in in den Beziehungen zu Lehrkräften und Peers. Im Beitrag wird dieses strukturelle Spannungsfeld diskutiert und die damit verbundenen professionstheoretischen Fragen aufgeworfen.

 

Entfremdet und Verdinglicht? Sprache und pädagogische Beziehungen im digital mediatisierten Unterricht

Sven Thiersch1, Eike Wolf2
1Universität Osnabrück, 2MLU Universität Halle-Wittenberg

Schule wurde bildungstheoretisch immer wieder als zentrale Institution gesellschaftlicher und subjektiver Entfremdung diskutiert, die auch in verdinglichten Materialisierungen des Unterrichtsalltags zum Ausdruck kommt (Adorno 1971, S. 82). Mit der Integration digitaler Technologien wird in kritischen Positionen erneut eine distanzierte Beziehungslosigkeit diagnostiziert, gerade auch vor dem Hintergrund fehlender sprachlicher Resonanzräume (Rosa & Endres 2016). Obwohl im Kontext des digitalisierten und individualisierten Unterrichts neue Muster und Modi des Sprechens und der Sprache in Schule und Unterricht hervorgebracht und etabliert werden, werden sie bislang kaum erforscht.

In diesem Beitrag wird das Verhältnis von Sprache bzw. des Sprechens und pädagogischen Beziehungen im digitalen Wandel von Schule und Unterricht fokussiert. Auf der Grundlage objektiv-hermeneutischer Rekonstruktionen der (digitalen) Unterrichtsinteraktion und Gruppendiskussion sowie Interviews mit Lehrer:innen und Schüler:innen an Gesamt- und Oberschulen sowie einem Gymnasium kommt in den Blick, wie sich diese Relation angesichts des Wandels ausformt, was sich dabei ändert (z.B. in Begriffen wie Lernbüros oder -coachies oder in Adressierungen wie „Apples Up“ etc.), aber auch, was stabil bleibt.

Entgegen den (Dauer-)Thesen einer Entfremdung und Verdinglichung der Beziehungen im Unterricht durch die digitalen und ökonomisierten Sprachreduktionen im Modernisierungsprozess zeigen unsere Analysen, dass sich grundlegende pädagogische Beziehungsmuster gerade darin reproduzieren und gesteigert zum Ausdruck kommen. Zugleich wird aber deutlich gemacht, wie sich der Sprachgebrauch insbesondere für die Lehrenden ändert und welche (professionellen) Anforderungen damit einhergehen.