Können Hochschullehrende Vorbilder pädagogischer Beziehungsgestaltung sein? Von ungenutzten Potentialen und Grenzen der Vergleichbarkeit zweier Beziehungskonstellationen.
Linda Schneider
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Deutschland
Der Einzelbeitrag verfolgt das Erkenntnisinteresse, die Analogien der (pädagogischen) Beziehungen zwischen Schüler:innen und Lehrpersonen sowie Studierenden und Dozierenden theoretisch-konzeptionell zu fundieren. Auf Basis eines Literaturreviews werden einschlägige Befunde der Forschung zur LSB (z.B. Oevermann 1996, Helsper & Hummrich 2014, Bressler 2023) sowie der Hochschul- und Erwachsenenbildungsforschung (z.B. Dinkelaker 2018, 2021, Wenzl 2018, König 2024, Cursio 2024) gebündelt sowie zentrale Unterschiede und Gemeinsamkeiten beider Beziehungskonstellationen herausgearbeitet. Als wesentlich kann u.a. die Differenz in Bezug auf Autonomie und Freiwilligkeit der Klientel und deren Bedeutungsimplikationen diskutiert werden.
Aufbauend auf dieser Analyse zielt der Beitrag zum zweiten auf eine kritische Auseinandersetzung mit der im Call angeregten Frage, welchen Stellenwert die pädagogische Beziehung in der universitären Lehrer:innenbildung einnimmt. Anstatt Hochschullehre dabei (einseitig) als Ort zu begreifen, der pädagogische Beziehungsgestaltung als inhaltlichen Gegenstand thematisieren kann, wird vor dem Hintergrund des praxeologisch-wissenssoziologischen Professionsansatzes Lehrpraxis als Sozialisationsraum argumentiert (Bohnsack 2020, 2024), dessen Implikationen und Potentiale für Lehrer:innenbildung bisweilen völlig unausgeleuchtet sind.
Die vergleichende Analyse empirischer Befunde der dokumentarischen Forschung zur Professionalisierung von Lehrpersonen bestätigt immer wieder die These einer Primordialität impliziter (sozialisatorisch erworbener) gegenüber expliziten Wissensbeständen (z.B. im Studium erworbenen schulpädagogischen Wissens) für das Handeln von Lehrpersonen (Bonnet et al. 2025, Wittek et al. 2025). Die Hypothese, als Konsequenz nicht nur dem was, sondern vor allem dem wie der Lehrer:innenbildung eine besondere Aufmerksamkeit einzuräumen, soll am Exempel der Vorbildfunktion Hochschullehrender für das Erlernen pädagogischer Beziehungsgestaltung diskutiert werden.
„So, und jetzt überlegen wir mal“ – Interaktionspraktiken in Unterrichtsnachbesprechungen des Referendariats als pädagogische Beziehung?
Thomas Geier, Christiane Ruberg
TU Dortmund, Deutschland
Wird das Verhältnis zwischen Lehramtsanwärter*innen (LAAs) und Seminarausbildenden (SABs) in der zweiten Phase der Lehrer*innenbildung in den Blick genommen, ergibt sich ein differentes Bild. Den SABs komme zum einen eine große Bedeutung für die fachliche und persönliche Entwicklung der LAAs zu (Wolf et al. 2021) und dies könne insbesondere als unterstützend (Kärner et al. 2022) erfahren werden. Deren wechselseitige Bezugnahme lasse sich aber zum anderen auch als Ausdruck einer asymmetrischen, hierarchischen sowie von Unterwerfungspraktiken strukturierten Beziehung verstehen (Wernet 2006; 2009). Die wenigen empirischen Studien, die sich etwa mit der Praxis der obligatorischen Nachbesprechungen im Referendariat befassen (Bührig-Hollmann 2022; Küper 2022; Pereira Kastens et al. 2020), weisen vornehmlich auf einen Zwiespalt zwischen Beratung und Bewertung hin (Wernet 2009; Dzengel 2016; Lenhard 2004).
Der Vortrag fokussiert angesichts eines laufenden rekonstruktiven Projekts die Nachbesprechungen mit empirischem Interesse (Geier et al. 2025 i. Dr.) und fragt in diesem Zusammenhang nach der spezifischen Qualität, welche die wechselseitige Bezugnahme zwischen LAAs und SABs annehmen kann: Mit welchen Konzepten lässt sie sich angemessen beschreiben? Handelt es sich bei den Nachbesprechungen um eine Form pädagogischer Beziehung (Kärner et al. 2022) und wenn ja, in welcher Weise? Erste Ergebnisse aus den Projektinterviews weisen darauf hin, dass schon allein der Begriff „Beziehung“ unter den SABs keineswegs selbstverständlich ist und stattdessen von „Begleitung“, „Austausch“ oder „Ausbildungszusammenhang“ gesprochen wird. Gleichzeitig tritt in den Rekonstruktionen der Charakter der Gespräche als Lern- und Prüfungssituation in den Vordergrund, in der sowohl rollenspezifische Asymmetrien als auch machtvolle Hierarchien zwischen den Akteur*innen deutlich werden. Der Beitrag beleuchtet diese ausgewählten sowie weitere Befunde aus dem Projekt und diskutiert sie im Kontext der aufgeworfenen Fragen.
Wenn Lehrer*innen und Eltern Beziehungen gestalten – Modi (pädagogischer) Beziehungen am Elternsprechtag
Max Frederic Remmert
Universität Kassel, Deutschland
Definitionen des Begriffs pädagogische Beziehung zielen in erster Linie auf generational geordnete Beziehungen zwischen Lernenden und Lehrenden (Prengel 2013; Fi-scher/Richey 2021). Innerhalb dieses dyadischen Arbeitsbündnisses, in dem Wissens-vorsprünge herrschen und damit eine asymmetrische pädagogische Figur (Helsper 2016) angelegt ist, finden die Beziehungen zwischen Eltern und Lehrer*innen keinen Platz: Rein formal fällt die Beziehung zwischen Lehrpersonal und Eltern nicht unter die Kategorie der pädagogischen Beziehung, obwohl beide Erziehungsinstanzen jeweils auf das gleiche Ziel – die Erziehung des Kindes/der Schüler*in – verweisen. Der Eltern-sprechtag ist eines der wenigen Formate schulisch-familiärer Interaktion, an denen El-tern und Lehrer*innen aufeinandertreffen. Zwar sind Elternsprechtagsgespräche bereits beforscht (Wegner 2015; Bennewitz/Wegner 2017; Führer 2020; Röhrs 2023), eine eth-nografische Perspektive auf die Verschränkungen familiärer und schulischer Beziehun-gen und Praktiken ist jedoch noch ausstehend und damit Anliegen des Vortrags. Der empirisch ausgerichtete Beitrag nimmt die Interaktionen von Eltern, Schüler*innen und Lehrer*innen in Elternsprechtagsgesprächen praxistheoretisch (Reckwitz 2003, Schatzki 2016) in den Blick. Anhand ethnografischer Daten werden die an den Eltern-sprechtagen hervorgebrachten Arbeitsbündnisse und Modi der (pädagogischen) Bezie-hungen zwischen Schüler*innen und Erwachsenen fokussiert. Ziel ist es aus einer sozi-omateriellen Perspektive zu zeigen, wie die Akteur*innen ihre Ansprüche an das Ge-genüber einbringen und ihre (pädagogischen) Beziehungen zwischen Schule und Fami-lie miteinander verweben.
Zur Ausgestaltung der Erziehungs- und Bildungspartnerschaft – Eine pädagogische Beziehung zwischen Lehrkräften und Eltern?
Anna Grabosch, Catrin Siedenbiedel
Universität Kassel, Deutschland
Im Forschungsdiskurs ist bekannt, dass eine gelingende Zusammenarbeit von Schule und Eltern, insbesondere mit Blick auf die schulischen Leistungen von Schüler:innen, relevant ist (z. B. Frank & Sliwka 2016). Vergleichsweise wenig Wissen liegt hingegen über Bedürfnisse hinsichtlich der Ausgestaltung der und Ansprüche an eine gelingende Erziehungs- und Bildungspartnerschaft zwischen Schule und Eltern, vor allem aus Elternperspektive, vor (Killus & Paseka 2021). Bisherige Befunde zeigen z. B., dass Eltern die Entwicklung von Vertrauen in die Schule wichtig ist (Peters 2016) und dass sie in der Beziehung zur Schule „auch eigene Bedürfnisse [haben], die aus der Aufgabe resultieren, die familiäre Lebenssituation zu bewältigen.“ (Trumpa 2010, 251). Während Silke Trumpa die Bedürfnisse der Eltern von Kindern, die eine Privatschule besuchen, rekonstruiert hat, nehmen wir Eltern als Ausgangspunkt, deren Kinder auf eine weiterführende Regelschule gehen. Im Forschungsvorhaben werden 10 Interviewtranskripte mit Müttern objektiv-hermeneutisch ausgewertet (Oevermann 2002). Die Analyse wird durch die Fragen danach geleitet, was Eltern unter Elternarbeit verstehen und welche Ansprüche sie an eine gelingende Erziehungs- und Bildungspartnerschaft stellen. Erste Befunde verdeutlichen, dass die Elternteile wenig interessiert sind an einer Mitgestaltung von z. B. Unterricht oder Schulleben, dass sie aber als Sorgetragende für ihr Kind mit den damit einhergehenden Emotionen wahr- und vor allem ernstgenommen werden wollen sowie von der Schule über Erlebnisse ihrer Kinder informiert werden möchten. Die Befunde werden vor der Frage reflektiert, inwiefern sich in den mütterlichen Bedürfnissen an Elternarbeit, die Forderung nach einer pädagogischen Beziehung (Pfahl 2014) zwischen Schule bzw. Lehrerpersonen und Eltern widerspiegelt, in der sie selbst – und nicht nur ihr Kind – als eigene Akteur:innen mit eignen Bedürfnissen wirken.
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