Veranstaltungsprogramm
Eine Übersicht aller Sessions/Sitzungen dieser Veranstaltung.
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Sitzungsübersicht | |
Ort: SR 3 = Raum 1112 Seminarraum 3 Raum 1112 im ersten Stock; 60 Personen |
Datum: Mittwoch, 17.09.2025 | |
15:30 - 17:30 | Lehrpersonen als pädagogische „Grenzgänger:innen“ Ort: SR 3 = Raum 1112 Chair der Sitzung: Isabel Neto Carvalho, RPTU Kaiserslautern-Landau Symposium |
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Der Beziehungsaspekt von Lehrer:innen-Schüler:innen-Interaktionen wird in Praxis und Forschung der Schulpädagogik als wirkmächtiger Teil schulischen Lernens, aber auch als „ein unerledigtes bildungs- und schulpolitisches Thema ersten Ranges“ (Herrmann & Oswald 2022: 8) eingeordnet. Der wissenschaftliche Diskurs legt auf der einen Seite nahe, dass pädagogische Beziehungen Grenzüberschreitungen brauchen, um von den Akteur:innen als gelungen wahrgenommen zu werden (z. B. Barandun 2018). Inbezugnahmen auf die Lebenswelt der Schüler:innen sowie auch eine damit verbundene Zunahme affektiver Elemente in der professionellen Handlungspraxis (vormals als pädagogischer Eros bezeichnet), öffnen Lernhorizonte (Uhle 2011) und machen Schule zum „heimatlichen Ort” (Wiezorek 2006). Gleichzeitig postulieren Professionstheorien, dass die Forderung nach solchen Öffnungen von Schule in der schulbezogenen Pädagogik risikobehaftet sei, weil sie die Grenzen hin zu einer Familiarisierung von Schule weiter diffundiert (z. B. Idel 2013; Idel, Rabenstein & Reh 2012), zu Entgrenzungen im Lehrer:innenhandeln führt (Wernet 2003), wenn dieses mit diffusen Handlungsbezügen aufgeladen wird und/oder Differenzsetzungen entlang von familialen Lebensrealitäten evoziert (Akbaba et al. 2018; Chamakalayil et al. 2021). Das professionelle Handeln und die pädagogische Beziehungsarbeit unterliegen dadurch gesteigerten Anforderungen, wenn offenbleibt, wo der pädagogische Takt endet bzw. in erhöhtem Maße „Permissivität“ (Wernet 2003) sowie eine differenzsensible Handlungspraxis erforderlich wird. Damit wird das Thema Beziehungsarbeit in Schule und Unterricht prekär, insofern es für Lehrpersonen immer auch mit Gratwanderungen verbunden ist. Das Symposium nimmt diese Gratwanderungen zum Ausgangspunkt und fragt aus differenz-, gender-, migrations- und habitustheoretischer Perspektive, wie Lehrpersonen pädagogische Beziehungen als „Grenzgänger:innen“ ausgestalten. Welche Anforderungen lassen sich in unterschiedlichen pädagogischen Settings und interaktiven Konstellationen rekonstruieren? Wie werden diese verhandelt und dabei Grenzen aufgerufen, aber auch überschritten? Und welche Konsequenzen für das Pädagogische lassen sich aus den Befunden ableiten? Zur Beantwortung dieser Fragen werden unterschiedliche empirische Schlaglichter auf das Thema versammelt, um diskutieren zu können, welche Bedeutung eine solche Grenzarbeit von Lehrpersonen für die vielfältigen pädagogischen Beziehungen erlangt. Dabei wird zunächst im Rahmen eines Blitzvortrags das Spannungsfeld zwischen der Notwendigkeit der Grenzüberschreitungen einerseits und Begrenzungen des professionellen Handelns andererseits aufgespannt. Der Blitzvortrag fokussiert zunächst Interaktionsgeschehen zwischen Lehrpersonen und Schüler:innen aus dem Blickwinkel von Beziehungsarbeit und geht der Frage nach, welche (teils widersprüchlichen, teils geteilten) übergreifenden Linien schulpädagogischer Grundlegungen und empirischer Befunde sich zum Thema Beziehungsgestaltung in der Schule bzw. als Teil des Lehrhandelns identifizieren lassen. Danach werden die empirischen Folge-Vorträge zueinander in Beziehung gesetzt, so dass sie im Anschluss an alle Einzelbeiträge gemeinsam vor dem aufgespannten Hintergrund diskutiert werden können. Auf Grundlage von vier Einzelbeiträge werden diese Überlegungen weitergeführt und entlang von Fokussierungen auf prekäre Lehr-Lern-Settings bzw. vulnerable Schüler:innengruppen zugespitzt: Sportunterricht, Vorbereitungsklassen, milieubezogene Verortungen im Unterricht, sowie Beziehungsgestaltungen zu Zeiten der pandemiebedingten Schulschließungen. Beiträge des Symposiums Pädagogische Permissivität – Lehrer:innen-Schüler:innen-Interaktionen im getrennt- und gemischtgeschlechtlichen Sportunterricht Professionstheorien sind sich darüber einig, dass pädagogisches Handeln von Widersprüchen durchzogen ist. Z.B. in „Pädagogische Permissivität“ analysiert Wernet (2003) die professionellen Herausforderungen, mit denen Lehrkräfte im pädagogischen Handeln konfrontiert sind. Er beschreibt darin, wie Lehrkräfte in ihrem Berufsalltag zwischen widersprüchlichen Erwartungen navigieren und dabei oft eine Entgrenzung ihres professionellen Handelns sichtbar wird. Wie zeigt sich diese pädagogische Gratwanderung in besonders vulnerablen Lehr-Lern-Settings? Durch die körperliche Exponiertheit, die erschwerten Möglichkeiten des schülerseitigen Rückzugs und den unstrukturierten Raum der Sporthalle erscheint der Sportunterricht als Ort besonders prekärer Beziehungsgestaltung (z.B. Hunger & Böhlke 2017). Aus einer praxeologischen Perspektive (Reckwitz 2003) zeigt der Beitrag im Rahmen einer Forschungswerkstatt zum Thema „Gender und Schule“ erhobenen Beobachtungsprotokollen einerseits und Videosequenzen aus dem Videoportal HILDEonline andererseits, wie Lehrkräfte im Grenzgang oder gar durch Grenzauflösung pädagogische Beziehungen gestalten. Über Praktiken der Vergemeinschaftung wird Nähe hergestellt, durch die beispielsweise auch komplizenhafte Männlichkeitspraktiken (Connell 1999) gegenüber pädagogischen Praktiken in den Vordergrund rücken, Geschlechterstereotype reproduziert werden oder sogar sexualisierte Entgrenzungen geschehen. Literatur: Connel, R. W. (1999). Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeit. Opladen: Leske und Budrich. Hunger, I. & Böhlke, N. (2017). Über die Grenzen von Scham. Eine qualitative Studie zu (scham-) grenzüberschreitenden Situationen im Sportunterricht aus der Perspektive von Schüler/innen. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative SocialResearch, 18(2), Art. 2, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs170227. FQS http://www.qualitative-research.net/ Reckwitz, A. (2003). Grundelemente einer Theorie sozialer Praktiken. Eine sozialtheoretische Perspektive. Zeitschrift für Soziologie, 32 (4), 282-301. Wernet, A. (2003). Pädagogische Permissivität. Schulische Sozialisation und pädagogisches Handeln jenseits der Professionalisierungsfrage. Opladen: Leske und Budrich. Pädagogische Beziehungsgestaltung in Vorbereitungsklassen: Zwischen Sprachvermittlung und professionellen Grenzgängen Im Kontext der pädagogischen Beziehungsgestaltung in Vorbereitungsklassen mit neu zugewanderten Schüler:innen wird immer wieder das besondere pädagogische Engagement der Lehrkräfte thematisiert, das über ein Engagement in Regelklassen hinausgehe (Dewitz & Bredthauer 2020; Frenzel et al. 2016; Otto et al. 2016). Ihr Auftrag umfasst einerseits die sprachliche Bildung der Schüler:innen, um ihnen eine möglichst schnelle Teilhabe am monolingual ausgerichteten Regelsystem zu ermöglichen (Gogolin 1994). Andererseits sind sie gefordert, auf die sozialen, emotionalen und strukturellen Bedürfnisse neu zugewanderter Schüler:innen einzugehen, die – insbesondere im Kontext von Flucht*Migration – als besonders vulnerabel gelten (Fürstenau 2017). Basierend auf ethnographischen Daten aus der Begleitung von drei Hamburger Vorbereitungsklassenlehrerinnen im Rahmen des Forschungsprojektes „Sprachliche Bildung am Übergang von Vorbereitungs- in Regelklasse“ (DFG, 2020–2022) wird im Beitrag untersucht, welche professionstheoretischen Grenzgänge in der pädagogischen Beziehungsarbeit vollzogen werden und welche unterschiedlichen Rollen die Lehrerinnen dabei einnehmen. Vorläufige Codierungen nach der Reflexiven Grounded Theory (Breuer et al. 2019) verweisen auf ein breites professionelles Rollenrepertoire von Sprachvermittlerinnen bis Lobbyistinnen und Familienhelferinnen. Diese multiplen Positionierungen werden vor dem Hintergrund erziehungswissenschaftlicher Migrationsforschung reflektiert (Heinemann & Mecheril 2018) und werfen grundlegende Fragen nach der Grenzziehung und -verschiebung professionellen Lehrer:innenhandelns im Kontext von Flucht*Migration und Neuzuwanderung auf. Literatur: Breuer, F.; Muckel, P. & Dieris, B. (2019): Reflexive Grounded Theory. Eine Einführung für die Forschungspraxis. Wiesbaden: Springer VS. Dewitz, N. von & Bredthauer, S. (2020): Gelungene Übergänge und ihre Herausforderungen – von der Vorbereitungs- in die Regelklasse. In Info DaF 47(4), 429–442. Frenzel, B., Niederhaus, C., Peschel, C. & Rüther, A.-K. (2016): „In unserer Schule sind alle im Grunde ins kalte Wasser gesprungen und alle sind nach ‚ner Weile belohnt worden durch große Erfolge.“ Interviews mit Lehrerinnen und Lehrern zu den Besonderheiten des Unterrichtens neu zugewanderter Schülerinnen und Schüler. In C. Benholz, M. Frank & C. Niederhaus (Hrsg.): Neu zugewanderte Schülerinnen und Schüler – eine Gruppe mit besonderen Potentialen. Beiträge aus Forschung und Schulpraxis. Münster, New York: Waxmann, 171–195. Fürstenau, S. (2017): Unterrichtsentwicklung in Zeiten der Neuzuwanderung. In N. McElvany, A. Jungermann, W. Bos & H. G. Holtappels (Hrsg.): Ankommen in der Schule. Chancen und Herausforderungen bei der Integration von Kindern und Jugendlichen mit Fluchterfahrung. Münster, New York: Waxmann, 41–56. Gogolin, I. (1994): Der monolinguale Habitus der multilingualen Schule. Münster, New York: Waxmann. Heineman, A. M. B. & Mecheril, P. (2018): (Schulische) Bildung, normative Referenzen und reflexive Professionalität. In: I. Dirim & P. Mecheril (Hrsg.): Heterogenität, Sprache(n), Bildung. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt. Otto, J., Migas, K., Austermann, N. & Bos, W. (2016): Integration neu zugewanderter Kinder und Jugendlicher ohne Deutschkenntnisse. Möglichkeiten, Herausforderungen und Perspektiven. Münster, New York: Waxmann. ‚Klasse‘ als Grenze in pädagogischen Beziehungen?! Zur Konstruktion sozialer Herkunft an Gymnasium und Hauptschule Pädagogische Beziehungen in der Schule sind nicht losgelöst von Differenz und sozialer Ungleichheit zu verstehen (Gomolla & Radtke 2007; Wellgraf 2021). Vielmehr werden unter einer praxistheoretischen Perspektive (z.B. Schatzki 1996) gesellschaftliche Ungleichheitsverhältnisse in den Praktiken der Akteur:innen situativ (re-)produziert (Diehm et al. 2013; Idel et al. 2017). Dabei gehen insbesondere herkunfts- und milieubedingte Unterscheidungen unter der meritokratischen Prämisse der Schule, etwa verwoben in Leistungszuschreibungen und Verhaltenserwartungen, in das unterrichtliche Interaktionsgeschehen ein, tragen zu Ausschlussmechanismen sowie unterschiedlichen Möglichkeiten von Schüler:innen bei, schulisch erfolgreich zu sein (Rabenstein et al. 2013). Pädagogische Beziehungen finden somit nicht in einem machtfreien Raum statt (Mecheril & Shure 2018), wodurch für das professionelle Handeln von Lehrpersonen soziale Sensibilität für die unterschiedlichen Positionen und Teilhabemöglichkeiten ihrer Adressat:innen erforderlich wird (Fuhrmann 2023; Rutter & Weitkämper 2023). Gleichzeitig ist eine solche „Habitussensibilität“ (Sander 2014: 10) immer auch durch die eigene soziale Herkunft von Lehrpersonen mitmoderiert, die Differenzsetzungen und damit verbundene Grenzziehungen in pädagogischen Beziehungen aufrufen können. Ausgehend von zwei ethnographischen Studien der Schul- und Unterrichtsforschung fragt der Beitrag mit einer differenz- und machttheoretischen Perspektive, wie soziale Herkunft in pädagogischen Beziehungen wirkmächtig wird und Modi der Öffnung, Schließung und Überschreitung von Grenzen initiiert. Entlang von Beobachtungsprotokollen und Interviews werden verschiedene Formen der Verhandlung von Milieuzugehörigkeiten rekonstruiert und aufgezeigt, wie sich diese als Ein- und Ausgrenzungen der in Schule involvierten Personen manifestieren. Literatur: Fuhrmann, L. (2023). Qualitative Forschung als Zugang zu Ungleichheitsordnungen: Einblicke in die Arbeit einer studentischen Forschungswerkstatt. Journal für Psychologie, 31(2), 86–108. Diehm, I., Kuhn, M., & Machold, M. (2013). Ethnomethodologie und Ungleichheit? Methodologische Herausforderungen einer ethnographischen Differenzforschung. In J. Budde (Hrsg.), Unscharfe Einsätze: (Re-)Produktion von Heterogenität im schulischen Feld (S. 29–51). Wiesbaden: Springer VS. Gomolla, M., & Radtke, R.-O. (2007). Institutionelle Diskriminierung: Die Herstellung ethnischer Differenz in der Schule. Opladen: Leske + Budrich. Idel, T.-S., Rabenstein, K., & Ricken, N. (2017). Zur Heterogenität als Konstruktion. In I. Diehm, M. Kuhn & C. Machold (Hrsg.), Differenz – Ungleichheit – Erziehungswissenschaft: Verhältnisbestimmungen im (Inter-)Disziplinären (S. 139–156). Wiesbaden: Springer VS. Mecheril, P., & Shure, S. (2018). Schule als institutionell und interaktiv hervorgebrachter Raum. In I. Dirim & P. Mecheril (Hrsg.), Heterogenität, Sprache(n), Bildung: Die Schule der Migrationsgesellschaft (S. 63–89). Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt. Rabenstein, K., Reh, S., Ricken, N., & Idel, T.-S. (2013). Ethnographie pädagogischer Differenzordnungen: Methodologische Probleme einer ethnographischen Erforschung der sozial selektiven Herstellung von Schulerfolg im Unterricht. Zeitschrift für Pädagogik, 59(5), 668–690. Rutter, S., & Weitkämper, F. (2023). Die (Re-)Produktion sozialer Ungleichheit in der Schule: Ein Thema für die Lehrkräfteausbildung. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung. Sander, T. (2014). Soziale Ungleichheit und Habitus als Bezugsgrößen professionellen Handelns: Berufliches Wissen, Inszenierung und Rezeption von Professionalität. In T. Sander (Hrsg.), Habitussensibilität: Eine neue Anforderung an professionelles Handeln (S. 9–36). Wiesbaden: Springer VS. Schatzki, T. R. (1996). Social Practices: A Wittgensteinian Approach to Human Activity and the Social. Cambridge: Cambridge University Press. Wellgraf, S. (2021). Ausgrenzungsapparat Schule: Wie unser Bildungssystem soziale Spaltungen verschärft. Bielefeld: transcript. Nähe im Distanzlernen? Die Bedeutung einer habitussensiblen Lehrer:innen-Schüler:innen-Beziehung für die Ermöglichung schulischer Teilhabe von sozioökonomisch benachteiligten Schüler:innen während der Corona-Pandemie Gute Lehrer:innen-Schüler:innen-Beziehungen beeinflussen die Leistungen und Persönlichkeitsentwicklung von (nicht-)privilegierten Schüler:innen positiv und unterstützen diese der Verarbeitung von „Instabilität auslösende[n] Erfahrungen“ (Bremm, 2020) – wie der Corona-Krise. Für Schüler:innen aus nicht-privilegierten Milieus bedeutet eine gute Beziehung Sensibilität für die eigene Lebensrealität (Habitussensibilität) (Betz et al., 2022; Sander, 2014), die während der Corona-Pandemie und der damit einhergehenden Verschiebung von Grenzen zwischen außer-/schulischem Leben und Lernen verstärkt von den Lehrkräften gefordert war. Der Beitrag geht der Frage nach, wie Lehrpersonen, die an Schulen in Sachsen-Anhalt tätig sind, im Vergleich zu solchen, die in British Columbia arbeiten, die Beziehung zu ihren Schüler:innen während des Distanzunterrichts gestaltet haben und wie dabei akademische und soziale Partizipation von nicht-privilegierten Schüler:innen durch Habitussensibilität ermöglicht und/ oder behindert wurden. Hierfür werden empirische Daten aus dem laufenden BEB-CoP-Projekt (01UP2219) ausgewertet, indem handlungsleitende Orientierungen der Lehrpersonen mit der Dokumentarischen Methode rekonstruiert werden (Bohnsack, 2021). Literatur: Betz, T., Mexer-Hamme, A., & Halle, A.-C. (2022). Soziale Ungleichheit und die Rolle sozialer Beziehungen in der (Ganztags-)Schule. Kein Thema für die Fortbildung? (Vol. 87). Bertelsmann Stiftung Bohnsack, R. (2021). Rekonstruktive Sozialforschung. Einführung in qualitative Methoden. Verlag Barbara Budrich. Bremm, N. (2020). Umso mehr kommt es auf die Lehrperson an. Defizitperspektiven von Lehrkräften an schulen in sozialräumlich benachteiligten Lagen. In S. Drucks & D. Bruland (Eds.), Kritische Lebensereignisse und die Herausforderungen für die Schule. (pp. 106-127). Beltz Juventa Sander, T. (2014). Soziale Ungleicheit und Habitus als Bezugsgrößen professionellen Handelns: Berufliches Wissen, Inszenierung und Rezeption von Professionalität. In T. Sander (Ed.), Habitussensibilität: Eine neue Anforderung an professionelles Handeln (pp. 9-36). Springer Fachmedien Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-06887-5_1 |
Datum: Donnerstag, 18.09.2025 | |
10:15 - 12:15 | Pädagogische Beziehung(en) beforschen. Methodologische und methodische Herausforderungen qualitativ-rekonstruktiver Zugangsweisen Ort: SR 3 = Raum 1112 Chair der Sitzung: Angela Bauer, Universität Regensburg Symposium |
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Beziehungen sind mit Blick auf pädagogische Interaktionen konstitutiv für „Prozesse der Entwicklung, Sozialisation und Bildung“ (Prengel 2019, 11). Die „Beziehungsfrage“ (Stoetzer/Hermann 2010) gilt daher als zentrales Moment des beruflichen Selbstverständnisses von Pädagog:innen (auch Giesecke 1999, 5). Schon im historischen Diskurs pädagogischer Entwürfe (bspw. bei Herbart, Hegel, Schleiermacher, Kron) finden sich vielfältige Auseinandersetzungen mit Generationenbeziehungen wie Lehrer:innen-Schüler:innen-Beziehungen bzw. Erzieher:in-Zögling-Beziehungen (vgl. hierzu Helsper/Hummrich 2014, 33f., Lechner 2024, 36ff.). Zentrale aktuelle Bezugslinien der Erforschung pädagogischer Beziehungen lassen sich u.a. im strukturtheoretischen Professionsansatz (Helsper 2021) und in der praxeologisch-wissenssoziologischen Professionalisierungsforschung ausmachen. Dabei werden in ersterem Lehrer:innen-Schüler:innen-Beziehungen als schulische Arbeitsbündnisse (Oevermann 1996) gefasst und ihre Strukturlogik als stellvertretende Krisenlösung innerhalb antinomischer Spannungsverhältnisse beschrieben (Kramer/Helsper/Busse 2001, Helsper u.a. 2007, Kowalski 2020). Demgegenüber kommt im Zusammenhang mit praxeologisch-wissenssoziologischen Perspektiven deutlicher die Ausgestaltung der Beziehungsstrukturen innerhalb eines Interaktionssystems zum Tragen (Kallfaß 2022, Bressler 2023). Bereits in diesem kurzen Einblick zeigt sich, dass theoretische und method(olog)ische Zugänge den Untersuchungsgegenstand ‘pädagogische Beziehung’ in unterschiedlicher Weise konturieren (vgl. hierzu Bossen/Bauer i.E.). Anliegen dieses Symposiums ist es nun, ausgehend von aktuellen Forschungsprojekten darüber nachzudenken, wie pädagogische Beziehungen aus praxistheoretischer, praxeologisch-wissenssoziologischer und subjektivierungstheoretischer Perspektive je unterschiedlich hervorgebracht werden - und welche Fokussierungen, Herausforderungen und Auslassungen im Zusammenhang mit entsprechenden qualitativ-rekonstruktiven Zugangsweisen jeweils verbunden sind (zum Verhältnis von Gegenstand zu Theorie/Methodologie und Methode siehe Hoffmann u.a. i.E.). Dafür greifen wir auf Erfahrungen aus eigenen aktuellen Forschungsprojekten zurück und fokussieren in den jeweiligen Beiträgen methodisch-methodologische Fragen, die wir ausgehend von unseren unterschiedlichen formaltheoretischen Setzungen entfalten. In einem ersten Beitrag wird die Positionierung und Positioniertheit von Forschenden im Feld angesprochen und die Frage zentral gestellt, inwiefern der eigene berufsbiografisch geprägte Standort im Rahmen der Genese und Analyse ethnographischen Materials die Konstruktion des Gegenstandes verändert. Der zweite Beitrag nimmt die machtvolle Dimension des Settings ‘diskriminierungskritische Lehrer*innenfortbildung’ in den Blick und widmet sich der Frage danach, was ein adressierungsanalytisches Vorgehen (nicht) über die Performanz und Inszenierung pädagogischer Beziehungen zum Sprechen bringt. Beitrag drei verknüpft die Frage nach der Konstruktion von Beziehung in pädagogischen Settings jenseits intergenerationaler Verhältnisse mit einer methodologisch-methodischen Reflexion der dokumentarischen Bildanalyse. Ein vierter Beitrag reflektiert entlang von videographischen Daten Herausforderungen der Datenerhebung, Transkription und Analyse von Beziehungspraxen im Unterricht. Zentrales Moment der Überlegungen ist die Relationierung von Beziehungspraxen mit Modi der Fachlichkeit. Über alle vier Beiträge hinweg werden somit Potentiale und Grenzen qualitativ-rekonstruktiver Zugangsweisen zu Pädagogischen Beziehungen ausgehend von unterschiedlichen formaltheoretischen Setzungen, Datensorten und in unterschiedlichen Feldern pädagogischer Professionalität und Professionalisierung vorgestellt. Durch die gemeinsame Diskussion dieser loten wir im Symposium Möglichkeiten der empirischen Hervorbringung von pädagogischen Beziehungen aus. Beiträge des Symposiums In Beziehung sein mit dem Feld – Welche Rolle spielt die eigene pädagogische Professionalisierung von Ethnographinnen beim Erforschen pädagogischer Beziehungen? Studien verweisen auf die Bedeutung der Involviertheit von ethnographischen Forscher:innen in der Betrachtung pädagogischer Beziehungen (bspw. Huf 2023, Langer/Richter 2023). In methodologischen Diskussionen wird relevant gemacht, wie Wissen über das Feld, Positionierungen darin und Beziehungen mit Forschungsteilnehmenden (vor)geprägt sind. Mit Blick auf diese Diskussionen machen wir die Rolle der eigenen pädagogischen Professionszugehörigkeit im ethnografischen Forschungsprozess zum Thema. Wir fragen, inwiefern geteilte Wissensordnungen (Wrana 2015, 127) zwischen Forschenden und Forschungsteilnehmenden die Genese und Analyse von Datenmaterial (mit)konstruieren und wie dies in der Rekonstruktion pädagogischer Beziehungspraxis reflexiv zugänglich gemacht werden kann. Dafür stellen wir Ausschnitte aus zwei empirischen Projekten vergleichend gegenüber. Gemeinsam ist beiden, dass es um Praktiken des schulischen Alltags und darin aufgeführte Verhandlungen von Differenz und Beziehung zwischen Lehrer:innen und Schüler:innen geht. Zugleich unterscheiden sich die berufsbiographisch geprägten Standorte voneinander, aus denen wir den Kontext Schule betrachten. Konkret stehen sich eine Lehrer:innenprofession und macht- und diskriminierungskritische Professionalisierungserfahrungen außerhalb des Schulkontextes gegenüber. An empirischen Beispielen diskutieren wir Unterschiede der Genese und Analyse des Datenmaterials, die in der gemeinsamen Interpretationspraxis sichtbar wurden. Wir nehmen auch Bezug auf den Diskurs zur Frage der Positionierung erziehungswissenschaftlicher Forschung zur Praxis (bspw. Balzer/Bellmann 2019) sowie deren Bedeutung im Forschungsprozess (Huf/Idel 2024). Ausblickhaft reflektieren wir, was diese Beobachtungen für die Erforschung pädagogischer Beziehungen innerhalb unterschiedlicher Disziplinen bedeuten und inwieweit interdisziplinäre Perspektiven Chancen systematischer Befremdung ethnographischen Datenmaterials bieten (Unterweger et al. 2018, 10). Literatur Balzer, N. & Bellmann, J. (2019). Die Erziehung der Theaterperspektive. In W. Meseth, R. Casale, A. Tervooren & J. Zirfas (Hrsg.), Normativität in der Erziehungswissenschaft. Wiesbaden: Springer VS, S. 21–48. Huf, Christina (2023): “To be one is always to become with many”: Ethnographic perspectives on Relationships in Early Childhood Education and Care. In: Sophia Richter & Anna Bitzer (Hrsg.): In Beziehung sein. Erziehungswissenschaftliche Reflexionen zur Bedeutung von Beziehung in Forschung, Lehre und Praxis. Weinheim/Basel: Beltz Juventa, S. 124-134. Huf, Christian & Idel, Sebastian (2024): Dynamiken der Wissensproduktion in der Schulentwicklung. Methodologische Überlegungen zum Verhältnis von Reformpraxis und wissenschaftlicher Schulbegleitforschung am Beispiel des Schulversuchs PRIMUS. In: Sarah Nell-Müller/Annika Scholz/Genet, Noemi/Christophe Straub (Hg.), Schule im Kontext politi- scher Bildung und kultureller Spezifik, Münster u. New York: Waxmann, S. 130–144. Langer, Antje & Richter, Sophia (2023): In Beziehung setzen: Positionierungen in ethnographischen Forschungsprozessen. In: Sophia Richter & Anna Bitzer (Hrsg.): In Beziehung sein. Erziehungswissenschaftliche Reflexionen zur Bedeutung von Beziehung in Forschung, Lehre und Praxis. Weinheim/Basel: Beltz Juventa, S. 135-153. Unterweger, G./Sieber Egger, A./Maeder, C. (2018): Vertrautheit und Distanz in der Ethnographie. Überlegungen zur Beziehungsgestaltung und Wissensproduktion im pädagogischen Feld. In: Fallarchiv Kindheitspädagogische Forschung. Online-Zeitschrift zu Qualitativen Methoden in Forschung und Lehre, 1(1), S. 3–23. Wrana, Daniel (2015): Zur Methodik einer Analyse diskursiver Praktiken. In: Franka Schäfer/Anna Daniel/Frank Hillebrandt (Hg.): Methoden einer Soziologie der Praxis. Bielefeld: Transkript, S. 121-144 Adressierungsanalytische Erkenntnispotenziale für die Erforschung pädagogischer Beziehungen Für eine empirische Untersuchung pädagogischer Beziehungen in situ – so die Ausgangsüberlegung des Beitrages – eignet sich ein adressierungsanalytisches Vorgehen insofern besonders, als dass dessen methodologische Prämissen die Relationalität von Subjektivierungsprozessen in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stellen (Rose/Ricken 2023; Kuhlmann 2023): Subjektwerdung vollzieht sich in dieser Perspektivierung maßgeblich in und durch (pädagogische) Beziehungen (Ricken 2015) und lässt sich empirisch als ein Adressierungsgeschehen rekonstruktiv untersuchen. Zugleich ist es notwendig und aufschlussreich, auch danach zu fragen, was die Adressierungsanalyse - gerade mit Blick auf pädagogische Beziehungen - nicht zum Sprechen bringt (Otzen/Rose 2021). Vor diesem Hintergrund widme ich mich anhand von Material aus einer diskriminierungskritisch ausgerichteten Lehrer*innenfortbildung dem Potenzial ebenso wie den Grenzen dessen, was adressierungsanalytische Rekonstruktionen als Erkenntnisse über den praktischen Vollzug von pädagogischer Beziehungsgestaltung (zwischen Fortbildner*innen und teilnehmenden Lehrer*innen) ebenso wie über Konstruktionen pädagogischer Beziehungen (Lehrer*innen-Schüler*innen-Beziehungen im Sprechen der Fortbildungsbeteiligten) hervorzubringen vermögen. Hierfür werden Interpretationen ausgewählter Transkriptausschnitte mit Auszügen aus einem Forschungstagebuch kontrastiert. Während die Forscherin sich im Tagebuch als beeindruckt von der performierten und inszenierten Beziehungsarbeit im Fortbildungssetting zeigt, verweisen die Analysen auf teils machtvoll-hierarchische Adressierungen der Fortbildungsteilnehmer*innen und degradierende Weisen, sich zu den im Sprechen konstruierten Schüler*innen zu relationieren. Vor dem Hintergrund dieser starken Diskrepanz wird abschließend ausgelotet, welchen Beitrag die Adressierungsanalyse für die Professionalisierungsforschung - insbesondere im Kontext von Fortbildungen - leisten kann. Literatur Kuhlmann, Nele (2023): Adressierungsanalyse als Zugang zur Subjektivierungsforschung. Methodologisch-methodische Weiterentwicklungen und Werkstattbericht. In: Norbert Ricken, Nadine Rose, Anne Otzen & Nele Kuhlmann (Hrsg.): Die Sprachlichkeit der Anerkennung. Subjektivierungstheoretische Perspektiven auf eine Form des Pädagogischen. Weinheim/Basel: Beltz Juventa, S. 68–111. Otzen, Anne & Rose, Nadine (2021): Was bringt die Adressierungsanalyse zum Sprechen? Ein subjektivierungstheoretischer Zugang zu schulischen Praktiken. In: Diana Fischer, Kerstin Jergus, Kirsten Puhr & Daniel Wrana (Hrsg.): Theoretische Empirie – Erkenntnisproduktion zwischen Theoriebildung und empirischen Praxen. Berlin: epublic, S. 102–121. Ricken, Norbert (2015): Pädagogische Professionalität - revisited. Eine anerkennungstheoretische Skizze. In: Jeanette Böhme, Merle Hummrich & Rolf-Thorsten Kramer (Hrsg.): Schulkultur. Theoriebildung im Diskurs. Wiesbaden: Springer VS, S.137-157. Ricken, Norbert & Rose, Nadine (2023): Anerkennung und Adressierung. Theoretische Grundlagen und systematische Perspektiven. In: Norbert Ricken, Nadine Rose, Anne Otzen & Nele Kuhlmann (Hrsg.): Die Sprachlichkeit der Anerkennung. Subjektivierungstheoretische Perspektiven auf eine Form des Pädagogischen. Weinheim/Basel: Beltz Juventa, S. 20-67. Pädagogische Beziehungen im Bild. Grenzen und Möglichkeiten der Bildinterpretation In diesem Beitrag wird das Potenzial der dokumentarischen Methode für die Analyse von (pädagogischen) Beziehungen aus methodologischer, methodischer und gegenstandsorientierter Perspektive am Beispiel von Bildern von ‘Integrationskursen’ betrachtet. In der Dokumentarischen Professionalisierungsforschung kommt der Analyse des Interaktionssystems aus beruflich Tätigen und Klient:innen eine besondere Rolle zu (siehe z.B. Bohnsack 2020, Kap. 5). Als Leerstelle des Forschungsfeldes hat sich allerdings die Klärung des Verhältnisses von ‚pädagogischer Interaktion‘ und ‚pädagogischer Beziehung‘ erwiesen, der sich in diesem Beitrag angenähert werden soll. Davon ausgehend erfolgt der Blick in Fotos von ‘Integrationskursen’, die Websites von Ministerialbehörden entnommen worden sind. Aus methodischer Perspektive geht es dabei darum, die Möglichkeiten und Grenzen der dokumentarischen Bildinterpretation für die Untersuchung pädagogischer Beziehungen auszuloten. Hier erweist sich insbesondere die Analyse der Formalkomposition der Bilder als relevant (szenische Choreographie, Perspektivität, Planimetrie, siehe u.a. Bohnsack 2009). Diese verspricht einen Zugriff auf die Frage nach der interaktiven Herstellung von Asymmetrie in pädagogischen Beziehungen - die auch jenseits intergenerationaler Verhältnisse funktioniert. Literatur Bohnsack, R. (2020). Professionalisierung in praxeologischer Perspektive. Stuttgart: utb. Bohnsack, R. (2009). Qualitative Bild- und Videointerpretation. Die dokumentarische Methode. Opladen: Barbara Budrich. Beziehungspraxen im Fachunterricht. Methodische und methodologische Reflexionen einer dokumentarischen Analyse von Unterrichtsvideografien Pädagogische Beziehungen in der Schule in einer praxeologisch-wissenssoziologischen Perspektive (Bohnsack 2017) als habitualisierte Praxen zu verstehen, ruft sowohl das mehrdimensionale Erfahrungswissens der am Beziehungsgeschehen Beteiligten als auch die Normen, Regeln und Rollenerwartungen der jeweiligen Organisationen auf. Beziehungspraxen sind dabei, ähnlich wie Nentwig-Gesemann (2024) es für die Kita konkretisiert, auch in der Schule von verschiedenen „(Ideal) Vorstellungen und Vollzugspraktiken von ‚gelingenden‘ Beziehungen“ (ebd. 76) geprägt. Das gilt sowohl für die Peer-Ebene (ebd.) als auch für professionelle, intergenerationale Beziehungen, wobei sich Normen und Praxen im Spektrum von Anerkennung und Missachtung (Prengel 2019) sowie Nähe und Distanz (u.a. Kowalski 2020) identifizieren lassen. Für die Unterrichts- und Professionsforschung ist neben diesen Foki auch die Bedeutsamkeit von Beziehungen für Modi des Erziehens, der Bildung und des Lernens relevant. Das bekräftigen Erkenntnisse zu den Zusammenhängen von emotional-sozialen Dimensionen des Unterrichts, wie dem schulischen Wohlbefinden von Schüler:innen mit fachspezifischen Leistungen. Dieser Zusammenhang lässt sich empirisch u.a. mit der Qualität der Beziehung der Schüler:innen zur Lehrkraft erklären (u.a. Lütje-Klose et al. 2018). Wie sich Beziehungspraxen in Interaktionen des Fachunterrichts rekonstruieren lassen, wird entlang von Daten aus der Studie „Fachlichkeit in Interaktionen. Vermittlungs- und Aneignungsprozesse im Kontext von Inklusion und Exklusion“ (Hackbarth & Müller 2024) konkretisiert und zur Diskussion gestellt. Schwerpunktmäßig geht es dabei um methodische und methodologische Herausforderungen einer dokumentarischen Interpretation von Beziehungspraxen entlang von Unterrichtsvideografien und damit einhergehenden notwendigen Anpassungen der dokumentarischen Methode (u.a. Hackbarth & Ludwig i.E.). Literatur Hackbarth, Anja & Müller, Anja (2024). Grammar teaching in inclusive learning groups. A reconstructive analysis of subject‐specific teaching. RISTAL, 7, 61‐75. Hackbarth, Anja & Ludwig, Johannes (i.E.). Gebärden, Gesten und Unterstützte Kommunikation. Methodische Herausforderungen der dokumentarischen Interpretation basaler Interaktionen im Unterricht. In: A. Hackbarth, S. Hoffmann, M. Hunold, D. Petersen, & S. Rundel (Hrsg.). Jahrbuch Dokumentarische Methode. Heft 7/2025. Berlin: centrum für qualitative evaluations- und sozialforschung e.V. Kowalski, Marlene (2020): Nähe, Distanz und Anerkennung in pädagogischen Beziehungen. Rekonstruktionen zum Lehrerhabitus und Möglichkeiten der Professionalisierung. Studien zur Schul- und Bildungsforschung. 80. Wiesbaden: Springer Fachmedien. Lütje-Klose, Birgit, Neumann, Philipp, Gorges, Julia & Wild, Elke (2018). Die Bielefelder Längsschnittstudie zum Lernen in inklusiven und exklusiven Förderarrangements (BiLieF) – Zentrale Befunde. DDS – Die Deutsche Schule, 110(2), 109–123. Nentwig-Gesemman, Iris (2024): Zusammenspielen, Zusammenhalten, Geheimnisse teilen – Resonanzerfahrungen in freundschaftlichen Beziehungen zwischen Kindern. In: J. Jerg, J. Müller, T. Wahne (Hrsg.): Resonanz erfahren – mit der Welt in Beziehung stehen. Vielfältige pädagogische Zugänge zu einer kindheitspädagogischen Praxis (75-90). Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Prengel, Annedore (2019). Pädagogische Beziehungen zwischen Anerkennung, Verletzung und Ambivalenz (2., überarb. u. erw. Aufl.). Opladen: Budrich. |
13:15 - 15:15 | Pädagogische Beziehungen im Schulsport – Begegnungen auf Augenhöhe? Ort: SR 3 = Raum 1112 Chair der Sitzung: Philipp Beck, Leibniz Universität Hannover Symposium |
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Pädagogische Beziehungen unter den spezifischen Bedingungen des Faches Sport in der Schule zu betrachten, ist in mehrerlei Hinsicht interessant: Zum einen findet der Sportunterricht unter anderen räumlichen, sozialen und organisatorischen Rahmenbedingungen statt als die anderen Schulfächer und zum anderen ist die Begegnung im Sport und die Beschäftigung mit Sport eine ganzheitliche und hoch emotional besetzte, was für die Beziehungsebene auch in pädagogischer Hinsicht von besonderer Relevanz ist. Die angemessene Gestaltung der pädagogischen Beziehungen durch die Lehrkräfte ist durch diese Fachspezifik besonders bedeutsam, da die ganzheitliche Involviertheit und körperliche Exponiertheit ausschlaggebend für das Wohlbefinden sowie die affektiv-motivationale Entwicklung der Schüler*innen (Lipowsky, 2009) ist. Diese wirkt sich – nicht nur im Sportunterricht – auch auf schulischen Lernerfolg aus (ebd.; Hattie, 2014). Anders als im Klassenunterricht finden vielfältige Bewegungs- und Interaktionsformen in unterschiedlichsten Anordnungen statt. Die typischen Handlungsformen, in denen (unbekannte) Bewegungsabläufen erprobt und demonstriert werden, Wettkämpfe stattfinden oder Bewertungen vorgenommen werden, finden immer unter der Bedingung der „körperlichen Exponiertheit“ (Miethling & Krieger, 2004) statt. Der Körper gerät in den Mittelpunkt des unterrichtlichen Interaktionsgeschehens, wird bisweilen sogar selbst zum Thema und ist von Mitschüler*innen sowie Lehrkräften direkt einsehbar. Auch Berührungen sind auf Grund der Spezifik des Faches keine Seltenheit (Weigelt, 2010) und stehen in direktem Zusammenhang mit dem Spannungsverhältnis von Nähe und Distanz (Helsper, 2004). Durch diese Umstände kann es schnell zu missachtenden, bloßstellenden und beschämenden Erfahrungen für die Schüler*innen kommen (Wiesche & Klingen, 2017; Wiesche, 2020). Studien legen jedoch auch nahe, dass die besondere Spezifik des Sportunterrichts nicht nur Missachtungserfahrungen, sondern gleichermaßen auch Anerkennungs- und Selbstwirksamkeitserfahrungen ermöglichen kann (Grimminger, 2012; 2013; Burrmann, 2016; Seyda, 2016; Grimminger-Seidensticker & Gieß-Stüber, 2023). Dies ist einerseits in dem direkten Erfahren von Erfolg resp. Misserfolg beim sportiven Handeln begründet; andererseits aber auch auf den Umstand der Andersartigkeit der Begegnungsmöglichkeiten der Schüler*innen untereinander, aber auch zwischen der Lehrperson und den Schüler*innen (s.u.) zurückzuführen. Denn gerade der Sport(unterricht) bietet besondere Potentiale für Begegnungen auf Augenhöhe zwischen Lehrperson und Schüler*innen. Derartige Begegnungen auf Augenhöhe werden häufig als notwendige Bedingung für gelingende Beziehungen genannt (u. a. Korpiun, 2022). Der Begriff bis heute jedoch kaum gefasst, sodass sowohl eine theoretische als auch eine empirische Annäherung notwendig erscheinen. Korpiun (2022, S. 321) beschreibt Augenhöhe „als Ausdruck von Ebenbürtigkeit“ und bezieht sich dabei auf die anthropologische Festlegung, dass alle Menschen gleich sind und sich niemand über andere erhebt. Im pädagogischen Kontext findet sich diese Perspektive in der „Pädagogik der Vielfalt“ (Prengel, 1993; 2006) wieder, welche die Gleichheit aller Menschen als einen zentralen Aspekt darstellt. Diese Idee kollidiert jedoch auf struktureller Ebene mit den schulischen Rahmenbedingungen für die Beziehungsgestaltung zwischen Lehrkräften und Schüler*innen, da dort Hierarchien und Abhängigkeiten bestehen. Bressler (2023) verweist auf die Wissens- und Machthierarchien als konstitutive Bedingungen der Lehrer*innen-Schüler*innen-Beziehung. Im Sportunterricht ist dieser Umstand jedoch nicht so absolut zu sehen, da einzelne Schüler*innen oftmals große sportspezifische Expertise durch ihre außerschulischen Vorerfahrungen mitbringen. Ebenso kann durch Alterungsprozesse der Lehrkraft eine unausweichliche Umkehr der sportiven Handlungsmöglichkeiten zwischen ihr und den Schüler*innen entstehen (Miethling, 2001). Diesen fachspezifisch konstitutiven Bedingungen wird auch auf fachdidaktischer Ebene seit jeher Rechnung getragen, wie sich exemplarisch für den umfassenden Diskurs zu diesem Aspekt im Konzept „Schüler als Experten“ (Gebken & Kuhlmann, 2013) durch den produktiven Umgang mit dieser Verschiebung aufzeigen lässt, indem Schüler*innen eine „Quasi-Lehrerposition“ (Weigelt, 2017) einnehmen und einzelne Aspekte des Unterrichts (mit-)übernehmen. Aus diesen fachspezifischen Merkmalen ergeben sich besondere Potentiale einer Begegnung auf Augenhöhe, da sich die beteiligten Akteur*innen hier unabhängig von ihrer institutionellen Rolle „in ihrem Fundament, im gegenseitigen Austausch (...) symmetrisch“ verhalten (Scherzinger & Wettstein, 2022), obgleich Kowalski (2020) betont, dass eine tatsächliche Begegnung auf Augenhöhe zwischen Lehrenden und Lernenden unmöglich erscheint, da die Hierarchien nicht völlig auflösbar sind. Im Rahmen des Symposiums werden vor dem Hintergrund dieser Überlegungen exemplarische Ergebnisse dreier qualitativer Interviewstudien vorgestellt, welche sich pädagogischen Beziehungen im Schulsport mit unterschiedlichen Theoriefolien annähern und Begegnungen auf Augenhöhe im Schulsport empirisch rekonstruieren. Es werden dabei die Perspektiven von Schüler*innen, Lehramtsstudierenden mit dem Fach Sport und erfahrenen Sportlehrkräften im Hinblick auf die Beziehungsgestaltung eingenommen, so dass ein mulitperspektivischer Einblick dargelegt wird. Beiträge des Symposiums „ich finde es halt auch eine wertschätzung, weil die nicht einfach nur eine zahl hinschreiben“ – Pädagogische Beziehung und Leistungsbewertung im Sportunterricht der Laborschule Bielefeld In inklusiven Lernsettings gewinnt die Anerkennung individueller Leistungen zunehmend an Bedeutung für die Etablierung gelungener pädagogischer Beziehungen (Prengel, 2019). Lehrkräfte stehen jedoch vor der Herausforderung, Leistungen aufgrund der früh einsetzenden meritokratischen Logik im deutschen Bildungssystem standardisiert zu bewerten, um Selektionsentscheidungen zu legitimieren (Thurn, 2017). Die daraus resultierenden hierarchisierenden Wirkungen beeinflussen einerseits die pädagogischen Beziehungen und konterkarieren andererseits ganzheitliche Bildungsprozesse im Sportunterricht (Feth, 2023). Die Laborschule Bielefeld stellt die individuelle Förderung aller Schüler*innen ins Zentrum ihres Leitbildes und hat dafür veränderte institutionelle Bedingungen geschaffen (u. a. Reduktion von Übergängen, Verzicht auf Ziffernzeugnisse). Auf dieser Grundlage soll im Vortrag der Frage nachgegangen werden, welche Möglichkeiten die veränderten institutionellen Rahmenbedingungen für die Gestaltung pädagogischer Beziehungen im Sportunterricht bieten. Um dieser Frage nachzugehen, wurden Interviews sowohl mit Sportlehrkräften als auch Schüler*innen der Laborschule Bielefeld geführt. Anhand erster Ergebnisse der an den Grundsätzen der Grounded Theory Methodologie (Strauss & Corbin, 1996) orientierten Studie lässt sich rekonstruieren, dass im Sportunterricht der Laborschule Bielefeld ganzheitliche Lern- und Leistungsprozesse individualisiert sowie im Dialog mit den Schüler*innen angebahnt und begleitet werden. Innerhalb dieser Prozesse fühlen sich die Schüler*innen wertgeschätzt und auf Augenhöhe behandelt, woraus sich Implikationen für gelungene Lehrenden-Lernenden-Beziehungen ableiten lassen. Literatur Feth, C. (2023). Wie benoten Lehrkräfte die Leistungen ihrer Schüler*innen im Sportunter-richt? In D. Wiesche, & N. Gissel (Hrsg.), Leistung aus sportpädagogischer Perspektive (S. 279–302). Springer VS. Prengel, A. (2019). Pädagogische Beziehungen zwischen Anerkennung, Verletzung und Ambivalenz (2., überarbeitete und erweiterte Auflage). Barbara Budrich. Strauss, A. L., & Corbin, J. M. (1996). Grounded theory: Grundlagen qualitativer Sozialforschung. Beltz. Thurn, S. (2017). Leistungsbewertung und Vielfalt oder: Umgang mit den Widersprüchen des Systems. Pädagogik (9), 6-9. Biographisches Wissen von Lehrkräften als Ressource für die Beziehungsgestaltung im Sportunterricht Sportlehrkräfte müssen in ihrem unterrichtlichen Alltag die Beziehungen zu ihren Schüler*innen vor dem Hintergrund der o.g. fachspezifischen Besonderheiten gestalten. Dabei stellt aus strukturtheoretischer Perspektive insbesondere der Umgang mit der Antinomie Nähe vs. Distanz (Helsper, 2004) eine große Herausforderung dar, die in diesem Promotionsprojekt fokussiert wird. Sportlehrkräfte müssen das Verhältnis von Nähe und Distanz zu den Schüler*innen so austarieren, dass persönliche Beziehungen entstehen können, ohne jedoch Grenzen zu überschreiten. Diese Thematik ist trotz ihrer zentralen Bedeutung im Professionalisierungsprozess ein stark vernachlässigter Aspekt (Diketmüller & Murhammer, 2001; Volkmann, 2018), dessen Bearbeitung und Ausgestaltung somit den Sportlehrkräften selbst überlassen bleibt. In diesem Promotionsprojekt werden daher die Fragen gestellt, wie und auf welcher Grundlage Sportlehrkräfte die Beziehungen zu ihren Schüler*innen im Sportunterricht gestalten. Zur Beantwortung dieser Forschungsfragen wurden episodische Interviews mit Sportlehrkräften mit unterschiedlich langer Berufserfahrung geführt. Der Forschungsprozess wie auch die Wahl der Interviewpartner*innen orientiert sich an den Prinzipien der Grounded Theory Methodology (Glaser & Strauss, 1998). Im Vortrag werden ausgewählte Ergebnisse präsentiert, die darauf verweisen, dass für die Sportlehrkräfte das Konzept der Augenhöhe große Relevanz hat. Darüber hinaus lässt sich rekonstruieren, dass die Sportlehrkräfte bei der Beziehungsgestaltung ganz zentral auf biographisch erworbenes Wissen zurückgreifen. Dieses Wissen umfasst u.a. die Aspekte von elterlichen und kulturellen Erfahrungen. Literatur Diketmüller, R. & Murhammer, R. (2001). Beziehung – eine vernachlässigte Dimension in universitären Ausbildungsprogrammen? Bildung und Bewegung: Jahrestagung der dvs-Sektion Sportpädagogik vom 22.-24.06.2000 in Frankfurt/Main, S. 185-190. Glaser, B. G., & Strauss, A. L. (1998). Grounded Theory. Strategien qualitativer Forschung. Hans Huber. Helsper, W. (2004). Pädagogisches Handeln in den Antinomien der Moderne. In H.-H. Krüger & W. Helsper (Hrsg.), Einführung in die Grundbegriffe und Grundfragen der Erziehungswissenschaft (6. überarbeitete und aktualisierte Aufl., S.15-34). Verlag für Sozialwissenschaften. Volkmann, V. (2018). Beziehungsweise ... Empathie als sportpädagogische Kategorie. Sportwissenschaft in pädagogischem Interesse: 30. Jahrestagung der dvs-Sektion Sportpädagogik vom 15.-17. Juni 2017 in Hannover, S. 25-35. „Jetzt sehe ich den Hintergrund, warum die Schüler das machen. Und wenn nicht, frage ich.“ – Erfahrungsbezogene Professionalisierung von Sportstudierenden für die Gestaltung pädagogischer Beziehungen auf Augenhöhe In der Professionalisierung von Sportlehrkräften wird der für schulisches Handeln fundamen-tale Aspekt der pädagogischen Beziehungsgestaltung nach wie vor wenig bis gar nicht aufgegriffen (Diketmüller & Murhammer, 2001; Grimminger-Seidensticker & Gieß-Stüber, 2023). Gerade die Entwicklung hin zu einer stärkeren Integration reflektierter schulpraktischer und erfahrungsorientierter Phasen in das Studium wie sie durch die „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ angebahnt wurden, bietet hierfür konstruktive Anschlussmöglichkeiten. In einem Projekt, das durch die Verknüpfung von individueller Lernförderung und Sport an Schulen u. a. auch der Bildungsintegration von sozial benachteiligten Kindern dient, erhalten Sportstudierende die Gelegenheit, Fremdverstehen und Perspektivenübernahmefähigkeit als Grundvoraussetzung für sozialintegrative Beziehungsgestaltung theoretisch zu erarbeitet, in den wöchentlichen Praxiseinheiten an den Schulen in konkretes Handeln zu überführen und angeleitet durch die Dozierenden zu reflektieren. Die Erfahrungen der teilnehmenden Studierenden wurden mittels qualitativer leitfadengestützter Interviews erhoben und unter Verwendung des Kodierparadigmas der Grounded Theory Methodologie ausgewertet. In den Ergebnissen zeigt sich, dass die Studierenden in mehrerlei Hinsicht einen Perspektivwechsel vollzogen haben. So hat sich ihr Verständnis von einer gelungenen pädagogischen Beziehung ebenso verändert, wie auch ihre Sichtweise auf die Institution Schule und ihre Rahmenbedingungen. Im Vortrag wird insbesondere auf die Transformation des Beziehungsverständnisses der Studierenden eingegangen, welches als Verschiebung auf dem Kontinuum der Antinomie von Nähe und Distanz (Helsper, 2004) rekonstruiert werden konnte. Literatur Diketmüller, R., & Murhammer, R. (2001). Beziehung - eine vernachlässigte Dimension in universitären Ausbildungsprogrammen? In R. Prohl (Hrsg.), Bildung und Bewegung; Jahrestagung der dvs-Sektion Sportpädagogik vom 22.-24.6.2000 in Frankfurt/Main (S. 185-190). Czwalina. Grimminger-Seidensticker, E., & Gieß-Stüber, P. (2023). Abwertung und Ausgrenzung vermeiden – pädagogische und didaktische Überlegungen zur anerkennungsförderlichen Gestaltung von Sportangeboten im Kindes- und Jugendalter. In P. Gieß-Stüber, & B. Tausch (Hrsg.), Gesellschaftlicher Zusammenhalt im und durch Sport: Bildung für Vielfalt und Nachhaltige Entwicklung (S. 131-148). Springer VS. Helsper, W. (2004). Antinomien, Widersprüche, Paradoxien: Lehrerarbeit - Ein unmögliches Geschäft? Eine strukturtheoretisch-rekonstruktive Perspektive auf das Lehrerhandeln. In B. Koch-Priewe, F.-U. Kolbe, & J. Wildt (Hrsg.), Grundlagenforschung und mikrodidaktische Reformansätze zur Lehrerbildung (S. 49–99). Klinkhardt. |
15:45 - 17:45 | EB-08: Pädagogische Beziehungen: Normativität und Praxis Ort: SR 3 = Raum 1112 Chair der Sitzung: Ralf Parade, Universität Innsbruck |
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Anerkennung in pädagogischen Beziehungen – zwischen normativem Anspruch und empirischer Wirklichkeit Universität Bremen, Deutschland Im Unterricht erfolgt die Beziehungsgestaltung durch Interaktionen zwischen Lehrenden und Lernenden. Dabei kann empirisch belegt werden, dass die Art, wie Lehrkräfte die Schüler*innen ansprechen, für ihr Wohlergehen und ihre zukünftige Entwicklung folgenreich ist (vgl. Ostermann/Prengel 2019, S.33-35). Anhand unterschiedlicher Forschungsrichtungen lassen sich verschiedene Theoreme herauskristallisieren, die die Qualität pädagogischer Beziehungen beschreiben. Der vorliegende Beitrag fokussiert Anerkennung. Obgleich die Anzahl der Publikationen zu Anerkennung als „zentrale[r] Dimension pädagogischer Theorie und Praxis“ (Hafeneger et al. 2002, S.8) stark angestiegen ist, bleiben die Bedeutungskonturen des Anerkennungsbegriffs eher vage bestimmt und sind „bislang auch nicht aus einer explizit pädagogischen [...] Perspektive ausgeschärft“ (Ricken/Rose 2023, S.20). Vor dem Hintergrund dieses Desiderats werden im Rahmen des Beitrags zwei Teilstudien durchgeführt: Zum einen soll anhand einer Diskursanalyse (Langer/Wrana 2010) untersucht werden, wie Anerkennung im erziehungswissenschaftlichen Diskurs entworfen wird: - Wie wird Anerkennung zwischen den Generationen thematisiert? - Welche normativen Ansprüche sind mit Anerkennung in pädagogischen Beziehungen verbunden und wie werden diese begründet? - Auf welche Theorien nehmen die erziehungswissenschaftlichen Studien Bezug? Zum anderen soll mit Hilfe einer Re-Analyse des im Rahmen des „INTAKT-Projekts“ (Soziale Interaktion in pädagogischen Arbeitsfeldern; initiiert von A. Prengel u. A. Zapf ) entstandenen Datensatzes überprüft werden, wie Anerkennung in pädagogischen Beziehungen gestaltet wird und sich konstituiert, inwieweit die theoretisch entworfenen Ansprüche an Anerkennung in der päd. Praxis realisiert werden und wie die Schüler*innen auf Anerkennung reagieren. Ziel ist es, einen Beitrag zur Theorie der Anerkennung zu leisten u. Implikationen bzw. Reflexionsfolien für anerkennendes pädagogisches Handeln zu ermöglichen. Anerkennungsorientierte Schulentwicklung - Systematisierungen zur Veränderung von Anerkennungsordnungen und -praktiken Friedrich-Schiller-Universität Jena, Deutschland Schulentwicklung bewegt sich stets im Spannungsfeld zwischen normativen Ansprüchen und empirischer Realität. Das gegenwärtige Verständnis von Schulentwicklung ist dabei stark vom Qualitätsparadigma und sozial-technologischen Ansätzen geprägt. So wertvoll diese Einsichten sind, für eine umfassende Theorie der Schulentwicklung greifen sie zu kurz, insbesondere weil sie nicht hinreichend kritisch und selbst-reflexiv institutionalisierte Normen und Praktiken in den Blick nehmen. Schulentwicklung benötigt daher neue Impulse, die darauf ausgerichtet sind, Fragen schulischer Organisation und Institutionalisierung wieder stärker mit pädagogischen Denkkategorien zu verschränken. Entlang der erziehungswissenschaftlichen Diskussion um Anerkennung und unter Rückgriff auf die Arbeiten von Honneth, Stojanov und Brandom gelingt es, sowohl normativ als auch empirisch, schulische Praktiken und Ordnungen unter Aspekten von Anerkennung offenzulegen und zu bearbeiten. Im Beitrag werden vier mögliche Denkvarianten einer anerkennungsorientierten Schulentwicklung (AnSe) aus dem vorhandenen Theorieangebot abgeleitet, skizziert und mithilfe von Praxisbeispielen aus einem laufenden Schulentwicklungsprojekt veranschaulicht. Zudem können erste empirische Forschungsunternehmen und -ergebnisse vorgestellt werden. Beziehungshungrige Kinder? Über normative Setzungen und implizite Normalitätsentwürfe in achtsamkeitsbasierten Programmen in der Schule Leibniz Universität Hannover, Deutschland Achtsamkeit (mindfulness) hat Hochkonjunktur. Für den schulischen Kontext hat sich ein Markt an Ausbildungsinstituten, Trainer:innen und Sachliteratur herausgebildet, der neben Persönlichkeitsentwicklung (Altner/Friedrich 2024) und Resilienzsteigerung (Kaltwasser 2018) auch Aspekte von Empathiefähigkeit (José 2016), Beziehungsgestaltung (Kaufmann 2011; Jensen 2014) und -fähigkeit (Kaltwasser 2016) bzw. Beziehungskompetenz (Jensen 2014) bearbeitet. Dabei schlagen die Ratgeber:innen einen kulturpessimistischen (vgl. Dietrich/Uhlendorf 2019) bis alarmistischen Ton an – insbesondere in Bezug auf die „Macht der Bildschirme“ (Altner 2019: 8): „Die Virtualisierung und Fragmentisierung aller Lebensbereiche“ (Kaltwasser 2018: 17) im Häuslichen – und die damit einhergehende Pathologisierung der Eltern (Kollmer 2024) –, erschaffe „viele beziehungshungrige Kinder, [die] diesen Hunger nun im Unterricht“ (Kaltwasser 2018: 17) stillen. Und das, so der Tenor, auf zumeist nicht adäquate Weise. Der annoncierte Beitrag möchte den in Achtsamkeitsprogrammen problematisierten Beziehungskomplex und die virulente Frage nach der Beziehungs(un)fähigkeit in Bezug auf die eingelagerten Normalitätsentwürfe diskutieren. Bemerkenswerterweise geht aus den Programmen nicht immer klar hervor, ob nur die Schüler:innen oder auch Lehrer:innen und Lehramtsstudierende (Meißner 2023; Weghaupt 2024) Adressat:innen des Achtsamkeitstrainings sind, sodass neben einer hohen Zahl immer schon als schwierig geltender Familien – und mit ihnen einer „Erziehungsmisere, die seit einigen Jahren schwelt“ (Kaufmann 2011, S. 14) –, auch die Beziehungsfähigkeit des Personals in den Fokus der Ratgeber gerät. Dazu werden Passagen aus Achtsamkeitsprogrammen und -übungen sequenzanalytisch rekonstruiert. Hierbei soll – auch auf Grundlage der Ausführungen Oevermanns (1996) geklärt werden, ob hierbei latent überhaupt (noch) von pädagogischen Beziehungen die Rede sein kann. Rekonstruktion von Adressierungsanlässen von Sportlehrkräften unter anerkennungstheoretischer Perspektive – Empirische Einblicke am Beispiel von Disziplinierungen Universität Paderborn, Deutschland Anerkennung als Adressierungsgeschehen ist grundlegender Bestandteil sozialer Interaktionen (Reh & Ricken, 2012), dem spezifische Haltungen zugrunde liegen (Schäffer, 2023). Da Anerkennung entwicklungstheoretisch einflussreich ist, wird sie als „Kernkompetenz pädagogischer Professionalität“ betrachtet (Balzer, 2021). Insbesondere in der Lehrer*innen-Schüler*innen-Beziehung ist sie im Hinblick auf die Unterrichtsqualität relevant, wenn das Unterrichtsklima und die Anerkennung der Schüler durch die Lehrperson als zentrale Elemente betrachtet werden (Gabriel, 2014, Lotz & Lipowsky, 2015). Während bisherige Studien v.a. Adressierungsanlässe aus anerkennungstheoretischer Perspektive unter Schüler*innen im Sportunterricht betrachten (u.a. Grimminger, 2012), fehlen empirische Erkenntnisse zum Adressierungsgeschehen von Sportlehrkräften. Deshalb wird in der vorliegenden Studie unter anerkennungstheoretischer Perspektive untersucht, welche Haltungen sich im Adressierungsgeschehen von Sportlehrpersonen im Sportunterricht zeigen. Als methodischer Zugang wurde die Videographie gewählt. Dabei wurden drei Sportlehrkräfte über einen Zeitraum von mindestens sieben Sportunterrichtsstunden gefilmt. Die Daten wurden mittels der Dokumentarischen Methode für Unterrichtsvideografien (Fritzsche & Wagner-Willi, 2015) ausgewertet. Die Ergebnisse zeigen u.a. Disziplinierungen als besonders reichhaltige Kategorie in den Adressierungsanlässen von Sportlehrkräften. Diese umfassen Disziplinierungen in Bezug auf Normen in der Sporthalle sowie verhaltensbezogene und personenbezogene Disziplinierungen. Die sich darüber rekonstruierten Haltungen verweisen auf Normen, Logiken und Muster im Adressierungsgeschehen. Im Vergleich zu Studien anderer Fächer, zeigen sich ähnliche, aber auch unterschiedliche Ergebnisse (vgl. Wiezorek, 2005), die mit der Besonderheit des Faches und der Rolle von Körper und Körperlichkeit zusammenhängen könnten. |
Datum: Freitag, 19.09.2025 | |
10:10 - 12:10 | Pädagogische Beziehungen als Ansatzpunkt für Schulkritik am Beispiel der Position der Klassenlehrkraft Ort: SR 3 = Raum 1112 Chair der Sitzung: Kerstin Rabenstein, Universität Göttingen Diskussionsforum |
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Das Diskussionsforum fokussiert durch den Impulsvortrag (30 Minuten) und ein Kommentar (10 Minuten) am Beispiel des in der Forschung wenig beachteten Beziehungsgeflechts um die Position der Klassenlehrkraft herum die Frage, wie pädagogische Beziehungen in Schule machtvoll mit gesellschaftlichen Verhältnissen eingebunden sind und aus diesem Grund auch einen Ansatzpunkt für eine Schulkritik darstellen können. Angesichts dessen, dass pädagogische Beziehungen „mit divergierenden Konzepten“ (Lechner 2024, 9) – und nicht etwa nur als dyadisches Geschehen bspw. zwischen Lehrkraft und einzelnen Schüler*innen (z.B. Herrmann 2019) – beschrieben werden (können), wird an einen Begriff pädagogischer Beziehungen angeschlossen, der die Asymmetrie, Machtförmigkeit pädagogischer Beziehungen und die damit verbundenen Dynamiken und damit auch die Eingebundenheit pädagogischer Beziehungen in gesellschaftliche Verhältnisse mitdenkt. Damit wird es möglich, den Bogen zu spannen von der Frage nach normativen Ansprüchen an pädagogische Beziehungen in der Schule zu der Frage nach den Möglichkeiten in der erziehungswissenschaftlichen Forschung, (auch) Kritik an Schule zu generieren. Das Diskussionsforum knüpft damit an Auseinandersetzungen um die Vermitteltheit von pädagogischen Leitkonzepten, normativen Ordnungen und gesellschaftlichen Verhältnissen an, die derzeit (wieder) geführt werden (vgl. Themenschwerpunkt Zeitschrift für Pädagogik 1/2025) Der Vortrag ist in vier Abschnitte gegliedert. Erstens wird nach einem Begriff pädagogischer Beziehungen gefragt, der deren gesellschaftliche Verfasstheit mitdenkt, d.h. Pädagogik und Gesellschaft durch den Fokus auf pädagogische Beziehungen nicht trennt, sondern zusammendenkt. Vorgeschlagen wird zweitens, am Beispiel der in der Schulforschung kaum beachteten Position der Klassenlehrkraft pädagogische Beziehungen sozialtheoretisch als relationale Beziehungsgeflechte zu konzeptualisieren, d.h. als ein Responsibilisierungsgeschehen Kuhlmann 2023) – und damit ein in vielfältigen Beziehungen sein. Zentral stellt sich damit die Frage, wie ein Angerufenwerden als in mannigfaltiger Weise Verantwortliche für eine Klasse (Cocard & Tettenborn 2022; Hoffmann-Ocon 2022; Hübner, Rabenstein & Wicke, 2024) affiziert und eine bestimmte pädagogische Verantwortlichkeit der Klassenlehrkraft im Sinne einer relationalen Beziehungsweise (Adamczak 2017, S. 238; Lechner 2024, S. 7) entworfen bzw. hergestellt wird. Drittens wird das Geflecht deutlich gemacht, in dem sich Responsibilisierungsprozesse entfalten, insofern auf entstehende Verantwortungszuschreibungen geantwortet wird. Für die Beziehungsweisen der Klassenlehrkraft und der sich in ihr vollziehenden Verantwortungszuweisung für eine Klasse spielt im Konkreten eine Rolle, welche normative Anforderungen nicht nur im Situativen in der Schule zum Tragen kommen, sondern auch, inwiefern solche Anforderungen, mit denen die Schule gesellschaftlich konfrontiert ist, in der konkreten Beziehung aktualisiert werden und insofern affizieren. Mittels einer Sekundäranalyse von ethnografischen Daten aus drei Forschungsprojekten wollen wir zeigen, wie unterschiedliche Situationen ineinander vorkommen und auf diese Weise wirksam werden. Methodisch wird dafür ein Mapping eingesetzt (Clarke, Friese & Washburn, 2018). Viertens wird die These formuliert, dass über die Fokussierung der normativen Ansprüche an pädagogische Beziehungen in ihren gesellschaftlichen Bedingungen Kritik nicht (nur) an konkreten pädagogischen Beziehungsgestalten, sondern an den Bedingungen und den normativen Erwartungen an Schule für deren Realisierung ansetzen könnte. Kommentar von Prof. Dr. Fabian Dietrich (zugesagt): Der Vortrag wird aus schultheoretischer Perspektive kommentiert. Vor dem Hintergrund einer Reflexion des Verhältnisses von Schule und Gesellschaft wird die im Vortrag entwickelte Argumentation kommentiert. Insbesondere werden Produktivität und Grenzen reflektiert, über den Begriff der ‚Beziehungsweise‘ Kritik an Schule zu formulieren, die auf die gesellschaftliche Verfasstheit von Schule fokussiert. In der Diskussion könnten u.a. folgende Stränge aus Vortrag und Kommentar aufgegriffen werden: - Potenziale und Grenzen des entwickelten Begriffs pädagogischer Beziehungen für die Forschung und einer Forschung zur Klassenlehrkraft als ein Beziehungsgeschehen - Angemessenheit der methodischen Umsetzung mit dem vorgeschlagenen Mapping, Nachvollzug des Mapping - Frage nach den Adressat*innen von Kritik, wenn durch Forschung auch Kritik an Schule formuliert wird |
13:00 - 15:00 | Mapping #TeachersofTikTok. Workshop: Pädagogische Beziehungen auf und mit Social Media Ort: SR 3 = Raum 1112 Chair der Sitzung: Viktoria Flasche, Kunstakademie Düsseldorf Workshop/Sonstiges Gruppenformat |
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Basierend auf einem App-Walktrough (Light, Burgess & Duguay, 2018) sowie einer thematisch geordneten Hashtag-Sammlung (Ackermann & Dewitz 2020) wird via Netzwerkkarte (s.o.) gemeinsam das Social-Media-Feld der (pädagogischen) Beziehungen auf TikTok erschlossen. Der Workshop ist in vier Phasen gegliedert:
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