Veranstaltungsprogramm
Eine Übersicht aller Sessions/Sitzungen dieser Veranstaltung.
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Sitzungsübersicht |
Datum: Donnerstag, 18.09.2025 | |
9:00 - 10:00 | Keynote 2: Tijs Bolz Ort: HS 4 = Raum 1127 Schüler*innen-Lehrkraft-Beziehung bei Beeinträchtigungen der emotionalen und sozialen Entwicklung - Theoretische Grundlagen, ausgewählte Forschungsbefunde und Implikationen für inklusive Bildungsprozesse
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10:15 - 12:15 | Adressierungsanalyse als empirischer Zugang zum Phänomenbereich pädagogischer Beziehungen Ort: SR 4 = Raum 1117 Chair der Sitzung: Tobias Leonhard, Pädagogische Hochschule Zürich Forschungsforum |
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Wie lassen sich pädagogische zum Gegenstand empirischer Untersuchung machen? Ausgehend von der Frage des Calls zur Tagung, welche «sozialtheoretische[n] Bezugnahmen […] welche (produktiven) Perspektiven auf pädagogische Beziehungen [eröffnen]», werden im Forschungsforum die Chancen und Grenzen der Adressierungsanalyse ausgelotet, pädagogische Beziehungen gegenstandsadäquat zu erforschen. Dies geschieht anhand von zwei rekonstruierten Daten aus dem Projekt TriLSA (Trajektorien im Lehrberuf - Subjektivierung in schulischen Anerkennungsordnungen, 2025-2028), in dem neun Berufseinsteiger:innen ethnografisch durch die ersten vier Berufsjahre begleitet werden. Im Forum wird auf der einen Seite die Frage nach einem geeigneten Zugang zum Phänomenbereich der pädagogischen Beziehungen gestellt, auf der anderen Seite aber in den Blick genommen, was dieser Phänomenbereich eigentlich umfasst. Ist die Beziehung zwischen Lehrer:innen und Eltern (von Schüler:innen), eine pädagogische? Im zweiten Teil des Forschungsforums fragen wir im Anschluss an die Dissertation von Melanie Leonhard, ob die (schul-)pädagogische Beziehung eigentlich ohne die – die Institution Schule mitkonstituierenden – Gegenstände des Unterrichts hinreichend charakterisiert werden kann. Die Adressierungsanalyse (Kuhlmann, 2023a; Reh & Ricken, 2012; Rose & Ricken, 2018) hat in den vergangenen Jahren eine bemerkenswerte 'Karriere' gemacht. Der im Grundsatz keineswegs neue, aber in der Kombination von Aspekten der Konversationsanalyse und machtbezogener Momente der Diskursanalyse spezifisch konturierte Blick auf die Relationalität sozialer Praxis, eröffnet auch für die Schul- und Unterrichtsforschung erweiterte Perspektiven, so zumindest die Ausgangshypothese des Forschungsforums. Diese erlauben nicht nur das Ausmass zu bestimmen, in denen sich normative Ansprüche an pädagogische Beziehungen auch empirisch realisieren, sondern lassen auch Aussagen zu Prozessen situativer Subjektivierung einzelner Teilnehmender am sozialen Geschehen und Aussagen zur sozialen Ordnung zu, die je nach Untersuchungsgegenstand z.B. als Wissensordnung, als Differenzordnung oder als Anerkennungsordnung gefasst werden kann. Die vorliegenden, eher als Methodologie zu argumentierenden Heuristiken mit mehreren Dimensionen (Kuhlmann et al., 2017; Kuhlmann, 2023a) erfordern jedoch je nach Erkenntnisinteresse und Gegenstandsbestimmung die Ausarbeitung eines methodischen Vorgehens. Dieser Prozess wird im Forum an den beiden Daten und deren Rekonstruktionen sichtbar gemacht und zur Diskussion gestellt. Als Vorgehen ist geplant, zunächst die beiden Phänomenbereiche pädagogischer Beziehungen zwischen Eltern und Lehrperson und zur Rolle der Unterrichtsgegenstände jeweils anhand einer kontextualisierten Darstellung der erkenntnisleitenden Fragestellung, des Untersuchungsdatums und seiner Rekonstruktionen vorzustellen. In der Diskussion durch die Diskutantin, aber auch mit den Teilnehmenden wäre gemeinsam das Potenzial der Adressierungsanalyse zu prüfen, so z.B. mit der Frage, welche (neuen?) Erkenntnismöglichkeiten aus diesem Zugang resultieren, aber auch, welche Grenzen mit dem Einsatz dieser Methode verbunden sind. Beiträge des Symposiums Pädagogische Beziehungen am Elternabend? «Pädagogische Beziehungen [stehen] immer im Kontext des Bildungs- und Erziehungsauftrags» (Fischer & Richey, 2021, S. 34), der neben dem Strukturproblem der Generationalität (Ricken, 2015) die verantwortungsbewusste Zusammenarbeit zwischen Lehrer:innen und den Eltern ihrer Schüler:innen in der Institution Schule begründet (Schneider Boye, Leonhard, & Herzmann, 2025). «Was diese Verantwortung aber – neben der juristisch-verbindlichen Erfüllung von Pflichten und dem Vermeiden von Kindeswohlgefährdungen – genau bedeutet, ist theoretisch – aber natürlich oft auch praktisch – hoch umstritten» (Kuhlmann, 2023b, S. 110). Unter der Fragestellung, ob am Elternabend als etablierter Form der Elternzusammenarbeit eine pädagogische Beziehung unter den Anwesenden entsteht, ob in dieser Beziehung auch Erziehung stattfindet und welche Positionen darin den Schüler:innen zukommen (Bennewitz 2023), wurden Daten aus einem solchen Elternabend adressierungsanalytisch rekonstruiert. Im Impulsreferat wird die Kontextualisierung des Datum und das methodische Vorgehen vorgestellt sowie die Befunde zur Diskussion gestellt. Pädagogische Beziehungen und die Gegenstände des Unterrichts Die Institution Schule und der darin stattfindende Unterricht als typisch moderne Form «lernbezogener Menschenhaltung» (Caruso, 2011, S. 24) ist bestimmt durch die Bezüge auf die Gegenstände des Unterrichts. Obwohl fast eine Binsenweisheit, die sich traditionell im basalen Modell des didaktischen Dreiecks abbildet, scheint uns das Verhältnis von Lehrenden, Lernenden und der Sache in seiner Dreistelligkeit (vgl. Reh, 2018) bei der Thematisierung pädagogischer Beziehungen bislang eher zu wenig berücksichtigt. Das ist umso bemerkenswerter, als die Qualität der auf «Lernen» zielenden Auseinandersetzung nicht nur auf der inter-subjektiven Beziehungsebene bestimmbar ist, sondern auch die Frage beinhalten muss, wie und als was die Gegenstände in den unterrichtlichen Horizont kommen, wie sie – ebenso wie die menschlichen Teilnehmenden – Anerkennung finden und welche Rolle die Gegenstände selbst dabei spielt. In einer Erweiterung der Adressierungsanalyse hat Melanie Leonhard das didaktische Dreieck adressierungsanalytisch aktualisiert und die Gegenstände als «Adressand» ausgearbeitet, der sowohl materiell als auch immateriell ins Zentrum der unterrichtlichen Aufmerksamkeit gelangen kann und diese (im besten Fall) produktiv zu binden vermag (Leonhard, 2025). Die Beziehungen zwischen den Gegenständen und den menschlichen Teilnehmenden lassen sich – so die Hypothese dieses Referats – adressierungsanalytisch detailliert in den Blick nehmen. Im Anschluss an die Erläuterungen zu Erweiterung der Adressierungsanalyse und zum Konzept des Adressanden wird dies an der Rekonstruktion einer Unterrichtssequenz zu verdeutlichen versucht. |
10:15 - 12:15 | Pädagogische Beziehung(en) beforschen. Methodologische und methodische Herausforderungen qualitativ-rekonstruktiver Zugangsweisen Ort: SR 3 = Raum 1112 Chair der Sitzung: Angela Bauer, Universität Regensburg Symposium |
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Beziehungen sind mit Blick auf pädagogische Interaktionen konstitutiv für „Prozesse der Entwicklung, Sozialisation und Bildung“ (Prengel 2019, 11). Die „Beziehungsfrage“ (Stoetzer/Hermann 2010) gilt daher als zentrales Moment des beruflichen Selbstverständnisses von Pädagog:innen (auch Giesecke 1999, 5). Schon im historischen Diskurs pädagogischer Entwürfe (bspw. bei Herbart, Hegel, Schleiermacher, Kron) finden sich vielfältige Auseinandersetzungen mit Generationenbeziehungen wie Lehrer:innen-Schüler:innen-Beziehungen bzw. Erzieher:in-Zögling-Beziehungen (vgl. hierzu Helsper/Hummrich 2014, 33f., Lechner 2024, 36ff.). Zentrale aktuelle Bezugslinien der Erforschung pädagogischer Beziehungen lassen sich u.a. im strukturtheoretischen Professionsansatz (Helsper 2021) und in der praxeologisch-wissenssoziologischen Professionalisierungsforschung ausmachen. Dabei werden in ersterem Lehrer:innen-Schüler:innen-Beziehungen als schulische Arbeitsbündnisse (Oevermann 1996) gefasst und ihre Strukturlogik als stellvertretende Krisenlösung innerhalb antinomischer Spannungsverhältnisse beschrieben (Kramer/Helsper/Busse 2001, Helsper u.a. 2007, Kowalski 2020). Demgegenüber kommt im Zusammenhang mit praxeologisch-wissenssoziologischen Perspektiven deutlicher die Ausgestaltung der Beziehungsstrukturen innerhalb eines Interaktionssystems zum Tragen (Kallfaß 2022, Bressler 2023). Bereits in diesem kurzen Einblick zeigt sich, dass theoretische und method(olog)ische Zugänge den Untersuchungsgegenstand ‘pädagogische Beziehung’ in unterschiedlicher Weise konturieren (vgl. hierzu Bossen/Bauer i.E.). Anliegen dieses Symposiums ist es nun, ausgehend von aktuellen Forschungsprojekten darüber nachzudenken, wie pädagogische Beziehungen aus praxistheoretischer, praxeologisch-wissenssoziologischer und subjektivierungstheoretischer Perspektive je unterschiedlich hervorgebracht werden - und welche Fokussierungen, Herausforderungen und Auslassungen im Zusammenhang mit entsprechenden qualitativ-rekonstruktiven Zugangsweisen jeweils verbunden sind (zum Verhältnis von Gegenstand zu Theorie/Methodologie und Methode siehe Hoffmann u.a. i.E.). Dafür greifen wir auf Erfahrungen aus eigenen aktuellen Forschungsprojekten zurück und fokussieren in den jeweiligen Beiträgen methodisch-methodologische Fragen, die wir ausgehend von unseren unterschiedlichen formaltheoretischen Setzungen entfalten. In einem ersten Beitrag wird die Positionierung und Positioniertheit von Forschenden im Feld angesprochen und die Frage zentral gestellt, inwiefern der eigene berufsbiografisch geprägte Standort im Rahmen der Genese und Analyse ethnographischen Materials die Konstruktion des Gegenstandes verändert. Der zweite Beitrag nimmt die machtvolle Dimension des Settings ‘diskriminierungskritische Lehrer*innenfortbildung’ in den Blick und widmet sich der Frage danach, was ein adressierungsanalytisches Vorgehen (nicht) über die Performanz und Inszenierung pädagogischer Beziehungen zum Sprechen bringt. Beitrag drei verknüpft die Frage nach der Konstruktion von Beziehung in pädagogischen Settings jenseits intergenerationaler Verhältnisse mit einer methodologisch-methodischen Reflexion der dokumentarischen Bildanalyse. Ein vierter Beitrag reflektiert entlang von videographischen Daten Herausforderungen der Datenerhebung, Transkription und Analyse von Beziehungspraxen im Unterricht. Zentrales Moment der Überlegungen ist die Relationierung von Beziehungspraxen mit Modi der Fachlichkeit. Über alle vier Beiträge hinweg werden somit Potentiale und Grenzen qualitativ-rekonstruktiver Zugangsweisen zu Pädagogischen Beziehungen ausgehend von unterschiedlichen formaltheoretischen Setzungen, Datensorten und in unterschiedlichen Feldern pädagogischer Professionalität und Professionalisierung vorgestellt. Durch die gemeinsame Diskussion dieser loten wir im Symposium Möglichkeiten der empirischen Hervorbringung von pädagogischen Beziehungen aus. Beiträge des Symposiums In Beziehung sein mit dem Feld – Welche Rolle spielt die eigene pädagogische Professionalisierung von Ethnographinnen beim Erforschen pädagogischer Beziehungen? Studien verweisen auf die Bedeutung der Involviertheit von ethnographischen Forscher:innen in der Betrachtung pädagogischer Beziehungen (bspw. Huf 2023, Langer/Richter 2023). In methodologischen Diskussionen wird relevant gemacht, wie Wissen über das Feld, Positionierungen darin und Beziehungen mit Forschungsteilnehmenden (vor)geprägt sind. Mit Blick auf diese Diskussionen machen wir die Rolle der eigenen pädagogischen Professionszugehörigkeit im ethnografischen Forschungsprozess zum Thema. Wir fragen, inwiefern geteilte Wissensordnungen (Wrana 2015, 127) zwischen Forschenden und Forschungsteilnehmenden die Genese und Analyse von Datenmaterial (mit)konstruieren und wie dies in der Rekonstruktion pädagogischer Beziehungspraxis reflexiv zugänglich gemacht werden kann. Dafür stellen wir Ausschnitte aus zwei empirischen Projekten vergleichend gegenüber. Gemeinsam ist beiden, dass es um Praktiken des schulischen Alltags und darin aufgeführte Verhandlungen von Differenz und Beziehung zwischen Lehrer:innen und Schüler:innen geht. Zugleich unterscheiden sich die berufsbiographisch geprägten Standorte voneinander, aus denen wir den Kontext Schule betrachten. Konkret stehen sich eine Lehrer:innenprofession und macht- und diskriminierungskritische Professionalisierungserfahrungen außerhalb des Schulkontextes gegenüber. An empirischen Beispielen diskutieren wir Unterschiede der Genese und Analyse des Datenmaterials, die in der gemeinsamen Interpretationspraxis sichtbar wurden. Wir nehmen auch Bezug auf den Diskurs zur Frage der Positionierung erziehungswissenschaftlicher Forschung zur Praxis (bspw. Balzer/Bellmann 2019) sowie deren Bedeutung im Forschungsprozess (Huf/Idel 2024). Ausblickhaft reflektieren wir, was diese Beobachtungen für die Erforschung pädagogischer Beziehungen innerhalb unterschiedlicher Disziplinen bedeuten und inwieweit interdisziplinäre Perspektiven Chancen systematischer Befremdung ethnographischen Datenmaterials bieten (Unterweger et al. 2018, 10). Literatur Balzer, N. & Bellmann, J. (2019). Die Erziehung der Theaterperspektive. In W. Meseth, R. Casale, A. Tervooren & J. Zirfas (Hrsg.), Normativität in der Erziehungswissenschaft. Wiesbaden: Springer VS, S. 21–48. Huf, Christina (2023): “To be one is always to become with many”: Ethnographic perspectives on Relationships in Early Childhood Education and Care. In: Sophia Richter & Anna Bitzer (Hrsg.): In Beziehung sein. Erziehungswissenschaftliche Reflexionen zur Bedeutung von Beziehung in Forschung, Lehre und Praxis. Weinheim/Basel: Beltz Juventa, S. 124-134. Huf, Christian & Idel, Sebastian (2024): Dynamiken der Wissensproduktion in der Schulentwicklung. Methodologische Überlegungen zum Verhältnis von Reformpraxis und wissenschaftlicher Schulbegleitforschung am Beispiel des Schulversuchs PRIMUS. In: Sarah Nell-Müller/Annika Scholz/Genet, Noemi/Christophe Straub (Hg.), Schule im Kontext politi- scher Bildung und kultureller Spezifik, Münster u. New York: Waxmann, S. 130–144. Langer, Antje & Richter, Sophia (2023): In Beziehung setzen: Positionierungen in ethnographischen Forschungsprozessen. In: Sophia Richter & Anna Bitzer (Hrsg.): In Beziehung sein. Erziehungswissenschaftliche Reflexionen zur Bedeutung von Beziehung in Forschung, Lehre und Praxis. Weinheim/Basel: Beltz Juventa, S. 135-153. Unterweger, G./Sieber Egger, A./Maeder, C. (2018): Vertrautheit und Distanz in der Ethnographie. Überlegungen zur Beziehungsgestaltung und Wissensproduktion im pädagogischen Feld. In: Fallarchiv Kindheitspädagogische Forschung. Online-Zeitschrift zu Qualitativen Methoden in Forschung und Lehre, 1(1), S. 3–23. Wrana, Daniel (2015): Zur Methodik einer Analyse diskursiver Praktiken. In: Franka Schäfer/Anna Daniel/Frank Hillebrandt (Hg.): Methoden einer Soziologie der Praxis. Bielefeld: Transkript, S. 121-144 Adressierungsanalytische Erkenntnispotenziale für die Erforschung pädagogischer Beziehungen Für eine empirische Untersuchung pädagogischer Beziehungen in situ – so die Ausgangsüberlegung des Beitrages – eignet sich ein adressierungsanalytisches Vorgehen insofern besonders, als dass dessen methodologische Prämissen die Relationalität von Subjektivierungsprozessen in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stellen (Rose/Ricken 2023; Kuhlmann 2023): Subjektwerdung vollzieht sich in dieser Perspektivierung maßgeblich in und durch (pädagogische) Beziehungen (Ricken 2015) und lässt sich empirisch als ein Adressierungsgeschehen rekonstruktiv untersuchen. Zugleich ist es notwendig und aufschlussreich, auch danach zu fragen, was die Adressierungsanalyse - gerade mit Blick auf pädagogische Beziehungen - nicht zum Sprechen bringt (Otzen/Rose 2021). Vor diesem Hintergrund widme ich mich anhand von Material aus einer diskriminierungskritisch ausgerichteten Lehrer*innenfortbildung dem Potenzial ebenso wie den Grenzen dessen, was adressierungsanalytische Rekonstruktionen als Erkenntnisse über den praktischen Vollzug von pädagogischer Beziehungsgestaltung (zwischen Fortbildner*innen und teilnehmenden Lehrer*innen) ebenso wie über Konstruktionen pädagogischer Beziehungen (Lehrer*innen-Schüler*innen-Beziehungen im Sprechen der Fortbildungsbeteiligten) hervorzubringen vermögen. Hierfür werden Interpretationen ausgewählter Transkriptausschnitte mit Auszügen aus einem Forschungstagebuch kontrastiert. Während die Forscherin sich im Tagebuch als beeindruckt von der performierten und inszenierten Beziehungsarbeit im Fortbildungssetting zeigt, verweisen die Analysen auf teils machtvoll-hierarchische Adressierungen der Fortbildungsteilnehmer*innen und degradierende Weisen, sich zu den im Sprechen konstruierten Schüler*innen zu relationieren. Vor dem Hintergrund dieser starken Diskrepanz wird abschließend ausgelotet, welchen Beitrag die Adressierungsanalyse für die Professionalisierungsforschung - insbesondere im Kontext von Fortbildungen - leisten kann. Literatur Kuhlmann, Nele (2023): Adressierungsanalyse als Zugang zur Subjektivierungsforschung. Methodologisch-methodische Weiterentwicklungen und Werkstattbericht. In: Norbert Ricken, Nadine Rose, Anne Otzen & Nele Kuhlmann (Hrsg.): Die Sprachlichkeit der Anerkennung. Subjektivierungstheoretische Perspektiven auf eine Form des Pädagogischen. Weinheim/Basel: Beltz Juventa, S. 68–111. Otzen, Anne & Rose, Nadine (2021): Was bringt die Adressierungsanalyse zum Sprechen? Ein subjektivierungstheoretischer Zugang zu schulischen Praktiken. In: Diana Fischer, Kerstin Jergus, Kirsten Puhr & Daniel Wrana (Hrsg.): Theoretische Empirie – Erkenntnisproduktion zwischen Theoriebildung und empirischen Praxen. Berlin: epublic, S. 102–121. Ricken, Norbert (2015): Pädagogische Professionalität - revisited. Eine anerkennungstheoretische Skizze. In: Jeanette Böhme, Merle Hummrich & Rolf-Thorsten Kramer (Hrsg.): Schulkultur. Theoriebildung im Diskurs. Wiesbaden: Springer VS, S.137-157. Ricken, Norbert & Rose, Nadine (2023): Anerkennung und Adressierung. Theoretische Grundlagen und systematische Perspektiven. In: Norbert Ricken, Nadine Rose, Anne Otzen & Nele Kuhlmann (Hrsg.): Die Sprachlichkeit der Anerkennung. Subjektivierungstheoretische Perspektiven auf eine Form des Pädagogischen. Weinheim/Basel: Beltz Juventa, S. 20-67. Pädagogische Beziehungen im Bild. Grenzen und Möglichkeiten der Bildinterpretation In diesem Beitrag wird das Potenzial der dokumentarischen Methode für die Analyse von (pädagogischen) Beziehungen aus methodologischer, methodischer und gegenstandsorientierter Perspektive am Beispiel von Bildern von ‘Integrationskursen’ betrachtet. In der Dokumentarischen Professionalisierungsforschung kommt der Analyse des Interaktionssystems aus beruflich Tätigen und Klient:innen eine besondere Rolle zu (siehe z.B. Bohnsack 2020, Kap. 5). Als Leerstelle des Forschungsfeldes hat sich allerdings die Klärung des Verhältnisses von ‚pädagogischer Interaktion‘ und ‚pädagogischer Beziehung‘ erwiesen, der sich in diesem Beitrag angenähert werden soll. Davon ausgehend erfolgt der Blick in Fotos von ‘Integrationskursen’, die Websites von Ministerialbehörden entnommen worden sind. Aus methodischer Perspektive geht es dabei darum, die Möglichkeiten und Grenzen der dokumentarischen Bildinterpretation für die Untersuchung pädagogischer Beziehungen auszuloten. Hier erweist sich insbesondere die Analyse der Formalkomposition der Bilder als relevant (szenische Choreographie, Perspektivität, Planimetrie, siehe u.a. Bohnsack 2009). Diese verspricht einen Zugriff auf die Frage nach der interaktiven Herstellung von Asymmetrie in pädagogischen Beziehungen - die auch jenseits intergenerationaler Verhältnisse funktioniert. Literatur Bohnsack, R. (2020). Professionalisierung in praxeologischer Perspektive. Stuttgart: utb. Bohnsack, R. (2009). Qualitative Bild- und Videointerpretation. Die dokumentarische Methode. Opladen: Barbara Budrich. Beziehungspraxen im Fachunterricht. Methodische und methodologische Reflexionen einer dokumentarischen Analyse von Unterrichtsvideografien Pädagogische Beziehungen in der Schule in einer praxeologisch-wissenssoziologischen Perspektive (Bohnsack 2017) als habitualisierte Praxen zu verstehen, ruft sowohl das mehrdimensionale Erfahrungswissens der am Beziehungsgeschehen Beteiligten als auch die Normen, Regeln und Rollenerwartungen der jeweiligen Organisationen auf. Beziehungspraxen sind dabei, ähnlich wie Nentwig-Gesemann (2024) es für die Kita konkretisiert, auch in der Schule von verschiedenen „(Ideal) Vorstellungen und Vollzugspraktiken von ‚gelingenden‘ Beziehungen“ (ebd. 76) geprägt. Das gilt sowohl für die Peer-Ebene (ebd.) als auch für professionelle, intergenerationale Beziehungen, wobei sich Normen und Praxen im Spektrum von Anerkennung und Missachtung (Prengel 2019) sowie Nähe und Distanz (u.a. Kowalski 2020) identifizieren lassen. Für die Unterrichts- und Professionsforschung ist neben diesen Foki auch die Bedeutsamkeit von Beziehungen für Modi des Erziehens, der Bildung und des Lernens relevant. Das bekräftigen Erkenntnisse zu den Zusammenhängen von emotional-sozialen Dimensionen des Unterrichts, wie dem schulischen Wohlbefinden von Schüler:innen mit fachspezifischen Leistungen. Dieser Zusammenhang lässt sich empirisch u.a. mit der Qualität der Beziehung der Schüler:innen zur Lehrkraft erklären (u.a. Lütje-Klose et al. 2018). Wie sich Beziehungspraxen in Interaktionen des Fachunterrichts rekonstruieren lassen, wird entlang von Daten aus der Studie „Fachlichkeit in Interaktionen. Vermittlungs- und Aneignungsprozesse im Kontext von Inklusion und Exklusion“ (Hackbarth & Müller 2024) konkretisiert und zur Diskussion gestellt. Schwerpunktmäßig geht es dabei um methodische und methodologische Herausforderungen einer dokumentarischen Interpretation von Beziehungspraxen entlang von Unterrichtsvideografien und damit einhergehenden notwendigen Anpassungen der dokumentarischen Methode (u.a. Hackbarth & Ludwig i.E.). Literatur Hackbarth, Anja & Müller, Anja (2024). Grammar teaching in inclusive learning groups. A reconstructive analysis of subject‐specific teaching. RISTAL, 7, 61‐75. Hackbarth, Anja & Ludwig, Johannes (i.E.). Gebärden, Gesten und Unterstützte Kommunikation. Methodische Herausforderungen der dokumentarischen Interpretation basaler Interaktionen im Unterricht. In: A. Hackbarth, S. Hoffmann, M. Hunold, D. Petersen, & S. Rundel (Hrsg.). Jahrbuch Dokumentarische Methode. Heft 7/2025. Berlin: centrum für qualitative evaluations- und sozialforschung e.V. Kowalski, Marlene (2020): Nähe, Distanz und Anerkennung in pädagogischen Beziehungen. Rekonstruktionen zum Lehrerhabitus und Möglichkeiten der Professionalisierung. Studien zur Schul- und Bildungsforschung. 80. Wiesbaden: Springer Fachmedien. Lütje-Klose, Birgit, Neumann, Philipp, Gorges, Julia & Wild, Elke (2018). Die Bielefelder Längsschnittstudie zum Lernen in inklusiven und exklusiven Förderarrangements (BiLieF) – Zentrale Befunde. DDS – Die Deutsche Schule, 110(2), 109–123. Nentwig-Gesemman, Iris (2024): Zusammenspielen, Zusammenhalten, Geheimnisse teilen – Resonanzerfahrungen in freundschaftlichen Beziehungen zwischen Kindern. In: J. Jerg, J. Müller, T. Wahne (Hrsg.): Resonanz erfahren – mit der Welt in Beziehung stehen. Vielfältige pädagogische Zugänge zu einer kindheitspädagogischen Praxis (75-90). Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Prengel, Annedore (2019). Pädagogische Beziehungen zwischen Anerkennung, Verletzung und Ambivalenz (2., überarb. u. erw. Aufl.). Opladen: Budrich. |
10:15 - 12:15 | Praxeologisch-wissenssoziologische Perspektiven auf pädagogische Beziehungen in Schule und universitärer Lehrer:innenbildung: Orientierungen von Lehrpersonen, Hochschullehrenden und Lehramtsstudierenden Ort: SR 2 = Raum 1111 Chair der Sitzung: Jan-Hendrik Hinzke, Justus-Liebig-Universität Gießen Symposium |
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Ausgangspunkt des Symposiums ist der sich zunehmend etablierende praxeologisch-wissenssoziologische Professionsansatz (Bohnsack 2020), der entlang empirisch fundierter meta-theoretischer Kategorien wie der konstituierenden Rahmung professionalisierte Praxis in pädagogisch ausgerichteten Institutionen konzeptualisiert. Im Symposium wird die Herstellung und Aufrechterhaltung einer pädagogischen Beziehung, grundlegend verstanden als „das wechselseitige Aufeinander-Bezug-Nehmen von Erwachsenen und Heranwachsenden“ (Häcker et al. 2022, S. 15), als ein Aspekt professionalisierter Praxis in den Blick genommen. Auch wenn Beziehung immer zweiseitig und interaktiv zu denken ist (Richey 2021; Wettstein & Scherzinger 2021), wird die Perspektive der Professionellen als diejenigen, die maßgeblich für die Beziehungsgestaltung verantwortlich sind, fokussiert. Die für den praxeologisch-wissenssoziologischen Professionsansatz zentrale Kategorie der konstituierenden Rahmung fokussiert als zentrale Herausforderung professionalisierten Handelns die interaktive Bewältigung der Spannung zwischen Normen der Organisation einerseits und Orientierungen der Klientel andererseits (Bohnsack 2020; Bohnsack et al. 2022; Bohnsack 2023). Im Symposium wird dieser Grundgedanke aufgegriffen, indem die beiden Konzepte ‚konstituierende Rahmung‘ und ‚pädagogische Beziehung‘ miteinander in Beziehung gesetzt werden. Dabei lässt die Betonung der interaktiven und kommunikativen Dimension professionalisierten Handelns die Kategorie konstituierende Rahmung für eine tiefere Durchdringung der Spezifik der (organisational eingebetteten) Beziehung zwischen Professionellen und Klientel ertragreich erscheinen. So geraten bspw. verschiedene Umgangsweisen mit strukturellen Asymmetrien und ungleich verteilter Macht zwischen Professionellen und Klientel (Bressler 2023) als Ausdruck unterschiedlicher konstituierender Rahmungen in den Blick. Dem Symposium geht es im Sinne einer praxeologisch-wissenssoziologischen Analysehaltung nicht darum, die Logik der Theorie in die Praxis hinein zu projizieren, sondern die Logik der beruflichen Praxis selbst zum Ausgangspunkt der Metatheorie zu machen. Durch die dokumentarische Rekonstruktion empirischer Daten soll primär die Kategorie pädagogische Beziehung reflektiert und weiterentwickelt werden. Aus dieser gemeinsamen grundlagen- und gegenstandstheoretischen Perspektive heraus werden im Symposium Lehrpersonen, Dozierende in der Lehrer:innenbildung und Lehramtsstudierende mit ihren jeweiligen organisationalen Einbettungen ins Zentrum gerückt. Grundlegendes Ziel ist es, pädagogische Beziehungen aus praxeologisch-wissenssoziologischer Perspektive heraus sowohl theoretisch als auch empirisch näher zu erschließen und dabei die Lehrer:innenbildung(-sforschung) zum gedanklichen Bezugspunkt zu machen. Dabei geht es im Kern um folgende Fragen: Wie lassen sich pädagogische Beziehungen empirisch rekonstruieren und welche Ausformungen derartiger Beziehungen zeigen sich in Schulen und der universitären Lehrer:innenbildung? Inwiefern lassen sich die Konzepte der pädagogischen Beziehung und der konstituierenden Rahmung relationieren und welcher gegenstandstheoretische Erkenntnisgewinn zeigt sich dabei? Inwiefern zeigen sich empirisch Ausdrucksgestalten der konstituierenden Rahmung in pädagogischen Beziehungen? Zunächst werden drei Vorträge präsentiert, die auf unterschiedlichen Forschungsprojekten basieren und mit der Dokumentarischen Methode (Bohnsack 2021; Przyborski & Wohlrab-Sahr 2021) arbeiten. Der erste Vortrag fokussiert entlang von ersten empirischen Befunden aus Einzelinterviews die Beziehung von Gymnasiallehrpersonen zu besonders leistungsstarken Schüler:innen, wobei insbesondere die Wahrnehmung der Schüler:innen durch die Lehrpersonen als Aspekt pädagogischer Beziehungen herausgearbeitet wird. Mit Fokus auf Beziehungen an der Hochschule nimmt der zweite Vortrag entlang der Rekonstruktion von Gruppendiskussionen mit Dozierenden deren Orientierungen in Bezug auf Lehramtsstudierende in den Blick. Für die Analyse werden praxeologisch-wissenssoziologische und anerkennungstheoretische Kategorien genutzt, anhand derer die Spezifik der (pädagogischen) Beziehung zwischen Studierenden und Dozierenden sowie die damit einhergehenden professionalisierungsrelevanten Implikationen herausgearbeitet werden. Stärker theoretisch perspektiviert geht der dritte Vortrag der Frage nach, wie pädagogische Beziehung aus Sicht verschiedener professionstheoretischer Ansätze und insbesondere aus der sich neu etablierenden praxeologisch-wissenssoziologischen Sicht auf Professionalisierung beschrieben werden kann. Unter Berücksichtigung empirischer Befunde aus einer Gruppendiskussionsstudie mit Lehramtsstudierenden wird dabei v.a. die Kategorie der konstituierenden Rahmung hinsichtlich ihrer Anschlussfähigkeit an universitäre Lehrer:innenbildung betrachtet. In der abschließenden übergreifenden Diskussion werden zentrale Ergebnisse der Vorträge zueinander relationiert, methodische Chancen und Grenzen angesprochen und die Ergebnisse vor dem Hintergrund diskutiert, was diese zur näheren Kennzeichnung einer pädagogischen Beziehung beitragen sowie welche Konsequenzen sich daraus für weitere Forschung zu diesem Konzept und für die Gestaltung der Lehrer:innenbildung ergeben. Beiträge des Symposiums Gestaltungsmerkmale pädagogischer Beziehungen zwischen Gymnasiallehrpersonen und besonders leistungsstarken Schüler:innen Im Beitrag wird die pädagogische Beziehung zwischen zwei speziellen Personengruppen – Gymnasiallehrpersonen und besonders leistungsstarken Schüler:innen – fokussiert. Dabei werden Erwartungshaltungen und Einstellungen der Lehrperson beleuchtet, die wiederum zentralen gestalterischen Einfluss auf die Beziehung zu entsprechender Schüler:innengruppe haben (Fischer/Richey 2021). Ausgehend vom praxeologisch-wissenssoziologischen Professionsansatz und der Annahme, dass die entsprechende Beziehung eingebettet ist in Organisation und Institution, spielen außerdem normative Anforderungen eine Rolle, die von den Lehrpersonen bearbeitet werden (Bohnsack 2020; Bohnsack et al. 2024). Im Zentrum der Promotionsstudie „Besonders leistungsstarke Schüler:innen im Blick“ steht die Frage nach Orientierungen von Gymnasiallehrpersonen bzgl. der Wahrnehmung von und dem Umgang mit besonders leistungsstarken Schüler:innen. Leistungsstärke wird dabei nach Sturm (2024) als Facette von Heterogenität verstanden, was wiederum mit Normen der Bildungsgerechtigkeit und damit auch normativen Ansprüchen an die Gestaltung einer pädagogischen Beziehung zwischen Lehrperson und Schüler:innen einhergeht. Im Rahmen des Dissertationsprojekts wurden zwölf Einzelinterviews mit Gymnasiallehrpersonen an drei Schulen geführt und mithilfe der Dokumentarischen Methode nach Bohnsack (2021) ausgewertet. Im Vortrag werden erste empirische Befunde vorgestellt, wobei der Fokus auf der Wahrnehmung besonders leistungsstarker Schüler:innen durch Lehrpersonen und die dabei zum Vorschein tretenden Normen in Bezug auf die Gestaltung der pädagogischen Beziehung im Zentrum liegt. Mit Fokussierung auf die Beziehungsgestaltung vonseiten der Lehrpersonen soll der Vortrag eine neue Perspektive auf die Schnittstelle zwischen pädagogischen Beziehungen und Leistungsstärke eröffnen. „Pädagogische“ Beziehungen an der Hochschule? Anerkennungsformen Dozierender gegenüber Lehramtsstudierenden Während sich der Begriff der Anerkennung im Diskurs um die pädagogische Beziehung zwischen Lehrpersonen und Schüler:innen und seine macht- und adressierungsanalytischen Implikationen in den letzten beiden Jahrzehnten fest etabliert haben (z.B. Helsper et al. 2005, Kowalski 2016, Prengel 2019, Kuhlmann et al. 2023) stellen (anerkennungstheoretische) Perspektiven auf die Beziehung zwischen Hochschullehrenden und (Lehramts)studierenden ein Desiderat dar. Der Vortrag widmet sich dieser Leerstelle, indem er differierende Anerkennungsformen Dozierender gegenüber Lehramtsstudierenden als (einen) Befund der dokumentarischen Rekonstruktion (Bohnsack 2020, 2021, Przyborski 2004) von Orientierungsrahmen hochschulischer Lehrerbildner:innen vorstellt (ähnlich für den Kontext Schule, z.B. Hericks 2007). Empirische Grundlage des Beitrags sind sieben Gruppendiskussionen mit Lehrenden der Bildungswissenschaften und ausgewählter Fachdidaktiken, die im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitstudie des QLB-Projekts KALEI2 (Professionalisierung durch Heterogenitätssensibilierung) erhoben und mit einem professionstheoretischen Erkenntnisinteresse befragt wurden. Wenngleich sich durchaus kontrastreiche Verhandlungen expliziter und impliziter Wissensbeständen der Dozierenden in Bezug auf die Studierenden zeigen, so bestätigt das empirische Material in grosso modo den auch am Forschungsdiskurs ablesbaren Befund, dass Lehramtsstudierende vor der Folie idealer akademischer Praxis einen schwierigen Ruf genießen (z.B. König & Wolf 2023, Maleyka 2023, Wenzl et al. 2018). Mit der anerkennungstheoretischen Wendung dieses nun auch empirisch zeigbaren Befunds verfolgt der Beitrag das Erkenntnisinteresse, professionalisierungsrelevante Implikationen beruflicher Akteur:innen zur Diskussion zu stellen, die ihrer Klientel eine defizitäre Praxis zuschreiben. Pädagogische Beziehungen aus professionstheoretischer Perspektive: Relationierungen zum Konzept ‚konstituierende Rahmung‘ Der strukturtheoretische und der kompetenztheoretische Professionsansatz bieten unterschiedliche Antworten auf die Frage, zu welchem Zweck und wie Lehrpersonen pädagogische Beziehungen zu Schüler:innen aufbauen und gestalten sollten. Geht es aus strukturtheoretischer Perspektive im pädagogischen Arbeitsbündnis zentral um die stellvertretende Krisenlösung unter Ausbalancierung von diffusen und spezifischen Sozialbeziehungen (Helsper 2021), gilt aus kompetenztheoretischer Sicht die Gestaltung einer lern- und leistungsförderlichen Arbeitsbeziehung als Merkmal von Unterrichtsqualität (Fischer & Richey 2021). Der neu hinzugekommene praxeologisch-wissenssoziologische Professionsansatz bietet mit der Etablierung einer konstituierenden Rahmung einen weiteren Impuls, bei dem die Beziehung zwischen Lehrpersonen und Schüler:innen konsequent von ihrer Einbettung in die Institution und Organisation Schule her gedacht wird (Bohnsack 2020; Bohnsack et al. 2024). Nach einer professionstheoretischen Betrachtung des Konzepts ‚pädagogische Beziehung‘ und einer Relationierung dieses Konzepts zur ‚konstituierenden Rahmung‘ werden Daten aus dem Projekt ‚Reflexions- und Analysefähigkeit zu Studienbeginn‘ (RASt) eingebracht, in dem unter Verwendung zweier Stimuli – Videovignetten zur beruflichen Praxis und Interpretationen zu diesen Videos – Gruppendiskussionen mit Studienanfänger:innen u.a. des Lehramts geführt wurden (Hinzke & Wittek 2024). Auf Basis einer Datenauswertung mit der Dokumentarischen Methode (Bohnsack 2021; Przyborski & Wohlrab-Sahr 2021) wird im Vortrag aufgezeigt, inwiefern sich bei Studienanfänger:innen des Lehramts bereits Reflexionen auf eine konstituierende Rahmung zeigen und in welchen Wissensbeständen diese wurzeln. Diskutiert wird, wie universitäre Lehrer:innenbildung bei derartigen Reflexionen ansetzen könnte, damit sie zum Ausgangspunkt für eine sich im weiteren Studium vollziehende Professionalisierung in der Gestaltung pädagogischer Beziehungen werden können. |
10:15 - 12:15 | Sprache als Medium pädagogischer Beziehungen im Unterricht Ort: HS 3 = Raum 1135 Chair der Sitzung: Sven Thiersch, Uni Osnabrück Forschungsforum |
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Sprache als ein Medium vermittelt zwischen den Menschen und verbindet sie in Beziehungen. Wie alle Zeichensysteme unterliegt sie historischen Wandlungsprozessen und ist kulturell und feldspezifisch geformt. Sprechen und Sprache(n) werden in der Vergangenheit auch als zentrale Medien und (Re-)Produzenten in Schule etwa für die schulische Teilhabe, z.B. in Studien zum Zusammenhang von sozialer Herkunft und Bildungserfolg (Oevermann 1972), aber auch für pädagogische Beziehungen (z.B. Bollnow 1968) in den Erziehungswissenschaften betrachtet. Insbesondere misst man den „normativ-ordnungsbildenden Implikationen der Sprache“ (Meseth 2010, S. 75) in Schule und Unterricht eine exponierte Funktion für die Gestaltung von und das (Nicht-)Verstehen in pädagogischen Beziehungen bei. Umgekehrt wird gezeigt, wie pädagogische (Anerkennungs-)Beziehungen bestimmte Formen des Sprechens und der Sprache implizieren (z.B. Ricken et al. 2017; Prengel 2019). Bis heute ist von diesem relationalen Verhältnis auszugehen. In zahlreichen qualitativ forschenden Projekten wird seit den 1980er Jahren die Bedeutung der Sprache für die pädagogische Interaktion und Kommunikation im Unterricht untersucht (zsf. Proske, Rabenstein & Meseth 2021). In den letzten Jahren ist dabei zu beobachten, wie der lange dominante Fokus auf Formen der Verbalsprache aufgebrochen worden ist, indem Körpersprache – aber auch die Bedeutung von Medien und Dingen – in pädagogischen Beziehungen verstärkt in den Blick von Analysen und Reflexionen kamen. Zudem gibt es bislang kaum erziehungswissenschaftliche Betrachtungen, die sprachwissenschaftliche Ansätze systematisch integrieren. In anderen Zugängen und Perspektiven der Schul- und Bildungsforschung wird Sprache (z.B. in kompetenztheoretischen Ansätzen) als Voraussetzung, Gegenstand und Medium für fachlichen Lernens und Lehrens untersucht und der Beziehungsaspekt ausgeklammert (z.B. Becker-Mrotzek et al. 2013). Ebenfalls in den Diskursen zu DaZ, Mehrsprachigkeit und Bildungssprache als Querschnittsthemen der Lehrer:innenbildung spielen Fragen der pädagogischen Beziehungen eine untergeordnete Rolle. Im geplanten Forschungsforum werden Zugänge und Datenmaterialien aus drei Projekten mit unterschiedlichen Erkenntnisinteressen auf das Thema Sprache und pädagogische Beziehungen im Unterricht vorgestellt und diskutiert. Alle drei Projekte des Forums nehmen die beschriebenen Entwicklungen als Ausgangspunkt auf und fragen danach, in welchem Verhältnis Sprache bzw. Sprechen und pädagogische Beziehungen in Schule und Unterricht grundlegend stehen, wie sich diese Relationen empirisch herausarbeiten lassen und darstellen sowie welche professionstheoretischen Implikationen auf Basis der Ergebnisse zu diskutieren sind. Die drei Untersuchungen stützen sich auf Methoden der qualitativ-rekonstruktiven Sozialforschung, unterscheiden ich aber hinsichtlich der Erhebungs- und Protokollformen (Unterrichtsinteraktion, Interviews, Gruppendiskussionen). Es werden sowohl die Perspektiven von Lehrenden und Lernenden als auch ihre Interaktionspraxis an unterschiedlichen Schulformen (Ober-, Gesamtschulen, Berufskolleg, Gymnasium) beleuchtet. Die einzelnen Beiträge referieren auf unterschiedliche Begriffe bzw. Bezugstheorien (Anerkennung, Macht, Entfremdung, kulturelle Passung), um die Relation von Sprache und pädagogische Beziehungen zu fassen. Beitrag 1 untersucht sprachliche (Re-)Adressierungspraktiken und damit verbundenen Macht- und Anerkennungsbeziehungen am Berufskolleg, Beitrag 2 stützt sich auf eine Analyse von Schüler:innenperspektiven auf Sprache im Unterricht und typologisiert damit wahrgenommene Beziehungsmuster, Beitrag 3 interessiert sich für Transformations- und Reproduktionsprozesse im Zusammenspiel von Sprache und pädagogischen Beziehungen im digitalisierten Unterricht und fragt nach Entfremdungs- und Verdinglichungsprozessen im Wandel von Schule. Beiträge des Symposiums Wer (re)agiert wie? Sprachliche Adressierungspraktiken am Berufskolleg Ziel dieses interdisziplinären, von der Sprachdidaktik Deutsch ausgehenden Beitrags ist die Auseinandersetzung mit unterrichtlichen (Re-)Adressierungspraktiken an Berufskollegs in Bezug auf sprachliche Aushandlungen, Anerkennungen und Machtverhältnisse (vgl. Kessl & Lorenz 2015). Der Beitrag analysiert hierzu Ausschnitte von entsprechender Lehrer:innen-Schüler:innen-Interaktion und arbeitet Machtverhältnisse und Hierarchien heraus, die oft unbewusst durch die Art und Weise der Ansprache (re)produziert werden (Günthner 2016; D’Avis & Meibauer 2013), denn: Macht wird in Institutionen wie der Schule häufig als neutral oder selbstverständlich wahrgenommen, ohne ihre Auswirkungen auf die Beziehung und das Wohlbefinden der Lernenden zu hinterfragen (Ricken/Rose/Kuhlmann & Otzen 2017). Rekonstruiert wird, wie die (Re-)Adressierungen zwischen Lehrkräften und ihren Schüler:innen sowohl die Lernkultur als auch ihre Beziehungen herstellt. Die dem Beitrag zugrundeliegenden Daten basieren auf einer Videographiestudie mit 4 Klassen und 13 Gruppendiskussionen in einem Berufskolleg, sowie der Befragung zweier Lehrkräfte, die verschriftlicht wurden und qualitativ-rekonstruktiv vsl. mit der Dokumentarischen Methode ausgewertet werden sollen. Vorgestellt werden konkrete Muster der Adressierung und deren Bedeutung für die Lehrer:innen-Schüler:innen-Interaktion. Ein besonderer Fokus liegt darauf, welche Relevanz Lehrpersonen der Beziehungsgestaltung beimessen und wie ihre Sicht(weise) auf Unterrichtskommunikation im Allgemeinen ist. Die Analyse der erhobenen Daten zeigt, wie Macht(verhältnisse) in der Kommunikation im alltäglichen routinisierten und impliziten Sprachgebrauch ausgehandelt und wirksam werden. Auf dieser Basis soll diskutiert werden, wie diese theoretisch zu deuten sind und welche Herausforderungen bestehen, diese zu reflektieren. „Das ist ja meist selten, dass wirklich ein Gespräch entsteht irgendwie“ – Rekonstruktionen von Schüler:innenperspektiven auf Sprache im Unterricht In diesem Beitrag wird die Bedeutung der Sprache und des Sprechens für die Gestaltung pädagogischer Beziehung aus Schüler:innenperspektive fokussiert. Ist im Allgemeinen der Diskurs zu den Schüler:innen als zentrale schulische Akteur*innen in der Schulpädagogik eher randständig (Bennewitz, de Boer & Thiersch 2022; Bennewitz & Meier 2024), liegen kaum Befunde zu Schüler:innenperspektiven auf Sprache und Sprechen im Unterricht vor. Auf Grundlage von narrativen Einzelinterviews und objektiv-hermeneutischen Rekonstruktion kommt die Wahrnehmung und Deutung des Sprachgebrauchs in den Blick. Theoretisch stützt sich das Projekt auf das Bourdieusche Konzept der (sprach-)kulturellen Passung. In der Analyse wird ersichtlich, wie unterschiedlich die Schüler:innen Sprache nutzen, um sich im Unterricht zu positionieren und sich somit auch in Beziehung zu ihren Lehrkräften und Peers zu setzen. Sprache erfüllt für die Schüler:innen beziehungslogisch dabei verschiedene Funktionen: 1. als Werkzeug zur Anpassung, um nicht aufzufallen und sich eine neutrale Beziehungsposition zu erarbeiten, 2. als Marktplatz im (sprachlichen) Wettbewerb (Distinktion), um sich in eine gute Position (z.B. für Leistungs- und Verhaltensbewertungen) zu sichern oder 3. auch als Medium von (De-)Integration, um überhaupt Beziehungen in der Schule einzugehen. Diese sind als Ausdruck der kulturellen Nähe und Distanz zur sprachlichen Anforderungsstruktur der Schule zu deuten. Es zeigt sich, dass Unterricht hohe sprachliche Anpassungsleistungen der Schüler:innen erfordert und keinen sicheren (Beziehungs-)Raum für sie schafft. Aus Schüler:innenperspektive fehlen dafür authentische, vertrauensvolle und verlässliche Gespräche. Zugleich erkennen sie in der Sprache einen Ort der Aushandlung ihrer (sprachlichen) Identität als Schüler:in in den Beziehungen zu Lehrkräften und Peers. Im Beitrag wird dieses strukturelle Spannungsfeld diskutiert und die damit verbundenen professionstheoretischen Fragen aufgeworfen. Entfremdet und Verdinglicht? Sprache und pädagogische Beziehungen im digital mediatisierten Unterricht Schule wurde bildungstheoretisch immer wieder als zentrale Institution gesellschaftlicher und subjektiver Entfremdung diskutiert, die auch in verdinglichten Materialisierungen des Unterrichtsalltags zum Ausdruck kommt (Adorno 1971, S. 82). Mit der Integration digitaler Technologien wird in kritischen Positionen erneut eine distanzierte Beziehungslosigkeit diagnostiziert, gerade auch vor dem Hintergrund fehlender sprachlicher Resonanzräume (Rosa & Endres 2016). Obwohl im Kontext des digitalisierten und individualisierten Unterrichts neue Muster und Modi des Sprechens und der Sprache in Schule und Unterricht hervorgebracht und etabliert werden, werden sie bislang kaum erforscht. In diesem Beitrag wird das Verhältnis von Sprache bzw. des Sprechens und pädagogischen Beziehungen im digitalen Wandel von Schule und Unterricht fokussiert. Auf der Grundlage objektiv-hermeneutischer Rekonstruktionen der (digitalen) Unterrichtsinteraktion und Gruppendiskussion sowie Interviews mit Lehrer:innen und Schüler:innen an Gesamt- und Oberschulen sowie einem Gymnasium kommt in den Blick, wie sich diese Relation angesichts des Wandels ausformt, was sich dabei ändert (z.B. in Begriffen wie Lernbüros oder -coachies oder in Adressierungen wie „Apples Up“ etc.), aber auch, was stabil bleibt. Entgegen den (Dauer-)Thesen einer Entfremdung und Verdinglichung der Beziehungen im Unterricht durch die digitalen und ökonomisierten Sprachreduktionen im Modernisierungsprozess zeigen unsere Analysen, dass sich grundlegende pädagogische Beziehungsmuster gerade darin reproduzieren und gesteigert zum Ausdruck kommen. Zugleich wird aber deutlich gemacht, wie sich der Sprachgebrauch insbesondere für die Lehrenden ändert und welche (professionellen) Anforderungen damit einhergehen. |
12:15 - 13:15 | P01: Mittagspause Ort: Foyer, EG 😋🍜 |
13:15 - 15:15 | EB-01: Pädagogische Beziehungen: die Sicht von Schüler:innen Ort: SR 2 = Raum 1111 Chair der Sitzung: Hedda Bennewitz, Uni Kassel |
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„Da is Frau Müller, unsere Mutter. Rette mich!“ – Schüler*innen-Perspektiven auf pädagogische Beziehungen aus ethnografischer Sicht Universität Kassel, Deutschland Pädagogische Beziehungen werden als zielgerichtete, generational geordnete und asymmetrische Arbeitsbeziehungen gefasst, die vorrangig aus der Perspektive von Lehrpersonen beschrieben und beforscht werden (Honig 1996, Fischer & Richey 2021, Heinzel 2022). Jüngst haben Kuhlmann & Ricken (2022) kritisiert, dass in der Schul- und Unterrichtsforschung die Wahrnehmung sozialer Realität von den Handlungen und Belangen der Erwachsenen und des pädagogischen Personals überlagert werde und Schüler*innen lediglich als subjektiviert, adressiert und positioniert wahrgenommen werden. Ihre Belange, Perspektiven und Praktiken bleiben oft marginal (Bennewitz 2023), dabei sind Schüler*innen aus praxistheoretischer Perspektive zentral an der Herstellung von Schule und Unterricht beteiligt (Breidenstein 2006). Die Grundlage unseres empirisch ausgerichteten Beitrags bilden Beobachtungen aus einer Abschlussklasse eines Hauptschulzweigs einer integrierten Gesamtschule, die im ethnografischen DFG-Projekt „Der Schüler*innenjob im Homeworkcycle“ entstanden sind. In unserem Beitrag folgen wir der Perspektive der Schüler*innen und gehen der Frage nach, wie sich Schüler*innen an der Hervorbringung pädagogischer Beziehungen beteiligen, anhand welcher Praktiken sie Beziehungen zu Lehrer*innen aufbauen, herstellen und gestalten. Durch diese Fokussierung wird die Eigenlogik des Handelns der Schüler*innen, ebenso wie ihre Verwobenheit mit den Aktivitäten von anderen Peers und Lehrpersonen sichtbar. In einer praxistheoretischen Perspektivierung (Rabenstein & Wagener-Böck 2022, Schatzki 2016) zeigt sich insbesondere, wie Nähe-, aber auch Distanz- und Ablehnungsverhältnisse hervorgebracht werden. „Und meine Lehrerin hat dann auch noch so gesagt . du kannst Trauer zeigen“ - Pädagogische Beziehungen unter den Bedingungen nicht-privilegierter, marginalisierter Schulkontexte Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU Halle), Deutschland Der Beitrag untersucht die Fragen, wie sich pädagogische Beziehungen zwischen Lehrer:innen und Schüler:innen in einem nicht-privilegierten, marginalisierten Schulkontext einer Förderschule gestalten und wie die Beziehungen von den Schüler:innen erfahren werden? Dabei interessiert auch, in welcher Rolle die Lehrpersonen und Schüler:innen konzipiert und mit welchen normativen Erwartungen adressiert werden? Diese Fragen werden auf der empirischen Grundlage biographisch-narrativer Interviews mit Schüler:innen mit einem zugeschriebenen sonderpädagogischen Förderschwerpunkt Lernen bearbeitet. Die Schüler:innen besuchten bis zur 8./9. Klasse eine Förderschule und sind zum Interviewzeitpunkt an eine Regelschule in Sachsen-Anhalt gewechselt. Die prozessanalytisch rekonstruierten (Schütze 2016), biographischen Erzählungen deuten auf eine durch emotionale Anerkennung gekennzeichnete, diffuse Beziehung zwischen den Lehrpersonen und Schüler:innen, die die Grundlage für die Auseinandersetzung mit schulischen Bildungsinhalten und Lernprozessen bildet. Die Ergebnisse schließen an das von Helsper (2019) beschriebene Arbeitsbündnis als personen- und näheorientierte Beziehung an im Kontrast zur stark sachorientierten Beziehung in gymnasialen Kontexten und weisen Gemeinsamkeiten mit den von Wigger (2009) skizzierten Arbeitsbündnissen in sozialpädagogischen Zwangsrahmungen auf. Mit dem Fokus auf Förderschulen und Schüler:innen, die im Zuge ihrer zugeschriebenen „Lernschwäche“ (zumindest) schuladministrativ als behindert adressiert werden, werden ein Bildungsort und eine Schüler:innengruppe untersucht, zu den sich in der Schul- und Schüler:innen- sowie Lehrer:innenbildungsforschung bislang ein Desiderat formulieren lässt (Schneider/Helsper 2022; Sturm 2022). Die Ergebnisse werden abschließend auf ihre Relevanz in Hinblick auf die Gestaltung pädagogischer Beziehungen in inklusiven Schulsettings diskutiert und welche professionalisierungsrelevanten Implikationen sich daraus ableiten lassen. Beziehungsqualität aus Lehrpersonen- und Schüler:innen-Sicht 1Pädagogische Hochschule Zürich, Schweiz; 2Pädagogische Hochschule Freiburg, Schweiz Die Beziehungsqualität zwischen Lehrpersonen (LP) und ihren Schülerinnen und Schülern (SuS) hat großen Einfluss auf ihre Entwicklung. Durch Beziehung kann die LP nicht nur auf die Entwicklung einzelner SuS, sondern auch auf das Klassenklima einwirken (Endedijk et al., 2022). Für SuS mit sonderpädagogischem Förderbedarf (SFB) ist die Beziehung zu den LP besonders wichtig (Sankalaite et al., 2021). In diesem Beitrag werden die Resultate aus qualitativen Interviews mit 93 LP der Schweizer Sekundarstufe I und 54 ihren SuS mit SFB vorgestellt, die ihre Sicht auf diese pädagogische Beziehung darlegen. Um die qualitativen Ergebnisse zu ergänzen, wurden diese mit quantitativen SuS-Daten trianguliert. Dabei wurden 807 SuS zur Beziehung zu ihrer LP mit dem Instrument der „Skala Beziehungsqualität“ (Pastore et al., 2024) befragt. Aus den Aussagen der SuS wurden drei Beziehungstypen (positiv, ambivalent und negativ) herausgearbeitet, die entsprechend die Qualität des schulischen Alltags dieser SuS bezüglich Leistung, Wohlbefinden und Klassenklima prägen. Bei der Gegenüberstellung mit der LP-Perspektiven fällt auf, dass die positiv-eingeschätzten LP (SuS-Fragebogendaten „Beziehungsqualität“, aggregiert auf Klassenebene, oberstes Quartil) sich um ein ruhiges und fokussiertes Klassenklima und um eine nicht-sanktionierende Fehlerkultur bemühen. Integration wird von diesen LP als positiv für das Klassenklima eingeschätzt, Ausgrenzungsprozesse als klimaverschlechternd. SuS mit SFB gehören für sie selbstverständlich dazu. Im Vergleich dazu sagen LP, deren SuS die Qualität der Beziehung als durchschnittlich bis tief einschätzten (unterstes Quartil), zwar auch, dass das Klassenklima für das Wohlbefinden und das Lernen wichtig sei, betrachten dieses aber als «Glückssache». Der Ausschluss von „störenden“ Jugendlichen wurde als notwendige Maßnahme genannt. Bei sehr großer curricularer Distanz wurde die Arbeit mit SuS mit SFB als schwierig bis unmöglich eingeschätzt. Beitrag wurde zurückgezogen! Interaktionen in pädagogischen Beziehungen: die Perspektiven von Viertklässler*innen 1Universität Münster, Deutschland; 2Universität Bielefeld, Deutschland Theoretischer Hintergrund Pädagogische Beziehungen sind u.a. entscheidend für Lernerfolg, Lernmotivation, Sozialverhalten, emotionales Wohlbefinden und Peer-Beziehungen (Endedijk et al., 2022; Hamre et al., 2013; Schübel & Winkelhofer, 2021). Die Lehrkraft-Schüler*innen-Beziehung ergeben sich aus regelmäßig stattfindenden Interaktionen von Lehrenden und Lernenden, die durch individuelle Merkmale der beteiligten Akteure und Umweltfaktoren bedingt werden (Leideig et al., 2021; Pianta, 1999; Spilles et al., 2024). Es lassen sich anerkennende (z.B. loben, Trost) und verletzende Interaktionsformen (z.B. schimpfen, ignorieren) finden (Winkelhofer & Prengel, 2018). Bisherige Befunde zeigen, dass nicht alle Schüler*innen dieselben Lehrkraftinteraktionen erleben (z.B. Huber, 2021; McGrath & Van Bergen, 2014; Schwab et al., 2022). Es fehlen empirische Befunde zur Perspektive der Schüler*innen auf die Interaktionsformen. Dieses Desiderat greift der vorliegende Beitrag auf. Fragestellung
Methode Die Perspektive der Schüler*innen auf die Interaktionsformen wurde anhand von Einzelinterviews untersucht. Befragt wurden N=21 Viertklässler*innen. Die Interviews wurden mithilfe der qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet (Kuckartz & Rädiker, 2024). Ergebnisse Erste inhaltliche Analysen zeigen, dass sich die Schüler*innen in ihren Definitionen ähneln, die Wahrnehmungen der Interaktionen sich jedoch unterscheiden. Im Vortrag werden die Ergebnisse vorgestellt und Implikationen für die schulische Praxis und Anschlussforschung diskutiert. |
13:15 - 15:15 | EB-07: Pädagogische Beziehungen zwischen Inklusion und Exklusion Ort: HS 3 = Raum 1135 Chair der Sitzung: Sven Thiersch, Uni Osnabrück |
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Die Gestaltung von pädagogischen Beziehungen zwischen Lehrkräften und Schüler*innen im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung, die als sog. Systemsprenger*innen gelten Universität Oldenburg, Deutschland In Bezug auf den Förderschwerpunkt geistige Entwicklung ist in den letzten Jahren eine veränderte Schüler*innenschaft beschrieben worden. Die Veränderungen wird durch das vermehrte und massive Auftreten von herausfordernden Verhaltensweisen gekennzeichnet (Dworschak et al., 2012; Franz, 2008; Klauß, 2012). Gleichzeitig hat in den allgemeinen Diskurs um herausfordernde Verhaltensweisen von Schüler*innen die Bezeichnung systemsprengendes Verhalten Einzug gehalten (Baumann, 2009, 2021). Gemeint ist damit nach Baumann (2021) ein Personenkreis von Kindern und Jugendlichen, die aufgrund massiver Verhaltensauffälligkeiten vermehrt Einrichtungswechsel und Beziehungsabbrüche erleben, welche die involvierten (Hilfe-)Systeme vor große Herausforderungen stellen. Das Dissertationsprojekt mit dem Arbeitstitel „Umgang von Lehrkräften mit sog. Systemprenger*innen im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung“ beschäftigt sich unter anderem mit folgender Fragestellung: Wie wird die Beziehung zum/zur Schüler*in von den Lehrkräften beschrieben und bewertet? Im Rahmen der Studie wurden problemzentrierte Interviews (Witzel & Reiter, 2022) mit Lehrkräften an Förderschulen mit dem Schwerpunkt geistige Entwicklung geführt, die ihre Schüler*innen als systemsprengend bezeichnen. Das qualitative Forschungsvorhaben wird nach den Grundsätzen der Grounded Theory von Strauß und Corbin (Strübing, 2014) ausgewertet. In diesem Vortrag werden erste Ergebnisse präsentiert, die die herausgearbeiteten Beziehungsdimensionen der Lehrkräfte in Bezug auf die Schüler*innenschaft darstellen. In den Ausführungen der Lehrkräfte wird deutlich, dass auch die Gestaltung eines tragfähigen Arbeitsbündnisses eine Herausforderung für sie darstellt (Helsper, 2023). Die in den Interviews von Lehrkräften geschilderten Fälle verweisen auf unterschiedliche Formen einer Nähe-Distanz-Antinomie und Herausforderungen die an das Arbeitsbündnis gestellt werden (Helsper, 2012). Jugendliche mit Beeinträchtigung erzählen über leistungsbezogene, pädagogische Beziehungen: Erkenntnisse und Ableitungen für die Professionalisierung von (angehenden) Lehrpersonen PH Karlsruhe, Deutschland Ausgehend von Erzählungen Jugendlicher mit Sehbeeinträchtigung soll die im Call aufgeworfenen Frage nach positiven bzw. problematischen Lehrer:innen-Schüler:innen-Interaktionen in inklusiven wie exklusiven Schulsettings bearbeitet werden. Konkret sollen in dem Beitrag anhand einzelner Interviewauszüge verschiedene leistungsbezogene Interaktionen nachgezeichnet sowie deren vulnerabilitäts- bzw. resilienzbezogene Wirkmächtigkeiten (Hirschberg/Valentin 2020; Fröhlich-Gildhoff/Rönnau-Böse 2022) vorgestellt werden, die in Verbindung mit Selbstwert und Selbstwirksamkeitsempfinden stehen. Die Auswertungen zeigen im Feld von unterrichtlichen Leistungszuschreibungen bzw. –absprachen nachhaltige schubiographische Auswirkungen. Ein Faktor dafür wird in unbewusstem ableistischen Denken seitens der Lehrpersonen gesehen (vgl. Hirschberg/Köbsell 2021: 135). Darauf aufbauend soll das Potenzial von Fallarbeit, welche auf gemachten Erfahrungen von Jugendlichen mit Beeinträchtigung im Kontext pädagogischer Beziehungen basiert, für die Aus- bzw. Weiterbildung von Lehrpersonen gezeigt werden (vgl. Buchner 2022a/b): Es können im handlungsentlasteten Raum verschiedene diversitätssensible Lesarten entwickelt werden, die zur Erweiterung der Handlungskompetenz von Lehrkräften beitragen, ohne eine ‚richtige‘, aber verschiedene ‚brauchbare‘ Lösungen aufzuzeigen (vgl. Schierz/Thiele 2002). Für den (inklusiven) Schulkontext können (angehende) Lehrpersonen von dieser Form der Professionalisierung profitieren (vgl. Reisenauer/Gerhartz-Teiter 2020), weil sie irritiert (vgl. Boger/Brinkmann 2021: 25) und dafür sensibilisiert werden, wie wirksam und Schüler*innen stärkend, prägend oder auch nachhaltig verletzend ihr (Beziehungs-)Handeln sein kann. Beziehungsgestaltung und Sozialraum? – Empirische Impulse und professionstheoretische Überlegungen MLU Halle, Deutschland Der Beitrag verfolgt die Frage, ob und inwiefern eine sozialräumliche Deutung und Wahrnehmung von Lehrkräften in der Beziehungsgestaltung mit der Klientel Bedeutung gewinnen. Als Ausgangspunkt werden die empirischen Analysen, denen ein praxeologischer Zugang zu Grunde liegt (Bohnsack 2020), aus dem Teilprojekt „NeOBI“ herangezogen, die deutlich machen, dass der Blick auf Kinder als Klientel pädagogischer Einrichtungen relational sehr eng mit der Wahrnehmung und den Vorstellungen zum lokalen Kontext (dem Sozialraum) verknüpft ist und damit auch Orientierungen zur eigenen pädagogischen Zuständigkeit und Beziehungsgestaltung verbunden sind. Man könnte davon sprechen, dass pädagogische Einrichtungen und Akteure über ihre Klientel (z. B. die Schülerschaft) i. d. R. naturwüchsig auch eine Vorstellung zum sozialökologischen Kontext ausbilden (müssen). So zeigt sich in unseren Analysen, die wir vorstellen möchten, dass ein sozialraumbezogener Blick einerseits eine wichtige Kontextualisierung der Beziehungsgestaltung ermöglicht, auf der anderen Seite aber auch mit Pauschalisierungen und Verkürzungen einhergehen kann. Es werden also Relationen des Sozialraumes zu pädagogischen Einrichtungen in je spezifischer Weise realisiert und damit auch (Bildungs-)Ungleichheiten (re-)produziert. Dazu werden neben den empirischen Anregungen aus unserem Teilprojekt auch thematisch anschließende Diskurse zur Professionalisierung beruflicher pädagogischer Akteure z. B. Sozialraumorientierung (Kessl und Reutlinger 2022) und Habitussensibilität (Sander 2014) aufgegriffen und auf professionstheoretische Argumentationen für das Lehrer:innenhandeln (Kramer und Fabel-Lamla 2024) Bezug genommen (Mußél und Kramer 2025). „Ich habe lieber ein paar hohle aber nette (Schüler*innen)“ - Widersprüche in Konstruktionen von Lehrpersonen mit Blick auf Schüler*innen, Eltern und pädagogischen Beziehungen Universität Duisburg-Essen, Deutschland Die Überzeugungen und Sichtweisen von Lehrpersonen in Bezug auf Schüler*innen und deren ethnische und kulturelle Vielfalt beeinflussen die Verhaltensweisen der Lehrpersonen und damit die Qualität und Ausprägung ihrer pädagogischen Beziehungen und Interaktionen innerhalb und außerhalb des Unterrichts (z.B. Gay, 2015, S. 126). Erste Untersuchungen in Deutschland verweisen auf die Gleichzeitigkeit von kulturresponsiven, kontextsensiblen und im Sinne von Chancengerechtigkeit zugewandten pädagogischen Haltungen einerseits, und defizitären, rassistischen und diskriminierenden Perspektiven auf dieselben Schüler*innen andererseits (Kehl et al., 2024). Dieser Widerspruch zwischen wohlwollender pädagogischer Absicht und der Abwertung jener Menschen, für die Gutes gewollt wird, verweist auf Fragen der Konstitution solcher Ambivalenzen, deren Folgen für die Qualität professionalisierten Handelns und pädagogischer Professionalisierung selbst. Auf der Grundlage phänomenologischer Einzel- und Gruppengespräche (Bevan, 2014; Kolbe, 2016, 2020) mit 74 Lehrkräften einer Gesamtschule in sozial benachteiligter Lage in NRW expliziert dieser Beitrag zunächst die widersprüchlichen Konstruktionen von Lehrpersonen mit Blick auf ihre Schüler*innen und deren Eltern. Die Analyse und Systematisierung aus der analytischen Perspektive von Kulturresponsivität als pädagogische Anerkennung von Vielfalt und ihres schulischen Wertes (z.B. Ialuna et al., 2024; Ladson-Billings, 2021; Gay, 2015) und von den fünf Domänen professionalisierten Handelns (Paseka et al., 2011, S. 28) zeigt, dass die Widersprüche in ihrer Erscheinung variabel und dennoch gleichbleibend problematisch sind, und mahnt zur zeitgemäßen Auseinandersetzung mit paternalistisch-diskriminierender Abwertung durch Lehrpersonen (Terhart, 2021). |
13:15 - 15:15 | Pädagogische Beziehungen im Schulsport – Begegnungen auf Augenhöhe? Ort: SR 3 = Raum 1112 Chair der Sitzung: Philipp Beck, Leibniz Universität Hannover Symposium |
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Pädagogische Beziehungen unter den spezifischen Bedingungen des Faches Sport in der Schule zu betrachten, ist in mehrerlei Hinsicht interessant: Zum einen findet der Sportunterricht unter anderen räumlichen, sozialen und organisatorischen Rahmenbedingungen statt als die anderen Schulfächer und zum anderen ist die Begegnung im Sport und die Beschäftigung mit Sport eine ganzheitliche und hoch emotional besetzte, was für die Beziehungsebene auch in pädagogischer Hinsicht von besonderer Relevanz ist. Die angemessene Gestaltung der pädagogischen Beziehungen durch die Lehrkräfte ist durch diese Fachspezifik besonders bedeutsam, da die ganzheitliche Involviertheit und körperliche Exponiertheit ausschlaggebend für das Wohlbefinden sowie die affektiv-motivationale Entwicklung der Schüler*innen (Lipowsky, 2009) ist. Diese wirkt sich – nicht nur im Sportunterricht – auch auf schulischen Lernerfolg aus (ebd.; Hattie, 2014). Anders als im Klassenunterricht finden vielfältige Bewegungs- und Interaktionsformen in unterschiedlichsten Anordnungen statt. Die typischen Handlungsformen, in denen (unbekannte) Bewegungsabläufen erprobt und demonstriert werden, Wettkämpfe stattfinden oder Bewertungen vorgenommen werden, finden immer unter der Bedingung der „körperlichen Exponiertheit“ (Miethling & Krieger, 2004) statt. Der Körper gerät in den Mittelpunkt des unterrichtlichen Interaktionsgeschehens, wird bisweilen sogar selbst zum Thema und ist von Mitschüler*innen sowie Lehrkräften direkt einsehbar. Auch Berührungen sind auf Grund der Spezifik des Faches keine Seltenheit (Weigelt, 2010) und stehen in direktem Zusammenhang mit dem Spannungsverhältnis von Nähe und Distanz (Helsper, 2004). Durch diese Umstände kann es schnell zu missachtenden, bloßstellenden und beschämenden Erfahrungen für die Schüler*innen kommen (Wiesche & Klingen, 2017; Wiesche, 2020). Studien legen jedoch auch nahe, dass die besondere Spezifik des Sportunterrichts nicht nur Missachtungserfahrungen, sondern gleichermaßen auch Anerkennungs- und Selbstwirksamkeitserfahrungen ermöglichen kann (Grimminger, 2012; 2013; Burrmann, 2016; Seyda, 2016; Grimminger-Seidensticker & Gieß-Stüber, 2023). Dies ist einerseits in dem direkten Erfahren von Erfolg resp. Misserfolg beim sportiven Handeln begründet; andererseits aber auch auf den Umstand der Andersartigkeit der Begegnungsmöglichkeiten der Schüler*innen untereinander, aber auch zwischen der Lehrperson und den Schüler*innen (s.u.) zurückzuführen. Denn gerade der Sport(unterricht) bietet besondere Potentiale für Begegnungen auf Augenhöhe zwischen Lehrperson und Schüler*innen. Derartige Begegnungen auf Augenhöhe werden häufig als notwendige Bedingung für gelingende Beziehungen genannt (u. a. Korpiun, 2022). Der Begriff bis heute jedoch kaum gefasst, sodass sowohl eine theoretische als auch eine empirische Annäherung notwendig erscheinen. Korpiun (2022, S. 321) beschreibt Augenhöhe „als Ausdruck von Ebenbürtigkeit“ und bezieht sich dabei auf die anthropologische Festlegung, dass alle Menschen gleich sind und sich niemand über andere erhebt. Im pädagogischen Kontext findet sich diese Perspektive in der „Pädagogik der Vielfalt“ (Prengel, 1993; 2006) wieder, welche die Gleichheit aller Menschen als einen zentralen Aspekt darstellt. Diese Idee kollidiert jedoch auf struktureller Ebene mit den schulischen Rahmenbedingungen für die Beziehungsgestaltung zwischen Lehrkräften und Schüler*innen, da dort Hierarchien und Abhängigkeiten bestehen. Bressler (2023) verweist auf die Wissens- und Machthierarchien als konstitutive Bedingungen der Lehrer*innen-Schüler*innen-Beziehung. Im Sportunterricht ist dieser Umstand jedoch nicht so absolut zu sehen, da einzelne Schüler*innen oftmals große sportspezifische Expertise durch ihre außerschulischen Vorerfahrungen mitbringen. Ebenso kann durch Alterungsprozesse der Lehrkraft eine unausweichliche Umkehr der sportiven Handlungsmöglichkeiten zwischen ihr und den Schüler*innen entstehen (Miethling, 2001). Diesen fachspezifisch konstitutiven Bedingungen wird auch auf fachdidaktischer Ebene seit jeher Rechnung getragen, wie sich exemplarisch für den umfassenden Diskurs zu diesem Aspekt im Konzept „Schüler als Experten“ (Gebken & Kuhlmann, 2013) durch den produktiven Umgang mit dieser Verschiebung aufzeigen lässt, indem Schüler*innen eine „Quasi-Lehrerposition“ (Weigelt, 2017) einnehmen und einzelne Aspekte des Unterrichts (mit-)übernehmen. Aus diesen fachspezifischen Merkmalen ergeben sich besondere Potentiale einer Begegnung auf Augenhöhe, da sich die beteiligten Akteur*innen hier unabhängig von ihrer institutionellen Rolle „in ihrem Fundament, im gegenseitigen Austausch (...) symmetrisch“ verhalten (Scherzinger & Wettstein, 2022), obgleich Kowalski (2020) betont, dass eine tatsächliche Begegnung auf Augenhöhe zwischen Lehrenden und Lernenden unmöglich erscheint, da die Hierarchien nicht völlig auflösbar sind. Im Rahmen des Symposiums werden vor dem Hintergrund dieser Überlegungen exemplarische Ergebnisse dreier qualitativer Interviewstudien vorgestellt, welche sich pädagogischen Beziehungen im Schulsport mit unterschiedlichen Theoriefolien annähern und Begegnungen auf Augenhöhe im Schulsport empirisch rekonstruieren. Es werden dabei die Perspektiven von Schüler*innen, Lehramtsstudierenden mit dem Fach Sport und erfahrenen Sportlehrkräften im Hinblick auf die Beziehungsgestaltung eingenommen, so dass ein mulitperspektivischer Einblick dargelegt wird. Beiträge des Symposiums „ich finde es halt auch eine wertschätzung, weil die nicht einfach nur eine zahl hinschreiben“ – Pädagogische Beziehung und Leistungsbewertung im Sportunterricht der Laborschule Bielefeld In inklusiven Lernsettings gewinnt die Anerkennung individueller Leistungen zunehmend an Bedeutung für die Etablierung gelungener pädagogischer Beziehungen (Prengel, 2019). Lehrkräfte stehen jedoch vor der Herausforderung, Leistungen aufgrund der früh einsetzenden meritokratischen Logik im deutschen Bildungssystem standardisiert zu bewerten, um Selektionsentscheidungen zu legitimieren (Thurn, 2017). Die daraus resultierenden hierarchisierenden Wirkungen beeinflussen einerseits die pädagogischen Beziehungen und konterkarieren andererseits ganzheitliche Bildungsprozesse im Sportunterricht (Feth, 2023). Die Laborschule Bielefeld stellt die individuelle Förderung aller Schüler*innen ins Zentrum ihres Leitbildes und hat dafür veränderte institutionelle Bedingungen geschaffen (u. a. Reduktion von Übergängen, Verzicht auf Ziffernzeugnisse). Auf dieser Grundlage soll im Vortrag der Frage nachgegangen werden, welche Möglichkeiten die veränderten institutionellen Rahmenbedingungen für die Gestaltung pädagogischer Beziehungen im Sportunterricht bieten. Um dieser Frage nachzugehen, wurden Interviews sowohl mit Sportlehrkräften als auch Schüler*innen der Laborschule Bielefeld geführt. Anhand erster Ergebnisse der an den Grundsätzen der Grounded Theory Methodologie (Strauss & Corbin, 1996) orientierten Studie lässt sich rekonstruieren, dass im Sportunterricht der Laborschule Bielefeld ganzheitliche Lern- und Leistungsprozesse individualisiert sowie im Dialog mit den Schüler*innen angebahnt und begleitet werden. Innerhalb dieser Prozesse fühlen sich die Schüler*innen wertgeschätzt und auf Augenhöhe behandelt, woraus sich Implikationen für gelungene Lehrenden-Lernenden-Beziehungen ableiten lassen. Literatur Feth, C. (2023). Wie benoten Lehrkräfte die Leistungen ihrer Schüler*innen im Sportunter-richt? In D. Wiesche, & N. Gissel (Hrsg.), Leistung aus sportpädagogischer Perspektive (S. 279–302). Springer VS. Prengel, A. (2019). Pädagogische Beziehungen zwischen Anerkennung, Verletzung und Ambivalenz (2., überarbeitete und erweiterte Auflage). Barbara Budrich. Strauss, A. L., & Corbin, J. M. (1996). Grounded theory: Grundlagen qualitativer Sozialforschung. Beltz. Thurn, S. (2017). Leistungsbewertung und Vielfalt oder: Umgang mit den Widersprüchen des Systems. Pädagogik (9), 6-9. Biographisches Wissen von Lehrkräften als Ressource für die Beziehungsgestaltung im Sportunterricht Sportlehrkräfte müssen in ihrem unterrichtlichen Alltag die Beziehungen zu ihren Schüler*innen vor dem Hintergrund der o.g. fachspezifischen Besonderheiten gestalten. Dabei stellt aus strukturtheoretischer Perspektive insbesondere der Umgang mit der Antinomie Nähe vs. Distanz (Helsper, 2004) eine große Herausforderung dar, die in diesem Promotionsprojekt fokussiert wird. Sportlehrkräfte müssen das Verhältnis von Nähe und Distanz zu den Schüler*innen so austarieren, dass persönliche Beziehungen entstehen können, ohne jedoch Grenzen zu überschreiten. Diese Thematik ist trotz ihrer zentralen Bedeutung im Professionalisierungsprozess ein stark vernachlässigter Aspekt (Diketmüller & Murhammer, 2001; Volkmann, 2018), dessen Bearbeitung und Ausgestaltung somit den Sportlehrkräften selbst überlassen bleibt. In diesem Promotionsprojekt werden daher die Fragen gestellt, wie und auf welcher Grundlage Sportlehrkräfte die Beziehungen zu ihren Schüler*innen im Sportunterricht gestalten. Zur Beantwortung dieser Forschungsfragen wurden episodische Interviews mit Sportlehrkräften mit unterschiedlich langer Berufserfahrung geführt. Der Forschungsprozess wie auch die Wahl der Interviewpartner*innen orientiert sich an den Prinzipien der Grounded Theory Methodology (Glaser & Strauss, 1998). Im Vortrag werden ausgewählte Ergebnisse präsentiert, die darauf verweisen, dass für die Sportlehrkräfte das Konzept der Augenhöhe große Relevanz hat. Darüber hinaus lässt sich rekonstruieren, dass die Sportlehrkräfte bei der Beziehungsgestaltung ganz zentral auf biographisch erworbenes Wissen zurückgreifen. Dieses Wissen umfasst u.a. die Aspekte von elterlichen und kulturellen Erfahrungen. Literatur Diketmüller, R. & Murhammer, R. (2001). Beziehung – eine vernachlässigte Dimension in universitären Ausbildungsprogrammen? Bildung und Bewegung: Jahrestagung der dvs-Sektion Sportpädagogik vom 22.-24.06.2000 in Frankfurt/Main, S. 185-190. Glaser, B. G., & Strauss, A. L. (1998). Grounded Theory. Strategien qualitativer Forschung. Hans Huber. Helsper, W. (2004). Pädagogisches Handeln in den Antinomien der Moderne. In H.-H. Krüger & W. Helsper (Hrsg.), Einführung in die Grundbegriffe und Grundfragen der Erziehungswissenschaft (6. überarbeitete und aktualisierte Aufl., S.15-34). Verlag für Sozialwissenschaften. Volkmann, V. (2018). Beziehungsweise ... Empathie als sportpädagogische Kategorie. Sportwissenschaft in pädagogischem Interesse: 30. Jahrestagung der dvs-Sektion Sportpädagogik vom 15.-17. Juni 2017 in Hannover, S. 25-35. „Jetzt sehe ich den Hintergrund, warum die Schüler das machen. Und wenn nicht, frage ich.“ – Erfahrungsbezogene Professionalisierung von Sportstudierenden für die Gestaltung pädagogischer Beziehungen auf Augenhöhe In der Professionalisierung von Sportlehrkräften wird der für schulisches Handeln fundamen-tale Aspekt der pädagogischen Beziehungsgestaltung nach wie vor wenig bis gar nicht aufgegriffen (Diketmüller & Murhammer, 2001; Grimminger-Seidensticker & Gieß-Stüber, 2023). Gerade die Entwicklung hin zu einer stärkeren Integration reflektierter schulpraktischer und erfahrungsorientierter Phasen in das Studium wie sie durch die „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ angebahnt wurden, bietet hierfür konstruktive Anschlussmöglichkeiten. In einem Projekt, das durch die Verknüpfung von individueller Lernförderung und Sport an Schulen u. a. auch der Bildungsintegration von sozial benachteiligten Kindern dient, erhalten Sportstudierende die Gelegenheit, Fremdverstehen und Perspektivenübernahmefähigkeit als Grundvoraussetzung für sozialintegrative Beziehungsgestaltung theoretisch zu erarbeitet, in den wöchentlichen Praxiseinheiten an den Schulen in konkretes Handeln zu überführen und angeleitet durch die Dozierenden zu reflektieren. Die Erfahrungen der teilnehmenden Studierenden wurden mittels qualitativer leitfadengestützter Interviews erhoben und unter Verwendung des Kodierparadigmas der Grounded Theory Methodologie ausgewertet. In den Ergebnissen zeigt sich, dass die Studierenden in mehrerlei Hinsicht einen Perspektivwechsel vollzogen haben. So hat sich ihr Verständnis von einer gelungenen pädagogischen Beziehung ebenso verändert, wie auch ihre Sichtweise auf die Institution Schule und ihre Rahmenbedingungen. Im Vortrag wird insbesondere auf die Transformation des Beziehungsverständnisses der Studierenden eingegangen, welches als Verschiebung auf dem Kontinuum der Antinomie von Nähe und Distanz (Helsper, 2004) rekonstruiert werden konnte. Literatur Diketmüller, R., & Murhammer, R. (2001). Beziehung - eine vernachlässigte Dimension in universitären Ausbildungsprogrammen? In R. Prohl (Hrsg.), Bildung und Bewegung; Jahrestagung der dvs-Sektion Sportpädagogik vom 22.-24.6.2000 in Frankfurt/Main (S. 185-190). Czwalina. Grimminger-Seidensticker, E., & Gieß-Stüber, P. (2023). Abwertung und Ausgrenzung vermeiden – pädagogische und didaktische Überlegungen zur anerkennungsförderlichen Gestaltung von Sportangeboten im Kindes- und Jugendalter. In P. Gieß-Stüber, & B. Tausch (Hrsg.), Gesellschaftlicher Zusammenhalt im und durch Sport: Bildung für Vielfalt und Nachhaltige Entwicklung (S. 131-148). Springer VS. Helsper, W. (2004). Antinomien, Widersprüche, Paradoxien: Lehrerarbeit - Ein unmögliches Geschäft? Eine strukturtheoretisch-rekonstruktive Perspektive auf das Lehrerhandeln. In B. Koch-Priewe, F.-U. Kolbe, & J. Wildt (Hrsg.), Grundlagenforschung und mikrodidaktische Reformansätze zur Lehrerbildung (S. 49–99). Klinkhardt. |
15:15 - 15:45 | P02: Kaffeepause Ort: Foyer, EG 😋🍰 |
15:45 - 17:45 | Autorität und Disziplin in pädagogischen Beziehungen Ort: HS 3 = Raum 1135 Chair der Sitzung: Sophia Richter, Pädagogische Hochschule Vorarlberg Symposium |
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Der Markt an Ratgebern, die sich an Pädagog*innen und Lehrkräfte richten und die Themen Disziplin und Autorität zum Gegenstand haben, ist groß (Merl/Richter 2025, i.E.): „‚Neue Autorität‘ in der Schule: Präsenz und Beziehung im Schulalltag“ (Lemme/Körner 2022), „Gute Autorität. Grundsätze einer zeitgemäßen Erziehung“ (Bergmann 2009), „Disziplin im Unterricht: auf dem Weg zu einer zeitgemäßen Autorität“ (Becker 2009), „Disziplin im Klassenzimmer. Bewährtes und Neues“ (Krowatschek/Krowatschek/Wingert 2015) sind einige der Titel. Sowohl in den Ratgebern als auch in der erziehungswissenschaftlichen Reflexion gelten Autorität und Disziplin als konstitutive Momente pädagogischer Beziehungen. Allerdings gelten sie in den Ratgebern als reformbedürftig, weil sie nicht (mehr) per se Legitimität beanspruchen können. Folgt man den Ratgebern, bedarf es einer spezifischen „neuen“ Disziplin sowie einer spezifischen „guten“ bzw. „zeitgemäßen“ Autorität. Diese Formulierungen verwiesen auf einen historischen Wandel sowie auf einen spannungsvollen Diskurs um die Herstellung bzw. die Forderung von Disziplin und Autorität in pädagogischen Beziehungen (Richter 2024). Als Normen pädagogischen Handelns gelten heute symmetrische, positive, dialogische, angstfreie etc. pädagogische Beziehungen zwischen Lehrkräften und Schüler*innen, die durch Wertschätzung, Vertrauen und Verständnis gekennzeichnet sind (Prengel 2024). Das Symposium setzt an dieser Norm einer möglichst symmetrischen Beziehung an, die für die Pädagogik einen unhintergehbaren Widerspruch bedeutet. Denn pädagogisches Handeln ist konstitutiv asymmetrisch, da die beiden Positionen Erzieher:in und Zögling nicht austauschbar sind; es bestehen ungleiche Handlungsspielräume, ungleiche Verantwortung und ungleiche Abhängigkeiten (Foray 2019). Ihre legitimatorische Grundlage hat die asymmetrische Beziehung „im erzieherischen Verhältnis – nebst der Schutzbedürftigkeit des Kindes – zuallererst darin, dass die eine Seite mit der Welt der Menschen und ihrer raumzeitspezifischen Kultur vertraut ist und die andere (noch) nicht“ (Reichenbach 2000: 796). Der Beziehungswiderspruch von Symmetrie (Norm) und Asymmetrie (Notwendigkeit) fordert im Sprechen über Disziplin und Autorität dazu auf, sich auf der ‚richtigen‘ Seite zu positionieren und von der ‚falschen‘ Seite abzugrenzen. Was sich darin ausdrückt, ist die Legitimationsbedürftigkeit von Autorität und Disziplin in pädagogischen Beziehungen. Zugleich produzieren diese Legitimationen und Abgrenzungen neue pädagogisch anerkannte Formen der Herstellung von Autorität und Disziplin. Ein gegenwärtiger exemplarischer Ausdruck, mit dem Widerspruch symmetrischer pädagogischer Beziehungen umzugehen, ist, „die im Führungsbereich immer nötigen Dominanzmanöver mit so subtil wie nötigen Kommunikationsformen und Sprechakten zu kaschieren, dass die mehr oder weniger offensichtlichen Unterwerfungsleistungen für jene, die sie zu zeigen haben (meinen), akzeptierbar sind“ (Reichenbach 2007: 651). Das Symposium betrachtet diese Spannung der symmetrischen Beziehungsnorm bei gleichzeitig unhintergehbarer Asymmetrie mit Fokus auf Autorität und Disziplin in der Schule. Es nimmt die damit einhergehenden schulpädagogischen Effekte anhand empirischer Befunde aus drei Forschungsprojekten in den Blick. Folgende Fragestellungen stehen dabei im Zentrum: Wie werden heute die Erreichung von Disziplin und die Forderung von Autorität in pädagogischen Beziehungen legitimiert? Welche Modi der Hervorbringung von Disziplin und Autorität lassen sich im Schulunterricht beobachten? Inwiefern sind sie als Lösung für den aufgezeigten Widerspruch einer zugleich a/symmetrischen Beziehung zu verstehen? Die drei Forschungsprojekte, deren Ergebnisse im Symposium vorgestellt werden, sind diskursanalytisch und ethnographisch ausgerichtet. Beobachtet werden die folgenden schulischen Felder: Hauptschule, Gymnasium und Ratgeber für die schulische Praxis. Für eine übergreifende Diskussion und machttheoretische Reflexion der Beiträge ist Dr. Thorsten Hertel (Universität Duisburg-Essen) angefragt. Beiträge des Symposiums Autorität und Disziplin im Kontext pädagogischer Beziehungen. Transformationen und ihre Folgen für die Profession Disziplinierung, Strafen, autoritäre Erziehung sowie das Einfordern von Unterwerfung und Gehorsam lassen sich heute kaum noch (pädagogisch) legitimieren. Sie gelten als unpädagogisch, die pädagogische Beziehungen gefährdend und sind negativ konnotiert – teilweise werden sie mittlerweile auch staatlich sanktioniert, wie z.B. körperliche Züchtigungen. Zugleich werden aber die Zustände Disziplin und anerkannte Autorität zumeist als erstrebenswerte und wichtige Zustände erachtet. Sie werden als Voraussetzungen pädagogischen Handelns eingefordert und positiv bewertet. Daraus folgt – so der Ausgangspunkt unserer Studie – eine eingeschränkte pädagogische Autorisierung: Ein pädagogischer Zustand soll sein, aber die traditionellen Wege dorthin gelten als illegitim. Pädagog:innen sind nur noch bedingt legitimiert, herzustellen, was als Bedingung der Möglichkeit ihres Handelns gilt. Diese Leerstelle der Autorisierung erzieherischen Handelns untersuchten wir im Rahmen einer diskursanalytischen Studie. Hierfür rekonstruieren wir Erziehungsratgeber entlang folgender Fragen: Wie wird die mangelnde pädagogische Autorisierung mittels verschiedenster Programme, Ansätze und Maßnahmen substituiert? Welche übergeordneten Strategien der (pädagogischen) Autorisierung lassen sich darin ausmachen? Welche Effekte haben die ‚neuen Autorisierungsstrategien‘ der Erreichung von Disziplin und Autorität für die Profession? Der Vortrag präsentiert die zentralen Ergebnisse der Studie unter Fokussierung der Effekte auf pädagogischen Beziehungen. (De-)Stabilisierungen pädagogischer Autorität am Beispiel ironischer Disziplinierungen Disziplinierungen im Unterricht genießen keinen guten Ruf. Vielmehr stehen sie unter dem Verdacht auf „äußere[n] Zwang“ zu setzen, wohingegen aus pädagogischer Perspektive „die Befähigung zur Selbstführung“ das Ziel jedes pädagogischen Handelns sein sollte (Langer/Richter 2015: 216). Schaut man in pädagogische Ratgeberliteratur, wirken sie sich negativ auf das Arbeitsbündnis zwischen Lehrpersonen und Schüler*innen sowie auf die pädagogische Beziehung aus (u.a. Klieme 2006). Auch wenn Disziplinierungen programmatisch delegitimiert sind, sind sie im schulischen Alltag omnipräsent und damit empirisch bedeutsam, gerade im Hinblick auf die Reproduktion sozialer Ungleichheit (Wolter 2016). Aus einer subjektivierungs- und anerkennungstheoretischen Forschungsperspektive fragen wir nach den subjektivierenden Logiken und Effekten disziplinierender Praktiken im situativen Vollzug (vgl. Kuhlmann/Otzen 2023). Dabei setzen wir an der Beobachtung an, dass neben klassenöffentlichen Ermahnungen und moralisierenden Ansprachen, viele Disziplinierungen in einem ironischen Modus vollzogen werden. So gehört bspw. der Tadel durch Lob sowie mehr- bzw. uneindeutige Disziplinierungsformate zum schulischen Alltag (vgl. Otzen 2023). Im Rahmen des Vortrags untersuchen wir die Performativität solcher Disziplinierungspraktiken anhand einer transkribierten Unterrichtssequenz aus dem Deutschunterricht am Gymnasium. Indem wir herausarbeiten, welche Normhorizonte und welche Positionierungsweisen in diesen Akten angespielt und hervorgebracht werden, zeigen wir auf, wie diese mehrdeutigen Adressierungen disziplinieren und dabei zugleich die Stabilität und Fragilität pädagogischer Autorität sichtbar werden lassen. Komplexe Körperlichkeit – zu einer zentralen Dimension pädagogischer Beziehungen in der Schule Dazu, dass Disziplinierung am Körper ansetzt, gibt es bereits seit langem erziehungswissenschaftliche Einsichten. Auch rückt Körperlichkeit im Rahmen der Ausgestaltung von Nähe und Distanz in pädagogischen Beziehungen hin und wieder problematisierend in den erziehungswissenschaftlichen Fokus. Darüber hinaus wird Körperlichkeit jedoch nach wie vor gerne vernachlässigt. Wie sich soziale Positionierungen und die Art und Weise der Gestaltung pädagogischer Beziehungen abhängig von alters-, klassen- und genderbezogenen Adressierungen körperlich gestalten sowie Wahrnehmungen und Interpretationen durch diskursive Transformationen verändern, wird selten betrachtet. Welche Aufmerksamkeit wird dem Körper von Schüler:innen und Lehrkräften im Rahmen schulischer Disziplinierung und Beziehungsgestaltung entgegengebracht? Welche Vorstellungen von Lehr- und Lernkörpern gehen in pädagogische Beziehungsgestaltungen ein? Welche sozialen Positionierungen und ggf. nicht antizipierten Effekte sind mit welchen Praktiken und sie durchziehenden Diskursen verbunden? Am Beispiel von Ergebnissen einer ethnographischen Studie in einer 7. Klasse einer Hauptschule (Langer 2008) sollen diese Fragen auf das Thema des Symposions bezogen und weiter ausbuchstabiert werden. |
15:45 - 17:45 | EB-05: Pädagogische Beziehungen: Gestaltung von Lernumgebungen Ort: SR 4 = Raum 1117 Chair der Sitzung: Natalie Fischer, Universität Kassel |
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Partizipation als Qualitätsdimension in pädagogischen Beziehungen an Ganztagsgrundschulen Universität Hildesheim, Deutschland In institutionellen Bildungsarrangements ist Partizipation von Heranwachsenden seit Jahren gesellschaftspolitisches Ziel, wobei sich der Fokus zunehmend auf die Grundschule richtet (Billis 2020). Denn in der Grundschule als einer zentralen Sozialisationsinstanz, die formal alle Kinder erreicht, können diese bereits frühzeitig an Formen der Beteiligung herangeführt werden (Reisenauer 2020). Vor allem von Ganztagsgrundschulen wird erwartet, Lebens- und Erfahrungsräume zu bieten, in denen Lehr- und Fachkräfte pädagogische Beziehungen multiprofessionell so gestalten, dass sie Möglichkeiten zur Teilhabe und Partizipation bieten (Fischer & Kielblock 2021; Fabel-Lamla 2024) und darüber eine partizipativ-demokratische Ganztagsschul- und Lernkultur entwickelt werden kann (Georgi 2006). Positive pädagogische Beziehungsgestaltung wird insofern mit der Ermöglichung partizipativ-ausgerichteter Bildungsangebote und Betreuungsarrangements verknüpft. Kritisch ist vor diesem Hintergrund zu fragen, inwieweit normative Setzungen von Partizipation die asymmetrischen Generationenbeziehungen innerhalb pädagogischer Beziehungen verschleiern (Jergus 2020). Der Beitrag bietet erste Einblicke in ein aktuell laufendes Forschungsprojekt, das sich der Qualitätsentwicklung von Ganztagsgrundschulen widmet, die einen Zertifizierungsprozess als Kinderrechteschule durchlaufen haben. Dazu finden an sechs Standorten einwöchige Feldaufenthalte statt, ergänzt um Dokumentenanalysen, Interviews, Fokusgruppengespräche und die PhotoVoice-Methode. Anhand von Dokumentenanalysen und Interviews werden im Projekt programmatische Entwürfe pädagogischer Beziehungen und mit Hilfe der aus den Beobachtungen entstehenden narrativen Beobachtungsprotokolle (Cloos 2010) Praktiken der Beziehungsarbeit rekonstruiert. Analysiert wird, wie sich Partizipation in den pädagogischen Beziehungen vor dem Hintergrund der in ihnen eingelagerten Machtasymmetrien realisiert. Beziehung als interaktive Praxis 1Universität Koblenz, Deutschland; 2Universität Erfurt, Deutschland Gespräche haben eine hohe Relevanz für die alltägliche Unterrichtspraxis. Das Zusammenwirken des sprachlichen Handelns der Lehrkräfte und die Äußerungsqualität der Schüler*innenbeiträge wird zunehmend als Ko-Konstruktion gesehen (de Boer 2024). Untersuchungen, die sich mit der Struktur unterrichtlicher Gespräche beschäftigen, zeigen eindrücklich, dass Bewertungen in jede kommunikative Unterrichtsstruktur eingelagert sind (Meister/Hollstein 2018). Die 3-schrittige Kernstruktur, bestehend aus Eröffnung (Initiation), Schüler*innenantwort (Reply) und Rückmeldung (Evaluation) (z.B. Mehan 1979)), endet in der Regel mit einer bewertenden Rückmeldung. Internationale Studien haben in diesem Kontext dialogische Gesprächshandlungen untersucht, die die sequentielle Ordnung der Unterrichtskommunikation aufbrechen. Konsens besteht darüber, dass dialogisch ausgerichtete Gespräche ein besonderes Potenzial für fachliche und überfachliche Bildungsziele aufweisen und zu sozialer Kohäsion und Beziehungsbildung beitragen können (z. B. Mercer et al. 2020). Vor diesem Hintergrund stehen folgende Fragen im Zentrum dieses Vortrages:
Wie bereits Studierende durch gezielte Veränderung ihrer Handlungen dialogische Gespräche interaktiv hervorbringen können, wurde in einem kooperativen Lehrforschungsprojekt an der Universität Koblenz und der PH Ludwigsburg untersucht. Entstanden ist ein Korpus aus 40 Gesprächstranskripten, die sequenzanalytisch untersucht werden. An einem Fallspiel wird expliziert, wie das klassische I-R-E Gesprächsmuster aufgebrochen wird, sich z.B. in Praktiken der Anschlussnahme, der Ko-Konstruktion und der kollektiven Argumentationen zeigt und dabei zur interaktiven Herstellung von Beziehung im Gespräch beiträgt. Beitrag wurde zurückgezogen! Vertrauen in pädagogischen Beziehungen – Eine qualitative Untersuchung von Interaktionen zwischen Lehrpersonen und Schüler:innen im Rahmen offenen Unterrichts Universität Hamburg, Deutschland Vertrauen ist eine grundlegende Voraussetzung für unser alltägliches Handeln (Endreß 2002). Dabei beeinflusst interpersonales Vertrauen, wie Menschen einander gegenübertreten. Dies gilt auch für Interaktionen zwischen Lehrkräften und Schüler:innen und ist damit folgenreich für deren pädagogische Beziehung (Schweer et al. 2021; Thies 2014). Vertrauen in der Lehrer:innen-Schüler:innen-Beziehung war bislang kaum Gegenstand empirischer Forschung. Ein Desiderat zeigt sich insbesondere hinsichtlich des Vertrauens im Kontext konkreter Interaktionen, die im (offenen) Unterricht ablaufen. Die in diesem Beitrag vorgestellte Studie untersucht Vertrauen in der Beziehung zwischen Lehrkräften und Schüler:innen dyadisch und unter Bedingungen offenen Unterrichts an zwei Sekundarschulen. Die theoretische Grundlage bildet die differentielle Vertrauenstheorie (Schweer 1997). Ziel ist es, herauszufinden, welche Vertrauenshandlungen sich in welcher Weise in der Interaktion zwischen Lehrperson und Schüler:in zeigen. Außerdem wird der Frage nachgegangen, wie die Vertrauenswürdigkeit des jeweiligen Gegenübers wahrgenommen wird. Um Vertrauenshandlungen zu untersuchen, wurden insgesamt acht individuelle Lerngespräche zwischen Lehrpersonen und Schüler:innen audiographiert. Zudem wurden – jeweils nach dem Gespräch – mit beiden am Lerngespräch beteiligten Personen Einzelinterviews geführt (insgesamt 16), die sowohl Vertrauenshandlungen als auch die Vertrauenswürdigkeit fokussierten. Der Beitrag präsentiert erste Ergebnisse der genannten Studie. Ausgehend von einer Gesprächsanalyse (Selting 2008) soll am Beispiel ausgewählter Dyaden aufgezeigt werden, welche Vertrauenshandlungen sich in den untersuchten Lerngesprächen zeigen. Diskutiert werden die Ergebnisse im Hinblick auf die Bedeutung von Vertrauen in pädagogischen Beziehungen im Allgemeinen und der Interaktion im offenen Unterricht im Besonderen. Wenn Algorithmen lehren: Digitale Steuerung und die Neugestaltung pädagogischer Beziehungen Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Deutschland Lernsysteme (vgl. Gao et al. 2020) übernehmen zunehmend pädagogische Funktionen im Unterricht, indem sie Lernprozesse steuern, Inhalte vermitteln und Rückmeldungen geben (Mayer & Jornitz 2022). Dieser Wandel verändert Unterricht als strukturierten Prozess (Gruschka 2013; Pollmanns 2019) grundlegend, da Rollen und Verantwortlichkeiten zwischen Lehrkräften und Schüler*innen neu verteilt und technikzentrierten Prozessen untergeordnet werden (Jornitz & Mayer 2024). Aus fünf Unterrichtstranskripten einer Mathematik-Doppelstunde wird eine ausgewählte Sequenz genutzt, um Ergebnisse einer objektiv hermeneutischen Analyse (Oevermann 1996) zu veranschaulichen. Die Transkripte dokumentieren Interaktionen zwischen Schüler*innen, der Lehrkraft und der Lernplattform realmath.de, auf der in Tandems digitale Übungsaufgaben bearbeitet werden. Die Ergebnisse zeigen drei zentrale Aspekte der Transformation: (1) Steuerungs- und Rückmeldeaufgaben werden an die Software delegiert, was die Rolle der Lehrkraft einschränkt und Inhalte von Technik entkoppelt; (2) in den Tandems entstehen Abhängigkeitsverhältnisse durch ungleiches technisches und wahrgenommenes inhaltliches Wissen. Diese Verhältnisse können sowohl einseitig als auch wechselseitig sein und beeinflussen die Kooperation sowie die Rollenverteilung der Schülerinnen; (3) Verantwortung und Reflexion werden zunehmend ausgelagert, wodurch nicht zuletzt die Eigenständigkeit der Schülerinnen eingeschränkt wird. Die Software wird zu einer Instanz, die Handlungsspielräume einschränkt und Lehrkräfte vor neue Herausforderungen stellt (vgl. Macgilchrist et al. 2023). Gleichzeitig werden Reflexionsprozesse auf technokratische Aspekte reduziert, was die Tiefe pädagogischer Auseinandersetzungen begrenzt (Pollmanns et al. 2022). Die Ergebnisse zeigen, dass pädagogische Professionalität und Reflexion in technikgestützten Szenarien neu gedacht werden müssen. Der „Schulhund“ als Indikator krisenhafter pädagogischer Beziehungen und ihrer Transformation? 1Södertörn Universität, Schweden; 2Europa-Universität Flensburg, Deutschland Der Einsatz von „Schulhunden“ ist mit dem Versprechen verknüpft, Unterricht zu bereichern, vor allem durch die andersartige Beziehung, die er den Schüler_innen und Lehrpersonen offeriert: Hunden wird, wie auch anderen Tieren, zugesprochen, ein besonderes Gegenüber zu sein, welches sich von Lehrpersonen und Mitschüler_innen in seiner affektiv-körperlichen Präsenz unterscheidet. Schulpädagogische Konzepte für den Unterricht mit Hund geben daher professionalisierungstheoretisch Hinweise darauf, welche Beziehungsansprüche den Heranwachsenden zugeschrieben werden und inwiefern diese nicht oder nicht ausreichend von den Lehrpersonen erfüllt werden können: Was kann die Beziehung zu einem Hund anbieten, was eine Beziehung zu einer Lehrperson nicht, oder nicht ausreichend kann? Inwiefern ist es möglich, die Beziehung zwischen Schüler_innen und Hund in den Kontext pädagogischer Professionalität zu stellen? Dem wollen wir nachgehen und zum einen analysieren, auf welche Probleme das Hinzunehmen eines Hundes in den Unterricht welche Lösungen anbietet. Zum anderen wollen wir ausgehen von Fallstudien und Interviewmaterial aus Norddeutschland und Schweden diskutieren, inwiefern mit dem Einsatz von Schulhunden eine neue Idee von gelingendem Unterricht sowie pädagogischer Beziehungen in Schule propagiert wird (vgl. Pollmanns/ Kabel 2023). Vor dem Hintergrund dieser Fallstudien sollen auch verbreitete normative Annahmen wie jene, der „Schulhund“ sei die bessere Lehrperson, weil er, wie in der Literatur angeführt wird, unvoreingenommen sei und nicht werte bzw. sich als affektives Gegenüber anbiete (vgl. Ceder 2016, Beetz 2019), diskutiert werden. Schließlich wollen wir unsere Studien in den breiteren Kontext aktueller internationalen Diskurse zur Entprofessionalisierung des Lehrberufs (Helsper 2021) sowie zum Ruf nach einer Transformation von Unterricht und Schule (Lindgren & Öhman 2019) angesichts einer „Krise des Anthropozän“ (Braitdotti 2023, Sörlin 2018) stellen. |
15:45 - 17:45 | EB-06: Pädagogische Beziehungen: Herausforderungen für die Professionalität Ort: SR 2 = Raum 1111 Chair der Sitzung: André Epp, PH Karlsruhe |
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Beitrag wurde zurückgezogen! Pädagogische Beziehungen im Vertretungsunterricht. Professionstheoretische Überlegungen und empirische Befunde Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Deutschland Vertretungsunterricht, also Unterricht, in dem sich Schulklasse und Lehrperson nicht oder nur wenig kennen, ist bislang kaum erforscht. Zwar geraten (studentische) Vertretungslehrkräfte zunehmend in den Blick der Forschung (Winter et al. 2023), doch die Erforschung der Interaktionspraxis von Vertretungsunterricht stellt empirisch wie theoretisch ein Desiderat dar, weil sich bisher nur vereinzelt damit befasst wird (Breidenstein 2006: 123–137; Breidenstein & Jergus 2005; Lischka-Schmidt 2024). Vertretungsunterricht ist jedoch ein erkenntnisbringender ‚(Ausnahme-)Fall‘ von Unterricht, weil er „die Bedingungen der ‚Normalität‘ von Unterricht in deutlicherer Weise hervortreten“ (Breidenstein & Jergus 2005: 182) lässt. So kann am Beispiel des Vertretungsunterrichts untersucht werden, wie elementar konkrete Personen und nicht nur Rollen für die Konstitution von Unterricht bzw. professionellen Lehrer:innenhandelns sind, inwiefern also eine zeitliche und soziale Kontinuität eine Konstitutionsbedingung professionellen Unterrichts darstellt. Der Vortrag untersucht daher die Frage, wie im Vertretungsunterricht pädagogische Beziehungen hergestellt werden und was sich dadurch über die Bedingungen pädagogischer Professionalität aussagen lässt. Im ersten Teil des Vortrags werden strukturtheoretische (Helsper 2023) und praxeologisch-wissenssoziologische Konzeptualisierungen (Bohnsack 2024) pädagogischer Beziehungen als Element pädagogischer Professionalität diskutiert. Dies führt zu Frage, wie im Vertretungsunterricht Arbeitsbündnisse (z.B. Helsper et al. 2007) und konstituierende Rahmungen (z.B. Tesch & Grein 2024) hergestellt werden. Im zweiten Teil des Vortrags werden diese Fragen an empirischen Beispielen untersucht (studentische Beobachtungsprotokolle, in Fallportalen dokumentierte Vertretungsstunden, eigene ethnographische Beobachtungen), die zurzeit im Rahmen einer explorativen Vorstudie in Anlehnung an die Grounded Theory (Corbin & Strauss 2015) ausgewertet werden. Desintegrative Inklusion. Empirische Erkundungen und strukturtheoretische Adjustierungen Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Deutschland Mit seinem Theorem der pädagogischen Permissivität und Entgrenzung hat Wernet (2003) nicht nur eine Kritik am strukturtheoretischen Ansatz pädagogischer Professionalität (Oevermann 1996, Helsper 2021) formuliert, sondern implizit auch an emphatischen Konzepten eines pädagogischen Bezugs (z.B. Nohl 1929, Prengel 2020). Bender und Dietrich (2019: 47) haben daran anknüpfend angesichts „systematisch integritätsverletzende[r] Entgrenzungsdynamiken“ im inklusiven Unterricht der sich im „Spannungsfeld von Meritokratie und Inklusion [als] Normkonflikt“ (Hummrich/Meseth 2022) vollzieht, nach den Aktualisierungsnotwendigkeiten der Theoretisierung schulischer Inklusion gefragt. Wir greifen dies auf, indem wir anhand der Rekonstruktion einer exemplarischen Unterrichtssequenz und entlang der Prämisse einer konstitutiven Gleichzeitigkeit sozialer In- und Exklusionsprozesse der Paradoxie nachspüren, wieso gerade der mit gesteigerten normativen Ansprüchen belegte Vollzug ‚inklusiven‘ Unterrichts, empirisch in verschärfter Weise entgrenzte Beziehungsfigurationen hervorbringt. Die Szene dokumentiert – analog zur Befundlage (z.B. Cafantaris/Meseth 2023, Herzmann/Merl 2017) – zwar die Intention (inter)aktiven Einbezugs einer als zu inkludierend geltenden Schülerin in das unterrichtliche Geschehen. Der beziehungslogische Preis hierfür ist allerdings eine Umdeutung der Rollenförmigkeit: ‚Inklusion‘ begegnet uns hier nicht etwa in einer besonderen und besondernden Adressierung der Schülerin als Schülerin, sondern vielmehr in einer dezidiert desintegrativen Gestalt pädagogischer Entgrenzung, in der die Schülerin als Assistentin der Lehrperson inszeniert wird. Hiervon ausgehend wollen wir nach rollen- und differenzierungstheoretischen Implikationen fragen. Die asymmetrische Struktur der Lehrer:innen-Schüler:innen-Beziehung. Heuristische Überlegungen zu ihrer Mehrdimensionalität und empirische Befunde zu ihrer habituellen Ausgestaltung Universität Duisburg-Essen, Deutschland Ein Merkmal der Lehrer:innen-Schüler:innen-Beziehung ist ihre vielgestaltige Asymmetrie hinsichtlich Wissen, Können, Erfahrung, Abhängigkeit, Befugnisse etc. Diese asymmetrische Beziehungsstruktur gilt als ein zentraler Aspekt der „grammar of schooling“ (Vanderstraeten & Biesta, 2006) und als konstitutiv für die pädagogische Beziehung in der unterrichtlichen Interaktion (z.B. Asbrand & Martens, 2018; Helsper & Reh, 2012; Herzog, 2002). Gleichzeitig wird jedoch auch dafür argumentiert, dass zur Unterstützung von Lern- und Bildungsprozessen die pädagogische Beziehung immer wieder ‚kommunikativ symmetrisiert‘ werden müsse (z.B. Helsper, 2016; Misamer & Thies, 2014). Dies verweist auf die zentrale, aber auch ambivalente Bedeutung, die der Asymmetrie der pädagogischen Beziehung für die Handlungspraxis von Lehrkräften zugewiesen wird. Die asymmetrische Beziehungsstruktur lässt sich in verschiedene Facetten ausdifferenzieren. Anders als beim verwandten, aber zu unterscheidenden Begriff pädagogischer Autorität (Schäfer & Thompson, 2009) liegen bisher jedoch kaum theoretische Konzeptualisierungen dieses komplexen Merkmals pädagogischer Beziehungen vor. Hier setzt der Vortrag an und schlägt in einem ersten Schritt ausgehend von struktur- und systemtheoretischen Überlegungen zu pädagogischer Professionalität und Kommunikation eine heuristische Konzeption vor, die die Mehrdimensionalität der Asymmetrie systematisch auffächert. Ausgehend von dieser Heuristik präsentiert der Vortrag Befunde einer rekonstruktiven Studie zum Umgang von Lehrkräften mit der asymmetrischen Beziehungsstruktur. Anhand dokumentarisch ausgewerteter Gruppendiskussionen mit Lehrkräften wurde eine Typologie habitualisierter Asymmetriegestaltung rekonstruiert. Der Vortrag zeigt exemplarisch die Bedeutung habitueller Orientierungen bezüglich Asymmetriegestaltung für eine auf Lernen ausgerichtete pädagogische Beziehung bzw. die Entwicklung und Aufrechterhaltung eines pädagogischen Arbeitsbündnisses. Pädagogische Beziehung in der Kontroverse – eine qualitativ empirische Exploration TU Dortmund, Deutschland Konflikt ist konstitutiv für die pädagogische Beziehung in einem (inter-)generationalen und antinomischen Verhältnis (Helsper 2021). Die zentrale pädagogische Frage ist, wie Beziehung im Konflikt gelingen kann (Jergus & Bünger 2024). In einer superdiversen Gesellschaft (Vertovec 2024) mit einer Pluralität an Religionen, Lebensformen und intersektionalen Positionierungen treten Kontroversen u.a. zu Race, Gender und Islam in Schulen geplant oder ungeplant auf (Cassar et al. 2023) und fordern pädagogische Beziehungen heraus (Drerup et al. 2021). In dem Vortrag wird auf der Grundlage einer qualitativ rekonstruktiven Studie „Der Islam“ in der Kontroverse, die durch das MKW NRW und Core NRW gefördert wird, der Frage nachgegangen, welche Relationen sich zwischen pädagogischen Beziehungen und Kontroversen rekonstruieren lassen (Zulaica & Wigger 2024). In dieser Studie wurden anhand zweier Gruppendiskussionsformaten (statusgruppenheterogen und -homogen) die Performanz von Kontroversen des Islamdiskurses im schulischen Kontext erhoben. Auf der Basis einer konflikt- und affektsoziologischen Ergänzung (Mau et al. 2023; Diefenbach 2022) der dokumentarischen Methode (Bohnsack 2014) werden in der Auswertung Kontroversen als Diskurseffekte beschreibbar, die aufgrund affektiv-diskursiver Register der Teilnehmenden hervorgebracht werden und in Bezug auf Beziehungsmomente analysierbar sind. Entlang des Materials sollen drei Relationen im Vortrag exploriert werden: (1) Pädagogische Beziehungen als Hindernis für Kontroversen; (2) Kontroversen als Gefährdung von pädagogischer Beziehung und (3) pädagogische Beziehung als Bedingung für Kontroversen. Mit dieser Exploration sollen Einsichten in die Konstitution von pädagogischen Beziehungen, der Gestaltung von (Generations-)Beziehungen in Kontroversen sowie der Wahrnehmung der schulischen Akteur:innen dieser Beziehungen gewonnen werden. |
15:45 - 17:45 | EB-08: Pädagogische Beziehungen: Normativität und Praxis Ort: SR 3 = Raum 1112 Chair der Sitzung: Ralf Parade, Universität Innsbruck |
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Anerkennung in pädagogischen Beziehungen – zwischen normativem Anspruch und empirischer Wirklichkeit Universität Bremen, Deutschland Im Unterricht erfolgt die Beziehungsgestaltung durch Interaktionen zwischen Lehrenden und Lernenden. Dabei kann empirisch belegt werden, dass die Art, wie Lehrkräfte die Schüler*innen ansprechen, für ihr Wohlergehen und ihre zukünftige Entwicklung folgenreich ist (vgl. Ostermann/Prengel 2019, S.33-35). Anhand unterschiedlicher Forschungsrichtungen lassen sich verschiedene Theoreme herauskristallisieren, die die Qualität pädagogischer Beziehungen beschreiben. Der vorliegende Beitrag fokussiert Anerkennung. Obgleich die Anzahl der Publikationen zu Anerkennung als „zentrale[r] Dimension pädagogischer Theorie und Praxis“ (Hafeneger et al. 2002, S.8) stark angestiegen ist, bleiben die Bedeutungskonturen des Anerkennungsbegriffs eher vage bestimmt und sind „bislang auch nicht aus einer explizit pädagogischen [...] Perspektive ausgeschärft“ (Ricken/Rose 2023, S.20). Vor dem Hintergrund dieses Desiderats werden im Rahmen des Beitrags zwei Teilstudien durchgeführt: Zum einen soll anhand einer Diskursanalyse (Langer/Wrana 2010) untersucht werden, wie Anerkennung im erziehungswissenschaftlichen Diskurs entworfen wird: - Wie wird Anerkennung zwischen den Generationen thematisiert? - Welche normativen Ansprüche sind mit Anerkennung in pädagogischen Beziehungen verbunden und wie werden diese begründet? - Auf welche Theorien nehmen die erziehungswissenschaftlichen Studien Bezug? Zum anderen soll mit Hilfe einer Re-Analyse des im Rahmen des „INTAKT-Projekts“ (Soziale Interaktion in pädagogischen Arbeitsfeldern; initiiert von A. Prengel u. A. Zapf ) entstandenen Datensatzes überprüft werden, wie Anerkennung in pädagogischen Beziehungen gestaltet wird und sich konstituiert, inwieweit die theoretisch entworfenen Ansprüche an Anerkennung in der päd. Praxis realisiert werden und wie die Schüler*innen auf Anerkennung reagieren. Ziel ist es, einen Beitrag zur Theorie der Anerkennung zu leisten u. Implikationen bzw. Reflexionsfolien für anerkennendes pädagogisches Handeln zu ermöglichen. Anerkennungsorientierte Schulentwicklung - Systematisierungen zur Veränderung von Anerkennungsordnungen und -praktiken Friedrich-Schiller-Universität Jena, Deutschland Schulentwicklung bewegt sich stets im Spannungsfeld zwischen normativen Ansprüchen und empirischer Realität. Das gegenwärtige Verständnis von Schulentwicklung ist dabei stark vom Qualitätsparadigma und sozial-technologischen Ansätzen geprägt. So wertvoll diese Einsichten sind, für eine umfassende Theorie der Schulentwicklung greifen sie zu kurz, insbesondere weil sie nicht hinreichend kritisch und selbst-reflexiv institutionalisierte Normen und Praktiken in den Blick nehmen. Schulentwicklung benötigt daher neue Impulse, die darauf ausgerichtet sind, Fragen schulischer Organisation und Institutionalisierung wieder stärker mit pädagogischen Denkkategorien zu verschränken. Entlang der erziehungswissenschaftlichen Diskussion um Anerkennung und unter Rückgriff auf die Arbeiten von Honneth, Stojanov und Brandom gelingt es, sowohl normativ als auch empirisch, schulische Praktiken und Ordnungen unter Aspekten von Anerkennung offenzulegen und zu bearbeiten. Im Beitrag werden vier mögliche Denkvarianten einer anerkennungsorientierten Schulentwicklung (AnSe) aus dem vorhandenen Theorieangebot abgeleitet, skizziert und mithilfe von Praxisbeispielen aus einem laufenden Schulentwicklungsprojekt veranschaulicht. Zudem können erste empirische Forschungsunternehmen und -ergebnisse vorgestellt werden. Beziehungshungrige Kinder? Über normative Setzungen und implizite Normalitätsentwürfe in achtsamkeitsbasierten Programmen in der Schule Leibniz Universität Hannover, Deutschland Achtsamkeit (mindfulness) hat Hochkonjunktur. Für den schulischen Kontext hat sich ein Markt an Ausbildungsinstituten, Trainer:innen und Sachliteratur herausgebildet, der neben Persönlichkeitsentwicklung (Altner/Friedrich 2024) und Resilienzsteigerung (Kaltwasser 2018) auch Aspekte von Empathiefähigkeit (José 2016), Beziehungsgestaltung (Kaufmann 2011; Jensen 2014) und -fähigkeit (Kaltwasser 2016) bzw. Beziehungskompetenz (Jensen 2014) bearbeitet. Dabei schlagen die Ratgeber:innen einen kulturpessimistischen (vgl. Dietrich/Uhlendorf 2019) bis alarmistischen Ton an – insbesondere in Bezug auf die „Macht der Bildschirme“ (Altner 2019: 8): „Die Virtualisierung und Fragmentisierung aller Lebensbereiche“ (Kaltwasser 2018: 17) im Häuslichen – und die damit einhergehende Pathologisierung der Eltern (Kollmer 2024) –, erschaffe „viele beziehungshungrige Kinder, [die] diesen Hunger nun im Unterricht“ (Kaltwasser 2018: 17) stillen. Und das, so der Tenor, auf zumeist nicht adäquate Weise. Der annoncierte Beitrag möchte den in Achtsamkeitsprogrammen problematisierten Beziehungskomplex und die virulente Frage nach der Beziehungs(un)fähigkeit in Bezug auf die eingelagerten Normalitätsentwürfe diskutieren. Bemerkenswerterweise geht aus den Programmen nicht immer klar hervor, ob nur die Schüler:innen oder auch Lehrer:innen und Lehramtsstudierende (Meißner 2023; Weghaupt 2024) Adressat:innen des Achtsamkeitstrainings sind, sodass neben einer hohen Zahl immer schon als schwierig geltender Familien – und mit ihnen einer „Erziehungsmisere, die seit einigen Jahren schwelt“ (Kaufmann 2011, S. 14) –, auch die Beziehungsfähigkeit des Personals in den Fokus der Ratgeber gerät. Dazu werden Passagen aus Achtsamkeitsprogrammen und -übungen sequenzanalytisch rekonstruiert. Hierbei soll – auch auf Grundlage der Ausführungen Oevermanns (1996) geklärt werden, ob hierbei latent überhaupt (noch) von pädagogischen Beziehungen die Rede sein kann. Rekonstruktion von Adressierungsanlässen von Sportlehrkräften unter anerkennungstheoretischer Perspektive – Empirische Einblicke am Beispiel von Disziplinierungen Universität Paderborn, Deutschland Anerkennung als Adressierungsgeschehen ist grundlegender Bestandteil sozialer Interaktionen (Reh & Ricken, 2012), dem spezifische Haltungen zugrunde liegen (Schäffer, 2023). Da Anerkennung entwicklungstheoretisch einflussreich ist, wird sie als „Kernkompetenz pädagogischer Professionalität“ betrachtet (Balzer, 2021). Insbesondere in der Lehrer*innen-Schüler*innen-Beziehung ist sie im Hinblick auf die Unterrichtsqualität relevant, wenn das Unterrichtsklima und die Anerkennung der Schüler durch die Lehrperson als zentrale Elemente betrachtet werden (Gabriel, 2014, Lotz & Lipowsky, 2015). Während bisherige Studien v.a. Adressierungsanlässe aus anerkennungstheoretischer Perspektive unter Schüler*innen im Sportunterricht betrachten (u.a. Grimminger, 2012), fehlen empirische Erkenntnisse zum Adressierungsgeschehen von Sportlehrkräften. Deshalb wird in der vorliegenden Studie unter anerkennungstheoretischer Perspektive untersucht, welche Haltungen sich im Adressierungsgeschehen von Sportlehrpersonen im Sportunterricht zeigen. Als methodischer Zugang wurde die Videographie gewählt. Dabei wurden drei Sportlehrkräfte über einen Zeitraum von mindestens sieben Sportunterrichtsstunden gefilmt. Die Daten wurden mittels der Dokumentarischen Methode für Unterrichtsvideografien (Fritzsche & Wagner-Willi, 2015) ausgewertet. Die Ergebnisse zeigen u.a. Disziplinierungen als besonders reichhaltige Kategorie in den Adressierungsanlässen von Sportlehrkräften. Diese umfassen Disziplinierungen in Bezug auf Normen in der Sporthalle sowie verhaltensbezogene und personenbezogene Disziplinierungen. Die sich darüber rekonstruierten Haltungen verweisen auf Normen, Logiken und Muster im Adressierungsgeschehen. Im Vergleich zu Studien anderer Fächer, zeigen sich ähnliche, aber auch unterschiedliche Ergebnisse (vgl. Wiezorek, 2005), die mit der Besonderheit des Faches und der Rolle von Körper und Körperlichkeit zusammenhängen könnten. |
19:00 | Orangerie: Gesellschaftsabend auf der Tagung Pädagogische Beziehungen: Jahrestagung der Kommission für Professionsforschung und Lehrer:innenbildung der DGfE Ort: Orangerie, Kassel Der Gesellschaftsabend findet in der Orangerie statt. |